Raffaella ist gerade einmal 27 Jahre alt, als sie 2020 in der Badewanne einen Knoten in ihrer Brust ertastet. Sie ist Nichtraucherin, sportlich und Vegetarierin. Trotzdem erwischt es sie: Diagnose Brustkrebs.
"Aber du bist doch noch so jung!" – diesen Satz habe sie ständig gehört, sagt sie. "Die meisten Menschen denken, Brustkrebs kriegen nur Frauen ab 40 Jahren." Auch die inzwischen 30-jährige Hessin selbst hätte im Leben nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet sie einen bösartigen Tumor entwickeln würde. Chemo-Therapie inklusive.
Inzwischen gilt sie als krebsfrei, wird jedoch weiterhin hormonell behandelt und sagt: "Ein bisschen Angst bleibt einfach da." Wie sich das anfühlt, erzählt sie watson.
Mitten in der Corona-Zeit habe ich zum ersten Mal den Knoten bemerkt, der seitdem mein Leben auf den Kopf gestellt hat. Ich lag gerade in der Badewanne und bemerkte an meiner Brust einen Hubbel. Da war ein Knoten im Gewebe, mit fühlbaren Strängen, wehgetan hat es aber nicht. Es war mitten im Lockdown und ich hatte gerade mit einer Bronchitis zu kämpfen. Deshalb konnte ich nicht direkt zum Arzt. Meinen Schwestern erzählte ich zwar von meiner Entdeckung, aber die sagten: "Es wird sicher nichts sein. Lass das einfach abchecken, sobald es wieder möglich ist." Und so habe ich es ja auch empfunden. Wird schon nichts Schlimmes sein.
Ich bin Nichtraucherin, mache Sport, ernähre mich vegetarisch. In meiner Familie haben wir keine genetische Vorbelastung. Warum hätte es mich also treffen sollen?
Zwei Wochen später ging ich zur Frauenärztin. Die überwies mich direkt an eine Klinik, sagte aber ebenfalls: "Sie sind ja noch so jung. Lassen Sie uns einfach sicher gehen." Auch der Chefarzt in der Klinik glaubte nicht, dass es etwas Bösartiges wäre, aber sie machten eine Biopsie und schickten die Probe ins Labor. Drei Tage später klingelte mein Telefon.
"Bitte schauen Sie bei uns vorbei, damit wir die Ergebnisse besprechen können." Als ich das hörte, hab ich mir schon gedacht, was jetzt kommt. Nachdem die Diagnose Brustkrebs im Büro des Arztes ausgesprochen war, konnte ich gar nicht mehr hören, was er weiter erzählte. Da war so viel Angst und Hilflosigkeit. Ein wildes Gedankenkarussell. Ich dachte: War's das jetzt für mich?
Deshalb konnte ich die Operation zwei Wochen später gar nicht erwarten. Sie entfernten den bösartigen Tumor komplett und es sah nicht so aus, als ob er gestreut hätte. Trotzdem riet man mir im Anschluss zu einer Chemotherapie, um sicherzugehen. Gerade, weil ich ja noch so jung bin.
Insgesamt 24 Wochen lang musste ich durch die Chemotherapie. Gerade zu Beginn war es wirklich heftig: Die Medikamenten-Kombi, die man bekommt, wirkte auf mich wie ein mehrtägiger Dauerkater. Mir war schlecht, mir fehlte jede Energie und auch der Appetit war weg. An schlimmen Tagen übernachtete ich bei meinen Schwestern und Freundinnen, die mich bekochten und aufmunterten. Es ist sehr wichtig, in dieser Zeit nicht alleine gelassen zu werden.
Auch als mir die Haare ausfielen, waren meine Geschwister zur Stelle. Ich wusste ja, dass es so kommen würde und hatte mir im Vorfeld schon eine Kurzhaarfrisur geschnitten, um den Schock ein wenig abzufedern. Als die Haare dann trotzdem einfach vom Kopf rieselten, rief ich meine Schwestern an.
Sie kamen vorbei und rasierten drauflos, nicht ohne mir zuerst noch einen Vokuhila zu verpassen. Ich habe Tränen gelacht, als ich mich so im Spiegel sah. Es tat gut, auch mal lachen zu können inmitten dieser Krankheit, die so völlig unlustig ist.
Wenn ich mit Leuten über meine Krankheit ins Gespräch komme, ist die Reaktion immer ähnlich: "Aber du bist doch so jung!" – dieser Satz fällt sehr häufig. Für die meisten ist Brustkrebs eine Erkrankung, die vor allem ältere Frauen betrifft. Nun bin ich leider der lebende Beweis, dass es auch schon viel eher passieren kann.
Erste Gentests haben bislang keine Vorbelastung gezeigt, man muss also einfach sagen: Manchmal hat man eben Pech. Die Frage, warum es gerade mich trifft, habe ich mir am Anfang oft gestellt, es dann aber schnell abgelegt. Es nützt nichts, sich darüber zu ärgern. Ich bin eher froh, dass ich den Tumor so früh bemerkte und konzentriere mich jetzt darauf, gesund zu werden.
Mein Alter wirft ganz andere Fragen auf: So führt eine Chemotherapie zum Beispiel oft zu Unfruchtbarkeit. Ich musste also innerhalb weniger Tage entscheiden, ob ich einen halben Eierstock einfrieren lassen will, um irgendwann – und das auch nur mit 40-prozentiger Wahrscheinlichkeit – Kinder bekommen zu können. Ich bin Single und habe mir davor nie wirklich Gedanken darüber gemacht, aber plötzlich war diese Kinderfrage ganz akut und musste sofort beantwortet werden. Das war sehr schwierig. Am Ende habe ich mich für die Aufbewahrung eines Eierstocks entschieden, man weiß ja nie, was man sich in ein paar Jahren wünscht.
Auch eine Mastektomie (Anm. d. Red. vollständige Entfernung der Brustdrüse) ist noch im Gespräch. Ein umfassenderer Gentest soll Aufschluss geben, ob sich das für mich lohnt. Ein bisschen was liegt also noch vor mir: Nach der Chemo begann ich eine Anti-Hormontherapie, die noch andauert. Insgesamt fünf Jahre lang muss ich Tabletten nehmen und bekomme jedes Quartal eine Spritze. Diese Behandlung versetzt mich in eine Art frühzeitige Menopause, was nicht angenehm ist: Ich habe gefühlt jede halbe Stunde eine Hitzewallung, versuche aber, die Nebenwirkungen durch Sport und gesunde Ernährung so gut es geht auszubremsen.
Die Themen, mit denen ich mich die vergangenen Jahre auseinandersetzen musste, sind weit entfernt von denen meines Umfelds. Die sprechen über Babys oder wohin die nächste Reise geht. Das ist manchmal komisch für mich. Ich bemerke, dass einige Menschen mit dem Thema Krebs nichts zu tun haben wollen, gar nicht darüber sprechen können. Andere hören mir gerne zu und sind für mich da. Das ist mir unheimlich viel wert.
Krebs, besonders in so jungen Jahren, wirft neue Fragen auf: Selbst wenn ich das durchstehe, wie sieht es mit meiner Lebenserwartung aus? Manchmal erlebe ich drei Tage hintereinander, an denen ich gar nicht an Krebs denke, als wäre alles wieder wie vorher. Aber dann kommen die Gedanken wieder. Ein bisschen Angst bleibt einfach da.
Die Leute fragen mich oft, was ich jetzt ändern will. Aber vieles war genauso gut, wie es war. Ich bin zufrieden und glücklich mit den Menschen, die ich um mich habe. Das einzige, was ich mir vorgenommen habe, ist, die kleinen Dinge mehr zu schätzen und erfüllbare Wünsche direkt umzusetzen, nichts mehr aufschieben: Ich habe zum Beispiel angefangen, nebenbei als Tätowiererin zu arbeiten.
Ich möchte Leuten Mut machen, die wie ich an Krebs erkrankten, oder gerade erst ihre Diagnose erhielten: Es gibt gute und schlechte Tage und das ist okay so. Es hilft, einfach voranzugehen, Schritt für Schritt. Das Leben kann auch wieder unbeschwert sein, fröhlich, auch wenn man sich das in schlechten Phasen kaum vorstellen kann.
Aktuell bezeichnen mich Ärzte als "krebsfrei", doch als "geheilt" gelte ich erst, wenn meine Behandlung vorüber ist und nichts mehr nachwächst. Dann werde ich etwa 33 Jahre alt sein. Ich kann mir kaum vorstellen, wie befreiend sich das anfühlen muss, doch ich erlebe jetzt schon eine Vorschau: Mit jedem Jahr, das ohne ein Wiederaufleben des Krebses vorübergeht, fallen Steine von meinem Herzen ab. Ich hoffe darauf, dass das so bleibt, denn ich bin überzeugt: Da wartet noch ganz viel Leben auf mich in der Zukunft.