In den vergangenen Wochen häuften sich Berichte zu Rechtsextremismus-Fällen in der Polizei. Betroffen sind etwa Dienststellen in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Berlin oder Nordrhein-Westfalen. Bundesinnenminister Horst Seehofer legte kürzlich einen Lagebericht vor, sagte, dass 99 Prozent der Polizistinnen und Polizisten in Deutschland verfassungstreu seien. Experten bezweifeln jedoch die Aussagekraft dieses Papiers.
Simon Neumeyer war 2016 Polizeischüler in Sachsen, brach seine Ausbildung jedoch bereits neun Monate später aufgrund von Rassismus innerhalb des Kollegenkreises ab. Seine Kollegen sollen Texte von rechtsextremen Bands gesungen oder extreme Rechte in Schutz genommen haben. Simon selbst zeigte Haltung, positionierte sich dagegen. Darauf folgten Probleme.
Bei watson schildert er seine Geschichte und erklärt, was sich bei der Polizei ändern muss, damit es nicht zu weiteren Fällen kommt.
Ich wollte schon als Jugendlicher für Recht und Gesetz eintreten, da war der Polizeiberuf eine naheliegende Wahl. Die Idee entstand aus einem Gerechtigkeitssinn heraus, was für den Job keine schlechte Eigenschaft ist. Zu dem Zeitpunkt war ich 16 oder 17 Jahre alt. Irgendwann hat sich Polizist zum Traumberuf entwickelt. Leider konnte die Realität meiner Vorstellung nicht gerecht werden.
Die ersten Sprüche fielen bereits in den ersten zwei Wochen. Als die Kollegen miteinander warm wurden, sagten die ersten Dinge wie "die AfD ist keine rechtsextreme Partei" oder "lieber wähle ich braun als grün". Genauso sang einer Songs der rechtsextremen Band Stahlgewitter.
Ältere Kollegen äußerten sich ebenfalls problematisch. Hieß es etwa in den Medien, Nazis randalieren, entgegneten sie, dass darunter doch auch ganz normale Bürger seien, man dürfe die nicht alle über einen Kamm scheren. Mit der Zeit wurden wir immer wärmer, die Aussagen heftiger. Schnell fragte ich mich, was ich dort, bei der Polizei, eigentlich soll.
Ich distanzierte mich stets, konfrontierte die Leute mit ihren Aussagen. Die winkten jedoch ab, machten dicht und grenzten mich aus. Es ist ein Teamgefüge, das durch derlei Konflikte schnell bedroht wird. Entsprechend machte ich mich unbeliebt, wenn ich gegen etwas argumentierte. Nicht alle fanden die rechten Sprüche okay, aber nur ich sprach mich dagegen aus. Noch ein Problem, denn wenn nur einer etwas sagt, wird er als nicht normal wahrgenommen – völlig egal, ob er recht hat.
Die Situation spitzte sich weiter zu. Ein Schießlehrer sagte etwa, dass wir schießen lernen sollten, da mehr Geflüchtete nach Deutschland kommen. Angst um meine körperliche Gesundheit hatte ich nicht. Trotzdem war die Situation nicht angenehm. Nach neun Monaten solcher oder ähnlicher Aussagen brach ich die Ausbildung zum Polizeibeamten ab.
Viel machen konnte ich ohnehin nicht. In der Polizei gab es keine Anlaufstelle, an die ich mich hätte wenden können. Für anonyme Beschwerden gab und gibt es nach wie vor keine Möglichkeit. Ich hätte also Kollegen in meinem Namen melden müssen. Wenn es da zu einem Disziplinarverfahren gekommen wäre, wäre es für mich noch ungemütlicher als ohnehin schon geworden.
Hätte es damals eine anonyme Beschwerdestelle gegeben, wäre ich geblieben. Immerhin hätte ich damit nicht mich oder auch eine mögliche Karriere gefährdet. Trotzdem bereue ich es nicht, gegangen zu sein. Jetzt, wo immer mehr Rassismusfälle der Polizei an die Öffentlichkeit kommen, ist es für mich viel einfacher, von außen darauf einzuwirken – etwa mit Interviews. Ich hoffe, dass sich wegen des Drucks, den ich ausübe, etwas in der Polizei ändert. Na ja, das ist bislang aber eher weniger der Fall. Sieht man doch aktuell.
Die bekanntgewordenen Fälle in Nordrhein-Westfalen oder Mecklenburg-Vorpommern überraschen mich jetzt nicht. Es war eine Frage der Zeit, bis wieder etwas auftaucht. Natürlich ist das alles äußerst alarmierend, auch weil wieder auffiel, dass Menschen im Verfassungsschutz Nähe zu rechtsextremen Strukturen haben. Wie man da noch von Einzelfällen sprechen kann, verstehe ich nicht. Auch dass NRW-Innenminister Herbert Reul oder auch Horst Seehofer sagen, es gäbe kein strukturelles Problem.
Ja, die Polizei ist nicht grundlegend rassistisch. Die Polizei hat aber insofern ein strukturelles Problem, als dass es innerhalb der Institution keine Strukturen gibt, die Rassismus konsequent verhindert. Es muss endlich unabhängige Kontrollstellen in der Polizei geben, bei denen Kolleginnen und Kollegen anonym gemeldet werden können – sei es wegen unrechtmäßiger Polizeigewalt oder auch Rechtsextremismus. Und es gibt noch weitere Baustellen.
Auch die Selbstkontrolle muss aufhören. Die Polizei ist, glaube ich, die einzige Institution, die Ermittlungen gegen sich selbst ausführt. Eine externe Stelle wäre wesentlich sinnvoller, allein wegen des Interessenskonflikts. Außerdem sollte es eine transparente Fehlerkultur geben. Das hat sich die Gesellschaft verdient. Die Polizei muss das als demokratisches System aushalten können.
Wenn Seehofer sagt, nicht jeder Polizist ist Rassist, stimme ich ihm zu. Denn der Polizeiapparat selbst ist rassistisch veranlagt. Nehmen wir mal Racial Profiling: Jetzt gibt es am Kölner Bahnhof das Phänomen, dass Menschen mit Migrationshintergrund häufiger auffallen. Das rechtfertigt aber nicht, vorwiegend People of Color zu kontrollieren. Genau das weist ja auf rassistische Strukturen hin. Es muss sich etwas bei der Polizei etwas tun, ganz klar.
Bis heute melden sich noch Polizistinnen und Polizisten bei mir, die in einer ähnlichen Situation stecken wie ich damals. Denen versuche ich zu helfen. Das kann ich aber nicht allein, es braucht endlich einen Wandel des Polizeiapparats.
Protokoll: Tim Kröplin