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Hartz IV seit fast 15 Jahren: Jens klagt: "Die Arbeitgeber verlangen zu viel"

Stressed despair staff in logistic business sittng in container box at shipyard
Bild: Getty Images
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Seit fast 15 Jahren Hartz IV: "Die Arbeitgeber verlangen zu viel"

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Jens (Name von der Redaktion geändert) ist 48 und hat vor fast 20 Jahren seinen Job bei einem Chemie-Werk verloren. Seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 ist er auf soziale Leistungen angewiesen. Bei watson spricht er über seine zahlreichen Bewerbungen und über die teils extrem hohen Anforderungen der Arbeitgeber – trotz Mindestlohn oder sogar noch weniger Gehalt.
07.11.2019, 11:04

Eine Bewerbung muss ich diesen Monat noch abschicken – dann habe ich mein Soll erfüllt. Vier Mal monatlich muss ich mich bewerben, so will es das Jobcenter. Denn ich lebe von Hartz IV.

Meine Vollzeitstelle als Chemikant habe ich bereits 2001 verloren, als das Werk, in dem ich gearbeitet habe, geschlossen wurde. Seit 2005, als das System eingeführt wurde, beziehe ich Arbeitslosengeld II, wie Hartz IV eigentlich heißt.

Hartz IV scheint eine Endhaltestelle – der Weg heraus ist schwierig

Ob Bewerbungstraining oder Computerkurs, Beratungsgespräche oder angedrohte Sanktionen: Die Maßnahmen des Jobcenters, damit ich wieder Arbeit finde, waren bisher fruchtlos.

Das liegt einerseits daran daran, dass die Methoden des Jobcenters nicht immer sinnvoll sind. Andererseits hängt vieles allerdings von den Arbeitgebern ab, bei denen ich mich bewerbe.

Ihre Ansprüche scheinen in den letzten Jahren noch weiter gewachsen zu sein. Vieles von dem, was sie mittlerweile verlangen, ist nicht erfüllbar und teilweise sogar illegal. Was früher in 40 Stunden geschafft wurde, soll heute in 20 Stunden fertig sein, Vollzeitstellen werden immer seltener – bei steigendem Arbeitspensum. Gleichzeitig scheinen die Unternehmen am liebsten 25-Jährige mit 30-jähriger Berufserfahrung einstellen zu wollen. Ältere Menschen haben es bei der Jobsuche immer schwerer.

Wie soll ich in so einem Arbeitsmarkt unter solchen Bedingungen Fuß fassen, und das in meinem Alter?

Seitdem ich von Hartz IV lebe, habe ich eine Bewerbung nach der anderen geschrieben – ohne Erfolg

Als ich zum ersten Mal arbeitslos wurde, habe ich zunächst versucht, mich in meinem gelernten Bereich umzusehen. Ich habe mich auf alle möglichen Jobs beworben, die ansatzweise mit Chemie zu tun hatten: in der Pharmazie, in Laboren, sogar in Brauereien. Erfolglos.

Also habe ich angefangen, mich auch auf Stellen außerhalb meines Fachbereichs zu bewerben. Als Security zum Beispiel, oder in der Gastronomie. Über eine Zeitarbeitsfirma kam ich an eine Stelle als Verkäufer in einem großen Bekleidungsgeschäft. Dort wurde mir versprochen, dass ich übernommen werden würde. Aber nach nur wenigen Monaten wurde die gesamte Etage, inklusive mir, entlassen und durch günstigere Aushilfen ersetzt.

Seitdem schreibe ich eine Bewerbung nach der anderen. Gleichzeitig hat mir das Jobcenter im Laufe der Jahre mehrere Weiterbildungsmaßnahmen verordnet, zum Beispiel Bewerbungstrainings, bei denen mir immer und immer erklärt wurde, wie ein korrekter Lebenslauf aussieht. Oder ich so lange zu meinen Interessen und Hobbys befragt wurde, bis einer der Lehrer vielleicht sagte: "Ah, du kochst gerne – hast du schon mal überlegt, in der Gastro zu arbeiten?" Manchmal aber drücken mir die Trainer nur eine CD in die Hand, auf der ich alles auf dem Computer selbst nachlesen kann.

Bei der Jobsuche hilft das nicht wirklich, ich sehe das eher als Beschäftigungsmaßnahme. Das Jobcenter freut sich allerdings, weil ich, sobald ich in einer Maßnahme stecke, aus der Statistik falle und zumindest kurzzeitig nicht als arbeitslos gelte. Auch so kann man erreichen, dass die Zahl der Arbeitslosen sinkt.

Derweil stapeln sich meine Bewerbungsunterlagen, die ich in einem Regal aufbewahre, mittlerweile hüfthoch – wie viele es genau sind, weiß ich nicht – Ich habe aufgehört zu zählen. Aber es müssen mehrere Hundert sein.

Was die Arbeitgeber verlangen, ist teilweise unzumutbar

Es ist nicht so, dass meine Bewerbungen immer erfolglos sind. Hier und da werde ich zum Gespräch eingeladen – und bin oftmals entsetzt darüber, was Arbeitgeber von uns verlangen. Es ist, als wüssten sie, wie verzweifelt wir Arbeitslosen auf einen Job hoffen – und deswegen erlauben sie sich, die Löhne zu drücken, die Arbeitszeiten zu erhöhen oder grenzenlose Flexibilität zu verlangen.

Bei einem Bewerbungsgespräch in einem Drogeriemarkt für einen Minijob – mehr Arbeitsstunden werden selten angeboten – sollte ich zum Beispiel als eine Art Springer eingesetzt werden. Dann hätte ich innerhalb eines vorher festgesetzten Zeitrahmens einen Anruf bekommen, in welchem Drogeriemarkt ich an dem jeweiligen Tag arbeiten soll. Natürlich kann es passieren, dass ich zu einer Filiale muss, die weiter weg ist, oder dass ich gerufen werde, während ich einen anderen Minijob mache.

Solche Minijobs wie in dem Drogeriemarkt kann ich also im Prinzip nur machen, wenn ich ansonsten keine anderen Jobs habe, weil sie sich sonst überschneiden würden. Und selbst wenn nicht, müsste ich konstant von einem Job zum nächsten fahren, von einem Minijob allein kann ich schließlich nicht leben. Die Fahrstrecken werden selbstverständlich nicht bezahlt, die Kosten dafür trage ich selbst. Und natürlich wird die Fahrtzeit auch nicht als Arbeitszeit gerechnet.

So könnte es schnell passieren, dass ich zwischen drei verschiedenen Mini-Jobs umherspringe, die an unterschiedlichen Einsatzorten stattfinden, ich 60 Stunden pro Woche unterwegs bin und bestenfalls den Mindestlohn verdiene, den ich teilweise wiederum in Fahrtkosten investiere. Und das alles mit dem Risiko, bald wieder entlassen zu werden, weil vielleicht jemand kommt, der für noch weniger Geld arbeitet oder jünger und belastbarer ist.

Die Arbeitgeber wollten, dass ich Arbeitsmaterialien selbst zahle – das geht nicht mit Hartz IV

Gerade im Niedriglohnsektor – und unter den fallen viele der Jobs, auf die ich als Hartz-IV-Empfänger mich bewerbe – wird oftmals ständige Erreichbarkeit und dauerhafte Einsatzbereitschaft verlangt, an verschiedenen Standorten und zu allen Tag- und Nachtzeiten. Und obwohl viele Arbeitgeber eine hohe Belastbarkeit verlangen, zahlen sie lediglich den Mindestlohn oder versuchen sogar, diesen zu umgehen. Zum Beispiel, indem ich Arbeitsmaterialien selbst bezahlen muss oder Überstunden nicht ausgleichen darf.

Einmal zum Beispiel habe ich mich für eine Stelle bei einer Zeitarbeitsfirma beworben. Da war die Voraussetzung, dass ich die 25 Euro für meine Arbeitsschuhe – laut der Firma ein günstiger Preis – selbst bezahle. Für mich ist das allerdings viel Geld. Als ich fragte, ob der Arbeitgeber diese Kosten nicht übernehmen sollte, kam keine Rückmeldung.

Sehr oft wird auch vorausgesetzt, dass ich mein eigenes Auto mitbringe – für dessen Instandhaltungskosten und Sprit ich natürlich auch selbst zahlen soll. Aber Hauptsache, stets und überall Einsatzbereitschaft zeigen.

Selbst Ruhezeiten werden nicht immer beachtet. Als ich mich als Busfahrer beworben habe, habe ich von anderen Angestellten gehört, dass sie teilweise von der Spätschicht erst um zehn Uhr abends heimkommen und dann gleich am nächsten Tag die Frühschicht übernehmen müssen. Manchmal arbeiten sie acht oder neun Tage am Stück, ohne Pause. Das ist nicht nur gesundheitsschädlich, sondern in diesem Beruf auch lebensgefährlich.

Und trotzdem arbeiten viele Menschen in solchen Zuständen. Sie machen Überstunden, schlafen nicht, hetzen sich von einem Einsatzort zum nächsten, nehmen es in Kauf, unterhalb des Mindestlohns zu arbeiten. Ohne sich zu beschweren. Denn sonst könnte man gekündigt werden – also tut man alles, um nicht bei Hartz IV zu landen.

Viele Menschen glauben, Hartz-IV-Empfänger dürfen bei der Jobsuche nicht wählerisch sein

Ich selbst habe nun seit über fünf Jahren einen Minijob bei einem Fußballclub in der Gastro, bei dem ich mir zumindest monatlich ein wenig dazu verdienen kann. Viel darf ich von meinem Gehalt nicht behalten, lediglich knapp über Hundert Euro Freibetrag lassen sich mit meinem Hartz-IV-Satz vereinen. Aber immerhin, es ist besser als nichts.

Viele Menschen haben immer noch die Vorstellung vom faulen Hartz-IV-Empfänger, der nichts auf die Reihe bekommt. Viele vertreten die Meinung, dass ein Hartz-IV-Empfänger nicht wählerisch sein darf, dass er gefälligst jeden Job annehmen sollte, egal unter welchen Bedingungen.

Aber genau diese Haltung ist es, die dafür sorgt, dass die Arbeitsbedingungen sich nicht verbessern. Dass viele arbeitsrechtliche Regeln im Niedriglohnsektor umgangen werden, weil die Angst der Menschen vor der Arbeitslosigkeit mit einkalkuliert wird. Auch als Hartz-IV-Empfänger sollten wir keine Umstände akzeptieren, die uns ausbeuten oder gar in Gefahr bringen.

Mein Plan ist es nun, mich als Bahnfahrer zu bewerben. Die Ausbildung zum Triebfahrzeugführer kann mittlerweile im Schnelldurchlauf gemacht werden, in neun Monaten schon anstatt in drei Jahren. Dementsprechend hoch ist natürlich das Lernpensum. Bei einer Infoveranstaltung warnte uns der Ausbilder, dass wir neben der Vollzeit-Ausbildung auch noch Einiges an Lernstoff mit nach Hause nehmen müssten. Dennoch ziehe ich diese Möglichkeit in Betracht. Viel Anderes bleibt mir nicht mehr übrig.

Außer, ich habe Erfolg bei einer meiner vier Bewerbungen letzten Monat. Oder bei den nächsten vieren. In der Hoffnung, den immerwährenden Hartz-IV-Kreislauf endlich zu durchbrechen.

Protokoll: Agatha Kremplewski

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