Nach dem Mordfall im Kreis Kusel: Was macht das mit jungen Polizisten und Polizistinnen im Dienst?Bild: iStock Editorial / Spitzt-Foto
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01.02.2022, 22:2102.02.2022, 08:31
Was am frühen Montagmorgen auf einer Landstraße im Kreis Kusel in Rheinland-Pfalz geschah, schockiert das Land. Bei einer Fahrzeugkontrolle wurden ein 29-jähriger Polizist und eine 24-jährige Auszubildende der Polizei erschossen. Auch wenn die Polizei inzwischen zwei Tatverdächtige festgenommen hat, wirft die Tat nicht nur kriminalistische Fragen auf. Wie nehmen Auszubildende der Polizei und junge Polizisten in Deutschland nun ihre tägliche Arbeit wahr?
Sie müssen sich auch nach diesem Vorfall weiterhin Situationen wie dieser stellen, denn nächtliche Verkehrs- oder Personenkontrollen gehören zur Routine der Polizeistreifen. Ist die Angst nun ihr täglicher Begleiter und wie werden solche Vorfälle innerhalb der Polizeiausbildung aufgefangen? watson hat bei der Polizeigewerkschaft in Rheinland-Pfalz und bei jungen Polizisten nachgefragt.
"Es ist ein schreckliches Erlebnis, das natürlich die Sinne schärft und ins Bewusstsein ruft, wie real die latente Gefahr, die der Polizeiberuf mit sich bringt, dann doch schnell werden kann", sagt Thomas Meyer, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft Rheinland-Pfalz.
Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in Rheinland-Pfalz, Thomas Meyer. bild: deutsche polizeigewerkschaft rheinland-pfalz
Laut Meyer sind Einsätze dieser Art, also nachts und als Zivilstreife, nicht nur für gestandene Polizistinnen und Polizisten Alltag, sondern auch Routine-Bestandteil jeder Ausbildung. "Daran ist nichts Ungewöhnliches." Die Studierenden werden laut Meyer in einem Studienmodul intensiv auf die Verkehrskontrollen vorbereitet und im Polizeipraktikum mehrfach von erfahrenen Praxisanleitern im „Echtbetrieb“ ausgebildet.
Dass es sich bei der nächtlichen Kontrolle im Zivilfahrzeug um eine übliche Praxis gehandelt habe, das bestätigt auch Martin D. (Name von der Redaktion geändert), ein 26-jähriger Polizist aus Bayern, im Gespräch mit watson: "Also die Kollegin und der Kollege waren ja in Uniform, aber in einem zivilen Fahrzeug. Das wird so gemacht, weil man mit einem zivilen Fahrzeug in der Nacht bessere Fahndungserfolge oder Kontrolltreffer erzielen kann, da das polizeiliche Gegenüber das Polizeifahrzeug nicht sofort erkennt."
Es sei auch nicht ungewöhnlich, dass der Streifenpartner, den man als Polizist für die Dauer des Praktikums, der Praxiszeit während des Studiums oder der Ausbildung zugeteilt bekommt, auch in der ganz normalen Nachtschicht mitkomme. "Wenn man im Studium oder in der Ausbildung weit genug ist, dann kann man definitiv als zweiter Mann in Streife mitfahren und da ist dann auch eine nächtliche Kontrolle definitiv üblich", sagt Martin D. gegenüber watson.
"Das wird so gemacht, weil man in der Nacht bessere Fahndungserfolge oder Kontrolltreffer erzielen kann, da das polizeiliche Gegenüber das Polizeifahrzeug nicht sofort erkennt."
Martin, junger Polizist aus Bayern gegenüber watson
Mit Blick auf die junge, verstorbene Polizistin treffe laut Gewerkschaftschef Meyer genau das zu: "Sie stand am Ende ihres Studiums, war in taktischer und rechtlicher Hinsicht sehr gut ausgebildet und letztlich im Begriff, sich auf die kommende Prüfung vorzubereiten." Ihre Mitstudierenden sowie alle Kolleginnen und Kollegen seien sehr betroffen, berichtet er. Die Geschehnisse seien auch im Rahmen des Psychologieunterrichts und innerhalb der Polizeiseelsorge angesprochen worden. Davon berichtet auch Dr. Frank Hallenberger, der Polizeipsychologe der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz. "Eine von ihnen wurde getötet in einer Phase, in der alle darauf brennen, in das nächste Praktikum zu gehen oder nach Absolvierung des Studiums den Dienst anzutreten", sagt er watson.
Wird die Polizei solche Einsätze in der Ausbildung also künftig verbieten? "Zu diesem Zeitpunkt ist es verfrüht, sich konkret damit auseinander zu setzen", sagt Thomas Meyer. Man würde aber ohnehin nach jedem Polizeieinsatz, ob positiv oder negativ gelaufen, die Situation neu bewerten und seine Lehren daraus ziehen. "Die eigene Sicherheit ist oberstes Gebot in der Ausbildung, aber auch danach", betont der rheinland-pfälzische Gewerkschaftschef, der aber auch weiß: "Angst ist immer ein schlechter Begleiter."
"Der Streifendienst ist das gefährlichste Arbeitsfeld der Polizei"
Markus R. (Name von der Redaktion geändert), hat vor zwei Jahren seine Ausbildung zum Polizisten beendet und ist nach dem Mord an zwei jungen Kollegen sehr betroffen: "Besonders, weil Verkehrskontrollen eine ganz alltägliche Aufgabe sind und man die oft ohne besondere Vorsicht durchführt", sagt der 31-Jährige vom Polizeipräsidium Reutlingen gegenüber watson. Natürlich sei man von Grund auf vorsichtig bei der Arbeit und wenn man mit Bürgern zu tun habe, doch von einer Verkehrskontrolle gehe im Normalfall nicht die gleiche Gefahr aus wie beispielsweise von einer Schlägerei.
Der Kontakt mit Bürgern gehört zum Polizeialltag. Im Normalfall ist das keine klassische Gefahrensituation.Bild: iStock Editorial / Pradeep Thomas Thundiyil
Auch Martin war schockiert, als er von dem Vorfall in den Nachrichten hörte. Auch wenn es sehr unüblich sei, dass so etwas passiert: "Also klar, verletzt im Einsatz, passiert immer wieder mal, aber dass man mit der Schusswaffe bedroht oder getötet wird, ist schon sehr ungewöhnlich. Und entsprechend hat mich das auch arg berührt und sehr schockiert, was da passiert ist."
"Ich habe mir auch selber schon Gedanken dazu gemacht, wie ich zukünftig Verkehrskontrollen durchführen werde."
Markus, junger Polizist aus Baden-Württemberg
Dass die Situation in Kusel so eskalieren konnte, dass am Ende zwei Polizisten tot sind, schockiert Markus. Er wundert sich auch über den Tathergang: "Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die Schüsse allein deswegen gefallen sind, um einer Strafe wegen Wilderei zu entkommen. Ich glaube, dass eventuell noch mehr vorgelegen haben könnte, als bisher bekannt ist. Das ist aber reine Spekulation."
Der Vorfall beeinflusst auch Markus Arbeitsalltag. Er erzählt:
"Ich habe mir auch selber schon Gedanken dazu gemacht, wie ich zukünftig Verkehrskontrollen durchführen werde. Auch wenn ich sie nicht mit gezogener Waffe durchführen werde, wie in Amerika, werde ich doch nochmal um einiges vorsichtiger und aufmerksamer sein."
Morgen wird Markus das erste Mal seit einiger Zeit wieder auf der Straße im Dienst sein. "Ich denke schon, dass es ein etwas anderes Gefühl sein wird. Es wird einem einfach wieder klar, dass zu jeder Zeit etwas passieren kann. Aber das weiß man eigentlich auch schon immer." Er erklärt watson: "Der Streifendienst ist eigentlich das gefährlichste Arbeitsfeld der Polizei, weil man vorher nie weiß, auf was oder wen man trifft."
Martin dagegen ist gerade noch in Elternzeit. Mit welchem Gefühl wird er in den Dienst zurückkehren? "Angst vor dem nächsten Einsatz habe ich nicht. Man geht aber mit besonderer Vorsicht heran, weil man mal wieder vor Augen geführt bekommen hat, dass es sehr gefährlich ist, diesen Job auszuüben."
"Man sollte sich auch selbst öfter überlegen, wie man in solchen Situationen handeln muss oder sich darüber klar sein, was in einem selbst dann vorgeht."
Markus R., ein junger Polizist gegenüber watson
Keine Schutzausrüstung bei Verkehrskontrollen
Eine Sache kritisiert Markus aber: Selbst das Sondereinsatzkommando SEK wisse immer vorher schon, dass es gefährlich wird, sei dementsprechend ausgerüstet und habe jede Menge Training. Das komme im Streifendienst leider häufig zu kurz: "Die Schutzausstattung, die wir haben, hat man eben bei einer Verkehrskontrolle nicht an, sondern nur, wenn ein Amoklauf oder irgendwelche gefährlichen Sachverhalte gemeldet werden", sagt Markus.
Es gebe zwar im Studium ein intensives Training, in dem jede Situation trainiert werde, doch nach der Ausbildung gebe es solche Trainings nur noch selten. "Man sollte sich auch selbst öfter überlegen, wie man in solchen Situationen handeln muss oder sich darüber im Klaren sein, was in einem selbst dann vorgeht."
Der junge bayerische Polizist Martin fühlt sich durch den Fall in der Bedeutung seines Berufes bestätigt: "Das sagt mir nur, dass es gerade jetzt eben besonders wichtig ist, dass man den Beruf ausübt, weil diese zwei mutmaßlichen Täter ja auch eine Gefahr für andere Leute sind."
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