Verkehrsminister zeigt Bahn-Strategie: Gelockerte Pünklichkeitsziele statt Lösungen
Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder gibt sich ambitioniert. Auf einer Pressekonferenz beklagte er den schlimmen Zustand der Bahn, die unzuverlässigen Züge, das marode Schienennetz. Es ist ein altbekanntes Klagelied, dessen Text bereits Amtsvorgänger Volker Wissing schmetterte.
Nur heißt sich ambitioniert geben nicht automatisch, auch ambitioniert zu sein. Große Sprünge wagt Schnieder nicht, vielmehr zeigt er den Moonwalk. Seine Ideen sind durchsetzt von neoliberalen Wunschvorstellungen und völlig frei von Reformwillen. Auch die neue Chefin Evelyn Palla trübt alle Hoffnungen auf mehr Zuverlässigkeit ein. Viel Handlungsspielraum hat sie aber ohnehin nicht – Helmut Kohl sei Dank.
Deutsche Bahn: Unpünktlichkeit hat Geschichte
Erst einmal der große Aufhänger: Ab 2029 sollen 70 Prozent der Züge im Fernverkehr pünktlich sein. Das ist für sich genommen schon schluffig. Jetzt wurde der Wert aber für 2026 angesetzt. Unser Pünktlichkeitsversprechen verzögert sich, wir bitten um Entschuldigung.
70 Prozent Pünktlichkeit sind ohnehin nicht beeindruckend. Zwischen 2012 und 2021 lagen die Werte einige Prozente darüber, überschritten mitunter sogar die 80er-Marke. Seitdem aber dümpelt der Wert im 60-Prozent-Bereich. Nur ein kurzer nostalgischer Rückblick: 1993 waren 85 Prozent der Fernverkehrszüge sowohl der Deutschen Reichsbahn als auch der Bundesbahn pünktlich.
1994 führte das Kohl-Kabinett die beiden Gesellschaften zur Deutschen Bahn AG zusammen und machte sie zur Aktiengesellschaft. Damit stieß es den Fernverkehr direkt ins kalte kapitalistische Wasser. Es ging um Wettbewerb, ums Marktbestehen, um schwarze Zahlen.
Um diese zu schreiben, waren Einsparmaßnahmen nötig. Es folgte ein massiver Personalabbau. Von mehr als 500.000 Beschäftigten schrumpfte die Zahl auf gerade einmal 388.000. Mittlerweile liegt sie im Inland bei 211.000. Getroffen hat es besonders den technischen Bereich, genauer: den Teil, der sich um die Ausbesserung des Schienennetzes kümmert.
Die Werke für die turnusmäßige Wartung und Reparatur der Züge und Gleise wurden dank Sparmaßnahmen dezimiert. Mehr als 30 konnten die beiden Bahn-Unternehmen 1989 vorweisen. Heute sind es lediglich zwölf. Kohls Regierung und dessen neoliberaler Irrsinn legten den Grundstein, über den Verkehrsminister und Bahn-Vorstände heute der Reihe nach stolpern.
Damals wie heute bremst das marode Schienennetz den Zugverkehr aus. Gegenmaßnahmen fehlen aber. Auch Bundesverkehrsminister Schnieder hat hier nichts vorzuweisen. Statt großer Personal-Offensive soll die für die Infrastruktur zuständige Gesellschaft DB InfraGo, künftig eigenständiger und unabhängiger vom Gesamtkonzern arbeiten. Weniger Bürokratie also. Nur bringt das nichts, wenn Personal fehlt.
Nur Probleme? Macht die Bahn zur Behörde!
Trotzdem nickt Evelyn Palla das ab, spricht gar vom "großen Aufbruch". Viel anderes bleibt ihr aber auch nicht übrig. Die Bahn ist weiterhin eine Aktiengesellschaft mit allen zugehörigen Problemchen. Auch wenn ihre Anteile zu 100 Prozent in staatlicher Hand liegen, bleibt ein Renditendruck. Für hübsche Geschäftsberichte lässt das Unternehmen schon mal Personal und Service schwinden.
Ökonom Maurice Höfgen forderte deshalb in der "Berliner Zeitung", die Deutsche Bahn wieder in eine Behörde zu verwandeln. Die Ärgernisse wären damit passé. Ein weiterer Schritt wäre, diese dann von der Schuldenbremse auszunehmen.
Quetschende Fesseln würden so gelöst und Investitionen könnten freier fließen. In Personal, ins Schienennetz, sogar in Nachtzüge. Alles, was sich kaufmännisch eben nicht rechnete.
Unnötige Aderlass-Manöver wie die abgeschafften Familienreservierungen bräuchte es dann nicht mehr. Übrigens wäre das Bahnpersonal dann auch wieder verbeamtet. Ein Anreiz für den Nachwuchs.
Vorbilder für so einen Schritt sind etwa die Staatsbahnen in Frankreich (SNCF) und Österreich (ÖBB). Sie sind moderner, kundenfreundlicher und pünktlicher als die Deutsche Bahn. Bei dem Dreiklang dürften so manchem die Ohren schlackern.
Gleichzeitig könnte mit derlei Veränderungen das schockierende Gehaltsgefälle zwischen Vorstand und Mitarbeiter:innen abnehmen. Millionenboni fielen ebenfalls weg – eine massive Entlastung für den Haushalt.
Das dürfte aber nicht gerade in Pallas Interesse liegen. Große Reformforderungen können wir von ihr nicht erwarten. Von Schnieder ebenso wenig, wie er bis dato fleißig unter Beweis stellte. Insofern heißt es auch weiterhin bei kleinlauten Entschuldigungen und viel Raum für Ärger: Thank you for using Deutsche Bahn today. Ja, danke für nichts.