Noch eine Social-Media-App: BeReal will jedoch anders sein. (Symbolbild) Bild: iStockphoto / g-stockstudio
Meinung
20.09.2022, 16:0820.09.2022, 16:17
Eingerahmt von zwei "Achtung"-Emojis springt mich die Meldung auf meinem Handy an: "Zeit für ein BeReal". Zwei Minuten habe ich jetzt, um meine Umgebung und mich selbst im Selfie-Modus zu fotografieren. Dabei sitze ich doch nur ungeschminkt auf dem Sofa und schaue Tiktoks. Schnell, ich muss meinen ungefähr acht Freunden auf der App etwas bieten. Ein Buch, ein leckerer Snack, die Golden Hour auf dem Balkon – irgendwas.
Warum tut sich jemand diesen zusätzlichen Stress eigentlich an? Knapp drei Wochen habe ich die App BeReal getestet – ein Erfahrungsbericht.
So kann ein BeReal aussehen, wenn man im Bett liegt und liest.bild: privat
Kurz zur Geschichte des Ganzen: Entwickelt wurde BeReal 2020 von den zwei Franzosen Alexis Barreyat und Kevin Perreau. Lange Zeit war die App relativ unbekannt, bis sie Mitte dieses Jahres plötzlich sehr populär wurde. Im August erreichte BeReal sogar den ersten Platz der deutschen App-Download-Charts.
Das Besondere an BeReal ist, dass man pro Tag nur ein Foto posten kann, oder besser gesagt zwei in einem: Beim Fotografieren über die App wird gleichzeitig ein Bild mit der Rück- und der Frontkamera gemacht, man sieht also beide Perspektiven der Situation. Zudem kann man das Bild nicht bearbeiten, weder eine simple Farbkorrektur, noch Filter und auch keine sonstigen Elemente wie Text, Gifs oder Musik. Was man sieht, ist also alles unkommentiert und "real".
"Es wird also durch Neugier ein Post-Anreiz geschaffen: Bei mir wirkt's jedenfalls meistens."
Eine weitere Bedingung: Solange man kein eigenes BeReal gepostet hat, sieht man die Bilder seiner Freund:innen nur unscharf. Es wird also durch Neugier ein Post-Anreiz geschaffen: Bei mir wirkt's jedenfalls meistens.
Fragwürdiger Content
Und was bekomme ich nun bei BeReal zu sehen? Freund:innen beim Essen gehen, Freund:innen zu Hause beim Kochen, Freund:innen beim Arbeiten oder beim Spazierengehen. Das gleiche wie bei Instagram also. Aber etwas fehlt: der Humor. Während man in den Instagram-Storys noch etwas Persönlichkeit und Charme einbringen kann, sei es durch eine amüsante Bildbeschreibung oder einen passenden Song, sieht man bei BeReal nur die langweiligsten Alltagssituationen, die man sich vorstellen kann.
Genau so sehen meine eigenen BeReals aber auch aus: Ich beim Spazieren, ich beim Lesen, ich mit Freund:innen. Noch trister ist nur die "Discover"-Funktion. Dort kann ich fremde Leute bei der Büro-Arbeit oder beim Netflixen sehen, natürlich immer mit verwackeltem Selfie in der Bildecke.
Ich bin auch nicht besser und poste Inhalte aus den eigenen vier Wänden.bild: privat
Künstlicher Zeitdruck
Aber wie real ist es eigentlich? Die stressige "Achtung, Achtung!"-Meldung suggeriert zwar, dass ich nur zwei Minuten Zeit habe, mein BeReal zu erstellen, doch wenn ich es nicht mache, hat das auch keine Konsequenzen. Außer natürlich, dass mein Beitrag dann als "Late" betitelt wird und mich so quasi öffentlich für mein Zu-spät-Posten shamed.
"Aus dem Aufruf, sich echt und wahrhaftig zu zeigen, wird der lieblose Hinweis, jetzt doch bitte mal ein bisschen Content ins Internet zu ballern."
Kommen wir in diesem Atemzug doch auch gleich nochmal auf den Call-to-action zu sprechen, den man täglich zu einer anderen Tageszeit angezeigt bekommt. Auf Englisch steht dort "Time to BeReal", also "Zeit, um 'echt' zu sein". Beim deutschen "Zeit für ein BeReal" geht diese Botschaft jedoch verloren. Aus dem Aufruf, sich echt und wahrhaftig zu zeigen, wird der lieblose Hinweis, jetzt doch bitte mal ein bisschen Content ins Internet zu ballern.
Hallo Unsicherheit!
Mit meinem Äußeren habe ich zumindest im echten Leben kein Problem. Aber unvorteilhafte Fotos bewusst ins Internet zu stellen, dafür bin ich dann doch zu eitel. Das habe ich durch BeReal gelernt. Deshalb verziehe ich auf einigen Selfies mit Absicht mein Gesicht, reiße übertrieben meine Augen auf oder schneide zumindest mein Kinn ab.
"Wenn das Doppelkinn schon nicht vermieden werden kann, dann geht es all in und die Fotos werden ausschließlich von unten gemacht."
Dieses Verhalten sehe ich auch bei meinen Freund:innen in der App: Wenn das Doppelkinn schon nicht vermieden werden kann, dann geht es all in und die Fotos werden ausschließlich von unten gemacht.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich schon, dass ich einen Artikel über BeReal schreiben würde – spätestens dann war es mit der "Realness" vorbei. bild: privat
Als ich mir vorgenommen hatte, meine Erfahrungen mit BeReal aufzuschreiben, ging ich abends auf eine Party. Als es "Zeit für ein BeReal" war, habe ich nach zwei Versuchen meine Anstrengungen abgebrochen, ein Selfie zu produzieren, das mich nicht unglücklich macht.
Also habe ich mein Handy kurzerhand nach oben gedreht. Damit sah man zwar den DJ, doch von mir nur den Rand meiner Stirn. Die "Realität" der Selfie-Kamera zu zeigen, konnte ich dann doch nicht übers Herz bringen.
Fazit: Muss jetzt nicht sein
Nach knapp drei Wochen des Ausprobierens kann ich sagen: BeReal überzeugt mich insgesamt wenig. Weder sehe ich spannende Inhalte, noch habe ich das Gefühl, Inhalte zu produzieren, die selbst mir gefallen. Alles fühlt sich wie aus dem Kontext gerissen an. Vor allem kann man "die Realität" zumindest zeitlich leicht umgehen.
"Und überhaupt, wem sind wir diese 'Realness' eigentlich schuldig?"
Und überhaupt, wem sind wir diese "Realness" eigentlich schuldig? Die App impliziert, dass wir uns sonst alle mit dem Snapchat-Hundefilter durch den digitalen Raum bewegen, als sei es 2016.
In seiner jetzigen Form bringt BeReal wenig Mehrwert. Wenn man vielleicht ein paar Minuten mehr Zeit hätte, dafür dann aber auch nur zu diesem Zeitpunkt posten dürfte, würden User meiner Meinung nach vermutlich mehr der beworbenen "Realität" zeigen.
Seit 2006 gibt es eine Impfung gegen die Humanen Papillomviren (HPV), die Gebärmutterhalskrebs verursachen können. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Impfung ab dem Alter von neun Jahren. Sie sollte idealerweise vor den ersten sexuellen Kontakten erfolgen. Denn während dieser kann HPV übertragen werden.