Im Jahr 1998 verschwand Natascha Kampusch spurlos. Die damals Zehnjährige wurde vom arbeitslosen Nachrichtentechniker Wolfgang Přiklopil entführt. Er hielt sie in seinem Haus in sein Haus in der niederösterreichischen Gemeinde Strasshof gefangen, für acht ewige Jahre.
Im ZDF wurde deutlich, was für eine starke Mauer Kampusch für sich gegen die Anfeindungen errichten musste, um ihr eigenes Leben führen zu können. Sie habe nur einen Fehler nach ihrer Entführung gemacht und das sei gewesen, den Anfeindungen "überhaupt zuzuhören", erklärte die Österreicherin bei Markus Lanz selbstbewusst.
Die Journalistin Corinna Milborn, die Kampuschs Biografie (2010) als Ghostwriterin mitgeschrieben hatte, sagte über die Wochen nach dem Publikwerden des Entführungsfalls im Sommer 2006: "Das Interesse war enorm groß. Für mich ist sie bis heute eine echte Heldin, weil sie das in die Hand genommen hat, sich dem gestellt hat, und ihre Geschichte selbst erzählt hat."
Die Wut, die Kampusch oft entgegenschlägt, erklärte Milborn so: "Sie hat sich geweigert, die Opferrolle einzunehmen – was nämlich viele von Opfern erwarten. Die wollen, dass sie verschwinden." Und weiter: "Man will nicht diesen Spiegel vorgehalten bekommen, dass so etwas in dieser Gesellschaft möglich ist."
Kurz nach Bekanntwerden ihrer Geschichte habe ihr enormes Misstrauen entgegen geschlagen, berichtete Kampusch bei Lanz: "Leute haben gemurmelt, auf mich gezeigt." Die Äußerungen seien sehr "abfällig", "unterste Schublade" gewesen. Auf der Straße wurde sie angerempelt, mit bösen Blicken gestraft.
Kampusch versuchte im ZDF zu erklären: "Diese Emotionalität, die diesem unfassbaren Verbrechen entgegengebracht wurde... (die) dann auf einmal gegen mich umschlug, weil ja der Täter nicht mehr lebte." Kampuschs Entführer Přiklopil hatte sich kurz nach ihrer Flucht das Leben genommen.
Sie fügte trocken hinzu: "Als hätte ich das selbst geplant, als Kind." Ihre Schilderungen nahmen den ZDF-Moderator sichtbar mit. Kampusch sagte über die Zeit nach ihrer Flucht: "Ich bin dann drauf gekommen, dass ich von einem Feind in ein Umfeld mit vielen Feinden gekommen war."
Ihre Erfahrungen mit Hass im Internet hat Kampusch nun in einem neuen Buch namens "Cyberneider" verarbeitet. In der "Bild"-Zeitung vom Mittwoch sagt sie: "Mobbing im Netz ist ein alltägliches Übel unserer Gesellschaft geworden. Es gab Zeiten, da bin ich nicht mal mehr rausgegangen, weil die Beschimpfungen so Überhand nahmen." Mit ihrem Buch will sie "wachrütteln".
Lanz stellte Kampusch im ZDF dann eine bedrückende Frage. Die nach Selbstmord-Gedanken nämlich: "Man kann auch sagen, ich beende das jetzt. Haben Sie jemals über solche Dinge nachgedacht?"
Kampusch: "Nein. Ich hatte mich ja selbst befreit. Ab und zu habe ich so drüber nachgedacht, ob es den anderen Leuten vielleicht lieber wäre, wenn ich Selbstmord begehen würde. Es gab auch Menschen, die mir sowas geschrieben hatten. Es gab auch Menschen, die mir sowas gesagt hatten."
Nach dieser erschütternden Antwort war es still in dem ZDF-Studio. An Flucht war für Kampusch nicht zu denken: "Ich hatte mir auch überlegt, Österreich zu verlassen, aber die Menschen sind ja doch überall Menschen. Ich spreche ja auch so gerne Deutsch und das ist ja dann in anderen Ländern ja oft schwierig."
Nach ihrer Flucht 2006 war Kampusch zwar frei, doch ihr neues Leben konnte sie lange nicht genießen. Ihren Mitmenschen konnte sie nicht vertrauen. Etwas gequält lächelnd meinte Kampusch zu Lanz: "Viele Leute trauen sich das auch nicht zu. Viele Leute vertrauen sich nämlich selbst nicht. Und dann kann man denen auch nicht vertrauen, wenn die sich nicht mal selbst vertrauen."
(pb)