Leben
Nah dran

Trinkgeld-Debatte: Kellnerin packt über dreiste Gäste und Belästigungen aus

Kellnern kann schnell zum Knochenjob werden: Das hängt oft auch von Gästen ab.
Kellnern kann schnell zum Knochenjob werden: Das hängt oft auch von Gästen ab. bild: pexels
Nah dran

Schmierige Anmachen und unverschämtes Benehmen: Eine ehemalige Kellnerin packt aus

17.12.2023, 16:49
Mehr «Leben»

5, 10, 20 oder sogar 25 Prozent Trinkgeld?

Die Frage nach der Höhe des Trinkgeldes ist umstritten – und setzt schnell unter Druck. Weil man vor seinen Freund:innen nicht als Geizhals dastehen will oder weil man am Ende des Monats selbst sehen muss, wo man bleibt.

Daher ist auch die Trinkgeld-Debatte aufgeladen. Der Besuch im Restaurant ist ohnehin schon teuer – und dürfte im neuen Jahr endgültig zum Luxus-Erlebnis werden. Der Grund: Die aufgrund der Corona-Pandemie vergünstigte Mehrwertsteuer wird von sieben wieder auf die regulären 19 Prozent angehoben.

"Die oberste Devise lautet: Der Gast ist König. Und Anstand müssen König:innen wohl nicht immer bewahren."

Eine mögliche Folge: Weil der Restaurantbesuch teurer wird, geben die Gäste weniger Trinkgeld – sehr zum Nachteil der Kellner:innen. Immerhin verdienen die keinen Cent mehr und haben selbst mit steigenden Preisen zu kämpfen. Auch wenn Kellner:innen in Deutschland bei Weitem nicht so wenig verdienen wie etwa in den USA: Reich wird man mit dem Gehalt auch hier nicht.

Dabei versüßen uns die Abende mit Freund:innen in Restaurants und Bars regelmäßig das Leben. Guter Service sollte entsprechend entlohnt werden. Das zumindest ist meine Meinung. Denn Kellnern ist nicht selten auch ein Knochenjob.

Gemeinsam mit Freund:innen genießen wir gern unsere Abende im Restaurant.
Gemeinsam mit Freund:innen genießen wir gern unsere Abende im Restaurant. Bild: dpa / Hannes P Albert

Und ich spreche aus Erfahrung. Denn bevor ich mit dem Schreiben mein Geld verdient habe, habe ich als Kellnerin gejobbt. In gehobeneren Restaurants, in denen hauptsächlich Geschäftsleute und Familien gegessen haben, aber auch in bodenständigeren Läden.

Es muss oft schnell gehen, aber dass man im Stress ist, sollen die Gäste nicht mitbekommen.
Es muss oft schnell gehen, aber dass man im Stress ist, sollen die Gäste nicht mitbekommen.bild: pexels

Hagelt es billige Anmachsprüche? Und sind die Gäste wirklich so dreist? Die Antwort: Ja und ja. Jedenfalls muss man als Kellnerin so einiges über sich ergehen lassen, denn die oberste Devise lautet: Der Gast ist König. (Und Anstand müssen König:innen wohl nicht immer bewahren.)

Als Kellner:in ist man eine Art Blitzableiter.

Jede Laune, ob gut, gereizt oder am Boden zerstört, bekommt man direkt ab: Der Geschäftsmann, der telefoniert und mit den Fingern schnipst, um seine Bestellung aufzugeben und einen dann auch noch anblafft, dass er nicht für immer Zeit habe.

"Ein Tipp an alle Männer da draußen: Auch, wenn eine Kellnerin nett lächelt: Nein heißt Nein heißt Nein. Und Punkt."

Oder die Männerrunde, die ein Bier nach dem anderen bestellt, um bei jeder Bestellung einen (billigen) Anmachspruch loszuwerden und sich dafür gegenseitig auf die Schulter zu klopfen.

Alles nur Klischees? Von wegen.

Hier kommt ein Best-of dreister Gäste:

Unfreundlich, miese Masche und kein Cent Trinkgeld

12 Uhr unter der Woche – das ist genau die Zeit, in der die Geschäftsleute kommen. Immer im Anzug, immer das Handy am Ohr und fast immer in Eile. Einer dieser Geschäftsmänner setzte sich, lautstark telefonierend, an einen Tisch. Ich lächelte und formte ein tonloses "Hallo" mit den Lippen. Er nickte nur und zeigte auf ein Fischgericht auf der Karte. Ich verstand und ging schnellen Schrittes in Richtung Küche.

Mittags muss es oft schnell gehen. Viele Geschäftsleute arbeiten sogar, während sie im Restaurant sitzen.
Mittags muss es oft schnell gehen. Viele Geschäftsleute arbeiten sogar, während sie im Restaurant sitzen.bild: pexels

Wenig später brachte ich ihm sein Gericht, er aß, das Telefon noch immer am Ohr. Als ich wiederkam, um zu fragen, ob es ihm schmeckte, schüttelte er den Kopf. Ich entschuldigte mich und fragte, was das Problem sei. Er murrte nur vor sich hin.

Meine Chefin bekam mit, dass etwas nicht in Ordnung war und kam ebenfalls an den Tisch. Als sie hörte, dass es ihm nicht geschmeckt hatte, erließ sie ihm kurzerhand die Rechnung. Er bedankte sich nicht einmal und stand ohne ein weiteres Wort auf.

Doch als wäre das nicht unfreundlich genug, kam er am nächsten Tag wieder – und bestellte das gleiche Essen noch einmal. Ich traute meinen Ohren kaum und fragte freundlich nach, ob er sich nach gestern sicher sei. Jap, sei er.

Welch Wunder: Das Gericht schmeckte ihm auch an diesem Tag nicht. Er forderte, die Chefin zu sprechen und war entrüstet, als diese nicht erneut anbot, ihm die Kosten zu erlassen. Wutschnaubend stand er auf, bezahlte und ging.

"Bei deinen schönen Augen" – unangenehme Anmachen

Anderer Tag (oder eher Nacht), anderes Restaurant.

Es war gut 21 Uhr an einem Samstagabend. Da kam eine Gruppe junger Männer rein, sie lachten und scherzten. Jackpot, dachte ich: Fröhliche Leute machten jede Schicht besser.

Einer von ihnen riss einen Witz nach dem anderen. Am Anfang war das lustig, bis er plötzlich seine Taktik änderte. "Du hast so schöne Augen", sagte er. Und dann: "Du hast das schönste Lächeln, das ich je gesehen habe. Kann ich deine Nummer haben?" Ich schüttelte lächelnd den Kopf.

Doch er ließ nicht locker, fragte immer und immer wieder.

Die eigentliche Aufgabe der Kellner:in ist nicht das Servieren, sondern den Gästen eine gute Zeit zu bereiten.
Die eigentliche Aufgabe der Kellner:in ist nicht das Servieren, sondern den Gästen eine gute Zeit zu bereiten.bild: pexels

Ich erfand einen Freund, den ich nicht hatte. Aber auch das wirkte nicht. "Wie lange musst du noch arbeiten?", wollte er wissen. Meine Schicht ging noch bis um zwei Uhr nachts, plus aufräumen und putzen. Über vier Stunden, vielleicht würde ihn das abschrecken? "Komm, geh einmal mit mir aus, Süße", versuchte er es erneut. "Nein, danke. Ich möchte nicht."

"Er zahlte und legte mir 15 Euro Trinkgeld auf den Tisch. Viel zu viel. Ich zögerte."

Der Gast ist König. Immer schön höflich bleiben, sagte ich mantraartig und bediente eine andere Gruppe. Schließlich fragte er nach der Rechnung und ich atmete erleichtert auf. Puh, geschafft. Er zahlte und legte mir 15 Euro Trinkgeld auf den Tisch. Viel zu viel. Ich zögerte. "Nun nimm schon", sagte er, drückte mir das Geld in die Hand und stand auf. "Und du willst wirklich nicht mit mir ausgehen?"

Nein, verdammt, dachte ich. Glaubte er, ich sei käuflich? Ich fühlte mich schlecht. Über das viele Trinkgeld konnte ich mich nicht freuen.

Aber wenigstens ging er.

Der Abend verlief normal weiter, es wurde Mitternacht, schließlich 2 Uhr morgens. Meine Kollegin und ich putzen, und stellten die Stühle auf die Tische. Endlich Feierabend. Ich gähnte und sehnte mich einfach nur nach meinem Bett. Doch als ich die Tür öffnete, stand er da wieder: Der Typ, der schon den ganzen Abend über meine Nummer haben wollte.

"Kellnern ist ein Job, der einem das Leben der Leute näher bringt. Völlig abseits der eigenen Bubble."

Was soll das? Verdammt noch mal, ist ein "Nein" so schwer zu verstehen? Ein Tipp an alle Männer da draußen: Auch, wenn eine Kellnerin nett lächelt: Nein heißt Nein heißt Nein. Und Punkt.

Im Endeffekt lief es darauf hinaus, dass meine Kollegin ihn dazu aufforderte, sich zu verpissen – und mich schließlich nach Hause brachte. Was für ein Abend!

Diese Gäste geben das meiste Trinkgeld

Aber: Es gibt auch nette Gäste. Und die sind in der absoluten Mehrheit. Auch wenn man immer mal wieder als Blitzableiter herhalten muss, die meisten Gäste sind nett und freuen sich, wenn man das ebenfalls ist.

Und genau das ist das große Geheimnis.

Meine Kolleg:innen – im Gegensatz zu mir gelernte Kellner:innen – haben mich oft staunend gefragt, warum ich so viel Trinkgeld bekäme. Was mein Trick sei.

Ganz ehrlich?

Ich war einfach nett. Habe mir Zeit genommen für Omis, die Kuchen bestellt und Redebedarf hatten. Und habe mich beeilt, wenn jemand unter Zeitdruck stand. Ich habe Kindern mit großen Augen mein "riiiiesiges Kellnerportemonnaie" gezeigt und konnte vor allem bei großen Gruppen damit punkten, dass ich Gerichte und Getränke nicht notierte, sondern im Kopf behielt (und fast immer richtig an den Tisch brachte).

Restaurant-Gäste wollen eine kurze Pause von ihrem Leben: Nicht kochen, kein Stress – einfach eine gute Zeit.
Restaurant-Gäste wollen eine kurze Pause von ihrem Leben: Nicht kochen, kein Stress – einfach eine gute Zeit.bild: pexels

Kellnern ist ein Job, der einem das Leben der Leute näher bringt. Völlig abseits der eigenen Bubble. Man lernt, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, sie zum Lächeln zu bringen und ihnen den Abend zu versüßen.

Das Lächeln der Gäste, aber auch das Trinkgeld, waren der Ausdruck dafür, dass sie eine gute Zeit hatten.

Ob nun 5, 10, 20 oder gar 25 Prozent Trinkgeld ist nicht entscheidend. Vielmehr zählt die Wertschätzung gegenüber Kellner:innen.

Ach ja, und wer gibt nun das meiste Trinkgeld? Meist nicht die Anzugträger:innen, die die teuersten Gerichte bestellen, sondern diejenigen, die eher weniger zu haben scheinen.

Extremer Amazon-Fail: Statt "Magnolia Parks" bekommt Kundin was völlig anderes

Wir alle kennen das Gefühl, das Falsche bestellt zu haben. Sei es die Jeans, die nicht passt, das T-Shirt, das online ganz anders aussah oder auch der Zucchininudel-Maker, den einem die Werbung bei Instagram aufgeschwatzt hat, ohne dass man ihn wirklich braucht.

Zur Story