Ein Blick auf Großbritannien lässt so manchen hierzulande vor Neid erblassen: Leute feiern in Bars und Restaurants – ohne Masken, Kontaktbeschränkungen oder Ausgangssperren. Der rund siebenmonatige Lockdown im Land wurde am 12. April aufgehoben. Seitdem kehrt das öffentliche Leben wieder zur Normalität zurück. Die Außenbereiche der Gastronomie durften öffnen, auch Fitnessstudios und Geschäfte können wieder betreten werden.
Die Öffnung haben die Briten den gesunkenen Corona-Zahlen im Land zu verdanken. Die Anzahl der Neuinfektionen lagen im Vereinigten Königreich am Mittwoch bei etwa 2400, in Deutschland waren diese im Vergleich zehnmal so hoch (24.300). Außerdem erhielten etwa 63 Prozent der britischen Bevölkerung inzwischen ihre erste Corona-Impfung, viele von ihnen mit dem in Deutschland skeptisch beäugtem Vakzin Astrazeneca. Allerdings wird auch in Großbritannien nach Alter und Risikogruppe geimpft. Heißt: Viele Menschen unter 50 Jahren warten noch auf ihre Spritze.
Dennoch versammelten sich gerade die jungen Briten zahlreich in den Pubs, um zusammen mit ihren Freunden auf das Ende des Lockdowns anzustoßen. In Deutschland kann man sich kaum noch daran erinnern, wie sich so ein Abend anfühlt. Wie geht es also den Briten mit ihrer neu gewonnen Freiheit? Bei watson berichten es drei von ihnen.
Siobhan MacPherson ist 30 Jahre alt und wohnt in London.
"Ich war einfach nur glücklich, wieder in Bars gehen zu können. Noch geht das nur im Außenbereich, aber ich kann es nicht erwarten, im Sommer auch wieder drinnen essen und trinken zu dürfen. Ich lebe alleine und so war der Lockdown ziemlich einsam – ich brauchte die Öffnung, sonst wäre ich verrückt geworden! Ich bin viel joggen gegangen und habe gelernt. Aber es gab viel zu selten Gelegenheit, mal mit anderen Menschen zusammen etwas Entspanntes machen zu können, einfach runterzukommen.
Ich habe ein bisschen Sorge vor dem Winter. Aber ich denke, dass Covid-19, wie jeder andere Grippevirus, mit einer saisonalen Impfung in Schach gehalten werden kann. Die Hoffnung ist jetzt greifbar!"
Owen Jackson ist 34 Jahre alt und arbeitet in Sheffield.
"Ich habe das Ende des Lockdowns damit verbracht, einen neuen Job anzufangen und musste zum ersten Mal seit langem wieder ins Büro fahren. Die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln war anfangs ein bisschen beunruhigend, aber am Ende in Ordnung. Die meisten Büro-Angestellten arbeiten allerdings weiterhin von zu Hause aus, was komisch ist, weil man die Kollegen so gar nicht richtig kennenlernen kann.
Überhaupt habe ich im Lockdown vor allem andere Menschen vermisst. Ich habe wochenlang nur meine Frau sehen können und – so fantastisch sie auch ist – das fühlte sich schon sehr isoliert an. Am schlimmsten war es, meine Familie sieben Monate lang nicht sehen zu können, das war wirklich hart.
Ich mache mir immer noch Sorgen wegen Corona. Es sieht so aus, als ob es hier in Großbritannien besser wird, aber das ist nicht überall auf der Welt der Fall. Und da es sich hier um eine globale Pandemie handelt, reicht es nicht, sich nur über das Heimatland Gedanken zu machen. Komischerweise sorgt mich am meisten die Rückkehr zu normale Dingen des Lebens – das Pendeln zur Arbeit und der hektische Lifestyle, den man so hat. Ich habe mir fest vorgenommen, Arbeit und Privatleben in Zukunft besser auszubalancieren, auch wenn der normale Alltag wieder losgeht."
Rachel Thompson ist 33 Jahre alt und lebt in South Yorkshire.
"Ich habe das Ende des Lockdowns damit gefeiert, meinen 1,5-jährigen Sohn Theo endlich mal in Cafés mitzunehmen. Es war ein bisschen überwältigend, das plötzlich zu tun, nachdem so lange nichts dergleichen möglich gewesen ist. Ich war tatsächlich auch ein bisschen nervös, ihn an diese öffentlichen Plätze mitzunehmen. Vergangenes Wochenende haben wir uns zum ersten Mal in einen Biergarten gewagt und das fühlte sich an wie ein riesiges Vergnügen! Das Tollste für mich war aber, dass Theo seine Großeltern wieder im Garten sehen konnte – nach einem seltsamen Jahr ohne direkten Kontakt.
Dummerweise bin ich im Lockdown umgezogen und habe dadurch keine neuen Leute kennenlernen können. Meine alten Freunde in London fehlen mir besonders, vor allem, da ich ja nun theoretisch die Möglichkeit hätte, sie wiederzusehen.
Ich sorge mich sehr, wenn ich in den Zeitungen mal wieder von der dritten Welle lese und versuche, die Nachrichten inzwischen ganz zu umgehen, weil es mich zu sehr beunruhigt. Ich möchte und muss glauben, dass die Impfungen es uns ermöglichen, das Virus bis zum Winter unter Kontrolle zu bringen. Denn ein weiteres Covid-Weihnachten wäre herzzerreißend."