Harter Lockdown, Lockdown light, Brücken-Lockdown: Mittlerweile haben wir ein breites Vokabular aufgebaut, um den gesellschaftlichen Stillstand zu umschreiben. Nun bahnt sich ein weiteres Unwort seinen Weg: die Ausgangssperre. Sie ist Teil der bundesweit einheitlichen Notbremse und des neuen Infektionsschutzgesetzes, das am Donnerstag womöglich vom Bundesrat verabschiedet wird.
Die Ausgangssperre besagt, dass ab einem Infektionsgeschehen von über 100 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner an drei aufeinanderfolgenden Tagen das öffentliche Leben zwischen 22 und 5 Uhr still steht, heißt: Man darf sich nicht mit anderen Menschen draußen treffen, keinen Besuch empfangen, allerdings noch bis Mitternacht spazieren oder joggen.
Wie bewerten junge Menschen in Deutschland diese Maßnahme? Watson hat gefragt, wie sie die Ausgangssperren finden – das sind ihre Antworten.
Ines S., 26, wohnt in Berlin und München. Sie ist Projektkoordinatorin und arbeitet im Marketing der ArrivalNews – einer Zeitung in einfachem Deutsch.
"Ich bin genervt. Wenn ich mich am Abend mit einer Freundin auf ein Bier treffe, sitzt mir schon direkt die Zeit im Nacken. Das ist super unentspannt. Unter der Woche halte ich mich in diesem Zeitraum sowieso zu Hause auf, weil ich am nächsten Tag arbeiten muss. Was normalerweise entspannt und erholsam ist, wird durch die Ausgangssperre zum Zwang und man fühlt sich automatisch eingesperrt."
Jasmin J., 19, aus Panketal in Brandenburg, macht eine Ausbildung zur Handelsfachwirtin.
"Ich halte von der Ausgangssperre gar nichts. Ob ich mich mit einem weiteren Haushalt vor oder nach 22 Uhr treffe, ist irrelevant. Anstecken kann ich mich auch um 19 Uhr.
Viele Menschen fahren erst spät am Abend nach Hause, ob von einem Familienbesuch, der Arbeit oder eben einem Treffen mit dem Partner. Diese Freiheit, die für uns die einzige ist, die wir aktuell ausleben 'dürfen', nochmals einzuschränken, ist sinnlos und grenzt an die Unmenschlichkeit derjenigen, die sich solch einen Schwachsinn ausgedacht haben."
Lennart L., 26, aus München, ist Weinverkäufer im Groß- und Einzelhandel.
"Als Münchner geht man dem Thema einer Ausgangssperre ein bisschen entspannter entgegen. Selbstverständlich ist das eine Einschränkung, aber ich verstehe auch, dass man jetzt, bei besser werdendem Wetter, das Risiko eindämmen möchte.
Da wir in Bayern mittlerweile an Ausgangssperren gewöhnt sind, ändert sich nicht so wirklich was für mich. Ich hoffe allerdings, dass es sehr bald ein Wiederöffnungskonzept zumindest für die Außengastronomie gibt, was natürlich eine Ausgangssperre auch wieder einschränken würde. Was auch immer entschieden wird, ich hoffe, dass es wenigstens ab sofort mit festen Bestimmungen durchgesetzt wird, und es nicht ein ewiges Hin und Her gibt wie bisher. Sonst stehen wir als Land langsam als Witzfigur da."
Lea F., 18, aus Wandlitz in Brandenburg, studiert Bildung an Grundschulen und arbeitet im Einzelhandel.
"Da uns die Ausgangssperre in unserem aktuellen Lebensstil nur noch weiter einschränkt und mir im Hinblick auf die Ansteckungsgefahr wenig sinnvoll erscheint, bin ich von dieser Maßnahme nicht überzeugt. Wenn ich mich doch sowieso mit nur einem Haushalt treffen darf, möchte ich mir wenigstens aussuchen dürfen, wann ich das tue. Denn ob ich mit einem anderen Haushalt vor oder nach der Ausgangssperre in Kontakt trete, ist irrelevant und birgt die gleichen Risiken."
Gregor F., 27, wohnt in München und ist Gastronom.
"Ich halte wenig von der Ausgangssperre. Ich habe das Gefühl, dass diese Regelung die Menschen abends mehr in die Wohnungen treibt – und damit meine ich nicht die eigene. Hier ist das Infektionsrisiko noch einmal deutlich höher, als wenn man sich einfach draußen trifft.
Meiner Meinung nach muss jetzt endlich mal hart durchgegriffen werden. Mir fehlt ein klarer und radikaler Lockdown für zwei bis drei Wochen, bei dem wirklich niemand vor die Tür darf, auch nicht in die Arbeit. Ich denke, das würde wirklich helfen, um die Zahlen drastisch zu senken. Dieses ständige Hin und Her kann ich nicht nachvollziehen."
Laura F., 24, ist Studentin in Brandenburg.
"Ich fühle mich durch die Ausgangssperre derzeit nicht mehr eingeschränkt als sowieso schon. Sehr viel kritischer wird es, wenn es auf die Sommermonate zugeht, wo man eher länger draußen bleibt.
Ich werde mich selbstverständlich an die neuen Regeln halten, ärgere mich jedoch trotzdem über diese Maßnahme. Ich denke, die nächtliche Ausgangssperre ist ein unnötiger Eingriff in die Grundrechte, da die meisten Infektionen zu anderen Zeiten passieren und fände es wesentlich effektiver, einen kurzen, harten Lockdown zu machen. Lieber kurz und knackig, als mit Einschränkungen in Abhängigkeit des Inzidenzwertes zu leben."
Anna B., 24, aus Köln, ist Redakteurin.
"An eine Ausgangssperre werde ich mich natürlich halten, aber nicht gewöhnen wollen! Auch wenn sie vernünftig ist, schränkt sie mich und meine Freiheiten extrem ein.
Ich bin Single und voll berufstätig und habe effektiv nach der Arbeit zwei bis zweieinhalb Stunden, um mein Leben zu leben und zu lieben. Zum Glück bin ich da nicht die Einzige! Meine große Hoffnung: dass es eine temporäre Lösung ist und in ein paar Wochen ein Ende hat, damit ich abends nach der Arbeit ohne Zeitdruck mein Leben planen und genießen kann."
Lisa N., 29, aus Oldenburg, macht eine Ausbildung zur Polizistin.
"Ich kann nachvollziehen, warum die Regierung eine Ausgangssperre einführen will. Ich werde mich auch an die Regeln halten, das steht außer Frage.
Dennoch fühle ich mich von der Ausgangssperre auf eine Art und Weise eingeschränkt, wie ich es vorher nicht gedacht hätte. Dass jemand meint, mir sagen zu können, wann ich rausgehen darf und wann nicht, lässt mich nicht kalt. Vielleicht ist das aber auch eine Art Trotzreaktion von mir. Schließlich habe ich zwischen 22 und 5 Uhr selten einen Grund, vor die Tür zu gehen. Vielleicht ist das so ähnlich, wie wenn die Eltern einem kleinen Kind etwas erlauben: Was verboten ist, gewinnt an Reiz.
Ich glaube außerdem, dass die Ausgangssperre nicht das beste Mittel ist, um die Pandemie einzudämmen. Wichtiger wäre es meiner Meinung nach, gemeinsam mit Wirtschaftsvertretern Lösungen zu überlegen und die Lizenzen für die Impfstoffe freizugeben."
Tabea P., 19, aus Hamburg, jobbt für einen Immobilienmakler.
"In Hamburg haben wir die nächtliche Ausgangssperre ab 21 Uhr ja schon seit Ostern und die wird wahrscheinlich auch beibehalten, so wie ich unseren Bürgermeister verstanden habe, denn sie scheint zu wirken. Ich persönlich finde das nicht sonderlich schlimm und halte mich daran – mit den Hunden Gassi gehen oder allein Spazieren ist ja immerhin noch erlaubt.
Blöd ist die Regelung natürlich für Menschen, die lange arbeiten und nun abends mit dem Einkaufen in Stress geraten. Ich kenne auch Leute, die jetzt in Nachbar-Bundesländer ohne Ausgangssperre fahren, um da abends zu chillen – das geht in Hamburg natürlich einfacher als in anderen Bundesländern. Nicht alle Menschen halten sich an die Regel, aber es wird auch nicht kontrolliert, zumindest habe ich bislang keine Kontrollen erlebt. Die Polizei hat ja selbst im Vorfeld angekündigt, dass ihnen dafür die Kapazitäten fehlen."
William B., 25, studiert im Master in Berlin.
"Wenn wir wüssten, dass die Menschen sich an die Ausgangssperre halten würden, wäre das eine gute Maßnahme, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Mittlerweile aber spaltet sich die Bevölkerung allerdings in diejenigen, die die Corona-Regeln gewissenhaft befolgen und diejenigen, denen sie absolut egal sind. Ich bin mir nicht sicher, ob weitere Maßnahmen das ändern werden.
Die Ausgangssperre ist mit Sicherheit nervig. Aber ich werde mein Bestes tun, um die Regeln weiterhin zu befolgen – auch, wenn ich glücklicherweise bereits geimpft worden bin. Ich frage mich, ob es möglicherweise bald Sonderrechte für Geimpfte geben wird, um zumindest einigen von uns ihre Freiheiten zurückzugeben."