Tobias ist "Bookfluencer", bekennender Vielleser und hat darüber nun selbst, zusammen mit Autor Florian Höper, ein Buch geschrieben ("Lesen ist deine Superkraft", Redline Verlag) – erstaunlich, wenn man bedenkt, dass er Lesen lange als "Quälerei" betrachtet hat:
Umso beachtlicher, dass er mittlerweile "so rund 100 Bücher im Jahr" liest, wie er im Gespräch mit watson sagt. Vor allem hat er Spaß daran: "Ich trauere um Tage, an denen ich es nicht schaffe, zu lesen."
Uns hat er erklärt, wie er vom Lesemuffel zum Bücherwurm wurde und welche Fehler die meisten Menschen machen, die Lesen anstrengend finden.
Für Tobias legte sich der Schalter 2019 um, als er für sein Kind Geld anlegen wollte. "Ich kaufte mehrere Finanz-Ratgeber und begriff zum ersten Mal, wie krass es ist, dass ich auf das Lebenswissen eines Experten zugreifen kann – für den läppischen Preis eines Buchs. Irgendwie war das für mich Nichtleser eine echte Erkenntnis."
Zuerst liest er sich in Finanzen ein, dann Psychologie, Philosophie. "Mit jedem Thema ging eine neue Tür auf", erinnert er sich. "Heute habe ich immer mehrere Bücher unterschiedlicher Genres parallel am Start. In einer Jackentasche trage ich schmale Werke, wie derzeit 'Siddhartha' von Hermann Hesse, herum. Das lese ich nur, wenn ich diese Jacke anhabe."
Was ihn anfangs frustriert? Das eigene Lesetempo. Also beginnt er sich die eigenen Lesehürden anzuschauen: "Bei mir waren es zwei ganz typische."
"Der erste Gamechanger war, dass ich nicht mehr zurückspringe in Texten", berichtet Tobias. Wenn er früher einen Satz nicht richtig erfasst hatte, las er ihn wieder und wieder, hing fest. Ein Frust, den man sich sparen kann, wie er heute weiß: "Meistens erschließt sich das Hirn die fehlende Information, sobald man weiterschreitet."
Sein erster Tipp: Wer im Text ins Stolpern kommt, sollte nicht zurückspringen. Keine Sorge, der Inhalt fügt sich meist von allein wieder zusammen.
"Die zweite Sache war, dass ich immer noch laut im Kopf mitgelesen habe", gibt Tobias zu und führt aus:
Wie das funktioniert? Indem man die Geschwindigkeit anhebt. Tobias probierte mehrere Techniken aus. "Ich bin das spielerisch angegangen, habe in Schleifen über den Text geschaut, oder bin im Zickzack über die Zeilen geflogen. Ich habe geschaut, was für mich funktioniert."
Entscheidend ist, dass man nicht Wort für Wort entschlüsselt, sondern dem Hirn einen größeren Happen zum Verschlingen gibt – so gerät man in den Flow. Auch Erwachsene können das lernen. "Beim Lesen bleiben viele bei Grundschultechniken", weiß Tobias. "Das ist unnötig zäh."
Sein zweiter Tipp: Textteile eher scannen als einzeln entziffern, das Hirn gewöhnt sich daran und erfasst den Inhalt trotzdem.
Dass viele Menschen das Lesen anstrengend finden, ist Tobias bewusst. "Wenn ich Menschen von meiner Arbeit erzähle, ist fast immer die erste Frage: Wie schaffst du es, so viel zu lesen?", amüsiert er sich. "Für manche ist es richtig viel, wenn ich sage: 'Ich lese eine Stunde am Tag.'"
Dabei sei eine Stunde vergleichsweise nichts, wenn man bedenkt, wie viele Menschen ohne Probleme zwei Stunden am Tag auf Social Media unterwegs seien. Oder drei Folgen ihrer Lieblingsserie am Abend bingen. "Lesen ist auch Entertainment", sagt er. Nur ohne Dopaminrausch. "Deshalb: Handy weglegen, wenn du ein Buch lesen willst. Am besten in ein anderes Zimmer", sagt Tobias.
Leseroutine zu entwickeln, sei nicht kompliziert. "Wenn du im Bus auf dem Weg zur Arbeit statt dem Handy ein Buch zückst, kommst du locker auf 30 Minuten am Tag, dann noch abends ein paar Seiten zum Einschlafen und das war's", sagt er.
Im Wartezimmer, in der Mittagspause, auf Klo – wer regelmäßig ein Buch aufschlägt, wird routinierter. "Letztlich ist es wie bei Sportarten auch. Wer viel trainiert, wird besser", erläutert Tobias. "Es reicht, mit 20 Seiten am Tag anzufangen."
Warum fällt es vielen Menschen dennoch schwer, das Lesen (wieder) aufzunehmen? Oft stecken dahinter sperrige Glaubenssätze. Zum Beispiel, dass jedes Buch beendet werden muss. Tobias kennt das:
Er selbst lese stattdessen mehrere Bücher gleichzeitig. So könne er immer zu dem Greifen, auf das er gerade Lust habe. Sachbuch oder Biografie? Tobias entscheidet nach Tagesform. "Ich erlaube mir sogar ganze Kapitel zu skippen, wenn sie mir nichts geben", sagt er. Für viele ein Skandal. Für den Bookfluencer pragmatisch.
Denn wer sich beim Lesen quält, hört irgendwann auf. Laut dem Statistischen Bundesamt verbringen Menschen in Deutschland sowieso nur noch 27 Minuten am Tag mit gedruckten oder digitalen Medien – rund 16 Prozent weniger als noch vor zehn Jahren. Dabei sind es die Ü65-Jährigen, die den Schnitt mit 54 Minuten nach oben ziehen, junge Erwachsene kommen nur auf 11 Minuten Lesezeit am Tag.
Sie konsumieren eher News-Happen aus sozialen Netzwerken. Diese "verschaffen uns einen kleinen Dopaminrausch, regen unsere Emotionen an", weiß Tobias, der auch als Social-Media-Berater tätig ist. "Algorithmen belohnen knappe, emotionale Informationsbrocken. Ohne tieferes Wissen zum Thema, ohne Kontext, sind diese für Leser:innen aber gehaltlos", sagt er.
Das weiß wohl jeder Mensch, der online schon einmal eine Stunde herumgeklickt hat und zehn Minuten später nur noch Headlines erinnert. "Umfassendes Wissen erhält man nicht auf Social Media", sagt Tobias. "Dafür muss man Bücher lesen, Artikel, Fachliteratur." Wer das nicht tut, trainiert seinem Hirn regelrecht ab, sich länger mit einem Thema zu befassen. Der Booktoker erklärt:
Über Bücher könne man sich in die Köpfe von Nobelpreisträger:innen einhacken, Zeitreisen bis zur Antike machen oder in andere Länder eintauchen, ohne je ein Flugzeug zu betreten, erklärt er. Zudem erfordere es weder die Freigabe von Daten noch ein Bombardement an Werbung. Tobias: "Ein Leben voller Bücher ist wie ein Schlüsselbund, der dir unzählige Türen öffnet."