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Kinder vegan ernähren – kann das gut gehen?

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Kinder vegan ernähren – kann das gut gehen?

24.08.2019, 19:3523.01.2020, 12:57
Daniel Huber / watson.ch
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Vegane Ernährung liegt im Trend. Manche von ihnen ernähren auch ihre kleinen Kinder ausschliesslich vegan – und das kann zu Problemen führen.

Wie bei einem Elternpaar aus Australien, das in Sydney von einem Gericht zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt wurde, weil es seine Tochter falsch ernährt hatte.

In den ersten anderthalb Lebensjahren hatte das Mädchen keinerlei Nahrungsmittel tierischer Herkunft erhalten. Es war mit 19 Monaten erst so weit entwickelt wie normale Kleinkinder im Alter von drei Monaten – es wog nicht einmal fünf Kilogramm und hatte noch keine Zähne.

Ist vegane Ernährung also für Kinder – insbesondere Babys – prinzipiell ungeeignet? Eine nüchterne Antwort auf diese Frage scheint vor allem deshalb schwierig, weil aus Ernährungsfragen gemeinhin schnell Glaubenskriege werden, in denen unversöhnliche Ideologen sich in den Schützengräben ihrer Dogmen verschanzen.

Glossar der Ernährungsweisen
• Omnivoren:
Allesesser
• Flexitarier:
gelegentlicher Verzehr von Fleisch
• Pescetarier:
Verzicht auf Fleisch und Geflügel, nicht aber auf Fisch
• Ovo-Lacto-Vegetarier:
Verzicht auf Fleisch und Fisch
• Lacto-Vegetarier:
Verzicht auf Fleisch, Fisch und Eier
• Ovo-Vegetarier:
Verzicht auf Fleisch, Fisch und Milch
• Veganer:
Verzicht auf alle tierischen Lebensmittel und Erzeugnisse (Fleisch, Fisch, Milch, Ei, Honig)
Frutarier (Fruitaner, Fruganer):
Verzicht auf alle tierischen Lebensmittel und Erzeugnisse sowie auf Pflanzen, die beim Verzehr vernichtet werden
• Rohköstler:
Verzehr von roher Kost

Sicher ist, dass halboffizielle und offizielle Instanzen wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) und das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) klar davon abraten, Kinder strikt vegan zu ernähren. Der deutsche Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) und die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) empfehlen vegan lebenden Eltern dringend, sich bei Ernährungsexperten Rat zu holen, damit die Kinder und Jugendlichen keine Mangelerscheinungen entwickeln und ihnen keine dadurch verursachten irreparablen Schäden drohen.

"Das Risiko eines Nährstoffmangels ist umso größer, je restriktiver die Ernährung ist und je mehr Lebensmittelgruppen aus der Ernährung ausgeschlossen werden."
Prof. Dr. Berthold Koletzko, DGKJ-Ernährungskommission

Mangelerscheinungen drohen nicht nur Kindern, die streng vegan ernährt werden, sondern auch Erwachsenen, die konsequent alle tierischen Lebensmittel meiden.

Hauptgrund dafür ist, dass man bei dieser Ernährungsweise kein Vitamin B12 (Cobalamin) aufnimmt, das nahezu ausschließlich in Lebensmitteln tierischer Herkunft enthalten ist. Es muss daher bei einer veganen Lebensweise ergänzt werden, beispielsweise in Tablettenform.

Alle übrigen Nährstoffe kann man durch pflanzliche Produkte aufnehmen – allerdings muss dabei genau darauf geachtet werden, was auf den Teller kommt. Pflanzliche Proteine weisen nämlich eine geringere Verwertbarkeit auf als tierische Eiweiße, zudem ist die Zusammensetzung ihrer Aminosäuren beschränkter. Kalzium ist in rein pflanzlicher Nahrung nur in kleinen Mengen enthalten und Eisen, Jod sowie Zink werden schlechter absorbiert.

A little boy is eating a cucumber
Bild: iStockphoto

Hier eine Übersicht über problematische Nährstoffe bei veganer Ernährung:

  • Vitamin B12: Dieser Stoff wird von Bakterien produziert, die im Darm von Tieren leben. Er gelangt daher vor allem über den Konsum von Fleisch, in geringerem Mass auch von Milch und Eiern in den Körper. Babys nehmen Vitamin B12 über die Muttermilch auf – vorausgesetzt, die Mutter hat es selber im Körper. Der Stoff wird vom menschlichen Körper eine Weile gespeichert, aber wenn kein Nachschub kommt, werden diese Vorräte verbraucht.
    Bestimmte Lebensmittel wie fermentierte Sojaprodukte enthalten Vitamin-B12-Analoga; diese sind aber aufgrund ihrer eingeschränkten Bioaktivität keine adäquaten Quellen zur Deckung des Bedarfs. Der Stoff muss supplementiert, also zusätzlich eingenommen werden, zum Beispiel in Tablettenform.
    Vitamin B12 ist wichtig für die Zellteilung, Blutbildung und die Funktion der Nerven. Ein Mangel führt bei Kindern zur Verzögerung der körperlichen und geistigen Entwicklung und im schlimmsten Fall zu irreparablen neurologischen Schäden. Der Vitamin-B12-Blutwert sollte mindestens einmal im Jahr gemessen werden.
  • Kalzium: Der Körper benötigt das Erdalkalimetall vornehmlich für den Aufbau und Erhalt von gesunden Knochen und Zähnen. Im Vergleich zu omnivor ernährten Kindern ist die Kalziumaufnahme bei vegetarisch (und damit auch vegan) ernährten Kindern etwa auf die Hälfte reduziert. Kalziummangel kann zu Muskelkrämpfen und zum Knochenabbau führen.
    Als pflanzliche Kalzium-Lieferanten sind Sesamsamen, Amaranth, Nüsse, aber auch Gemüse wie Brokkoli, Grünkohl oder Rucola zu nennen, daneben auch Hülsenfrüchte und Fleischersatz aus Soja.
  • Vitamin D: Der menschliche Körper kann Vitamin D unter Sonnenbestrahlung selber bilden. Dennoch besteht bei vielen Kindern und Jugendlichen das Risiko eines Vitamin-D-Mangels, insbesondere im Winter. Die Aufnahme über die Nahrung – unter anderem in Speisepilzen wie Champignons oder Pfifferlingen – ist bei Vegetariern (und somit auch Veganern) im Vergleich zu Omnivoren niedriger. Kindern sollte Vitamin D im ersten Lebensjahr zusätzlich verabreicht werden. Wichtig sind Aufenthalte im Freien während der sonnenreichen Monate.
    Vitamin-D-Mangel kann eine Rachitis nach sich ziehen. Diese schwere Fehlbildung der Knochen war früher weit verbreitet. ​
  • Jod: Das Element aus der Gruppe der Halogene ist unabdingbar für die neurologische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Kinder nehmen es vornehmlich über jodiertes Kochsalz und Milchprodukte auf; daneben sind auch Fisch, Fleisch und Eier Jodlieferanten. Bei veganer Ernährung müssen sie durch Lebensmittel kompensiert werden, die moderate Mengen an Jod enthalten – etwa Meeresalgen wie Nori – oder mit Jod angereichert sind, beispielsweise Brot. Speisesalz sollte nur jodiert verwendet werden. Besonders während Schwangerschaft und Stillzeit ist auf eine ausreichende Zufuhr zu achten, da sonst Mutter wie Kind unter Jodmangel leiden. Dieser kann unter anderem zu einer Fehlfunktion der Schilddrüse führen.
  • Zink: Wer Zink ausschließlich aus pflanzlichen Quellen zu sich nimmt, riskiert eher einen Mangel als bei omnivorer Ernährungsweise, da pflanzliche Lebensmittel Stoffe enthalten, die die Bioverfügbarkeit des Metalls vermindern. Zinkmangel kann bei Kindern zu Wachstumsverzögerungen führen und die Anfälligkeit für Krankheiten – besonders der Haut – verstärken. Um einem Mangel entgegenzuwirken, sollten Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Ölsamen und Nüsse auf dem Speisezettel prominent vertreten sein.
  • Eisen: Auch bei Eisen gilt, dass die Aufnahme aus pflanzlichen Quellen vermindert ist. Während die Bioverfügbarkeit bei Eisen aus Fleisch 20 Prozent beträgt, liegt sie bei Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln lediglich bei 2 bis 5 Prozent. Die gleichzeitige Zufuhr von Vitamin C kann dies verbessern, aber nicht vollumfänglich kompensieren. Die Eisenzufuhr sollte daher bei veganer Ernährung auf das 1.8-Fache erhöht werden.
    Das Metall ist vor allem wichtig bei Kindern und Jugendlichen, die Wachstumsschübe durchlaufen, insbesondere Säuglingen im 2. Lebenshalbjahr und Kleinkindern. Auch menstruierende Mädchen haben einen erhöhten Bedarf. Eisenmangel kann zu Anämie (Blutarmut) führen und die psychomotorische Entwicklung hemmen. Pflanzliche Lebensmittel mit hohem Eisengehalt sind Hülsenfrüchte, Ölsamen, Nüsse und Vollkorngetreide, überdies verschiedene Gemüsearten sowie Beeren.
  • Omega-3-Säuren: Bestimmte langkettige Omega-3-Fettsäuren – vor allem die Docosahexaensäure (DHA) – sollen vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen, den Blutdruck senken und entzündungshemmend wirken. Überdies sollen sie die kognitiven Leistungen von Kleinkindern verbessern. Die Zufuhr dieser wertvollen ungesättigten Fettsäuren ist jedoch bei veganer Ernährung deutlich geringer als bei omnivorer Ernährungsweise, vor allem aber im Vergleich zum Verzehr von Fisch. Obwohl Raps und Leinsamen einen hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren aufweisen, kann im Körper nur etwa zehn Prozent davon zu DHA umgewandelt werden.
  • Proteine: Eiweiße sind grundlegende Stoffe für den Aufbau des Körpers – Muskeln, Hirn und Haut bestehen überwiegend aus ihnen. Proteine pflanzlicher Herkunft weisen eine andere Aminosäurenzusammensetzung auf als solche tierischen Ursprungs; ihre biologische Wertigkeit ist daher – mit Ausnahme von Sojaprotein – geringer.
    Proteinmangel führt zu Wachstumsstörungen, Muskelschwäche und Anämie. Bei vegan ernährten Kindern, besonders bei Säuglingen, sollte daher die Zufuhr deutlich erhöht werden. Viel Protein enthalten Hülsenfrüchte, Nüsse, Vollkorngetreide, Ölsamen, Kartoffeln und Tofu sowie Seitan.
Tipp
Um eine ausreichende Versorgung mit all diesen Stoffen zu gewährleisten, ist es empfehlenswert, Nährstoff-Tabellen zu führen.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die strikt vegane Ernährung bei Kleinkindern zu schwerwiegenden Problemen führen kann. Dies ist umso mehr der Fall, wenn die Eltern sich in Ernährungsfragen nicht auskennen. Pommes und Ketchup zum Beispiel sind sehr wohl vegan, aber nicht unbedingt gesund.

Eine nicht dogmatische vegane Ernährung, die Mangelerscheinungen vermeidet, hat aber auch positive gesundheitliche Auswirkungen. So gibt es Hinweise, dass vegan ernährte Kinder später weniger anfällig für Übergewicht sind. Ohnehin geht eine vegetarische Ernährung mit einer niedrigeren Prävalenz von Übergewicht einher; möglicherweise ist auch die Mortalität infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen niedriger. Diese Befunde können allerdings auch damit zu tun haben, dass Vegetarier tendenziell eher auf einen gesunden Lebensstil achten.

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Katharina Schulze, glücklich mit Eis.
quelle: instagram/katharina schulze / instagram/katharina schulze
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