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Ukraine: Wie Helfer Krebskranke im Kriegsgebiet mit Stammzellen retten wollen

Julia und Roman Kuts sind endlich und sicher angekommen in der Transplantationsklinik
Julia und Roman Kuts gehören zu den Helfer:innen, die auch in Kriegszeiten Stammzellenspenden quer durchs Land kutschieren. Bild: Roman Kuts
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Stammzellen im Auto: Wie Helfer Krebskranke in der Ukraine retten wollen

14.09.2022, 15:1614.09.2022, 16:28
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Wenn Krieg herrscht, ist das nicht nur eine akute Bedrohung für das Leben der Menschen an der Front, sondern auch für Schwerkranke, die aufgrund des Konflikts nicht an ihre lebensrettenden Therapien und Behandlungen kommen. Zum Beispiel für Menschen mit Blutkrebs, die auf eine Stammzellenspende warten, aber im Kriegsgebiet festsitzen.

"Ende Februar, Anfang März mussten wir rund 20 Transplantationen für Erwachsene und Kinder stornieren, die Patientinnen und Patienten wurden zur Versorgung ins Ausland verlegt", erzählt Roman Kuts, Leiter des Ukrainian Bone Marrow Donor Registry (UBMDR). In der Ukraine selbst wäre das Risiko zu groß gewesen, dass die Kinder mitten in der Behandlung das Krankenhaus aufgrund von Angriffen hätten verlassen müssen.

Klinikpersonal arbeitet im Krieg weiter

Damals organisierte ein Team unter DKMS-Beteiligung einen Transport von sieben Kindern im Alter von fünf bis 16 Jahren in deutsche Kliniken. Die Blutkrebspatient:innen waren auf ihrer Flucht aus dem Kriegsgebiet in Polen gestrandet, wo die Kinderkliniken allerdings bereits überlastet waren. Von dort wurden sie daher von der ukrainisch-polnischen Grenze zur Behandlung nach Frankfurt, Mainz und Heidelberg gebracht – mit einem Taxiunternehmen.

Roman Kuts übergibt die Stammzellspende in der Transplantationsklinik
Viele ukrainische Mediziner:innen blieben in ihrer Heimat und arbeiten weiter, wie hier in einer Transplantationsklinik.Bild: Roman Kuts

Improvisation ist gefragt, seitdem der Luftverkehr in der Ukraine eingestellt wurde und zahlreiche medizinische Einrichtungen nicht mehr zugänglich sind, da sie im Kriegsgebiet liegen. Viele Ärztinnen und Ärzte sind ebenso wie das Team von Roman Kuts trotz der schwierigen Bedingungen im Land geblieben. So sind seit Mitte April auch wieder Transplantationen in Kiew möglich.

"Zuerst hat die Kinderklinik in Kiew, die größte in der Ukraine, wieder mit Transplantationen begonnen und sich auch entschieden, Erwachsene zu behandeln", berichtet Kuts. Inzwischen werden auch weitere Kliniken mit Transplantaten versorgt, sodass wieder mehr Patientinnen und Patienten mit Blutkrebs die lebensrettende Behandlung erhalten.

Die Transportwege sind beschwerlich

"Was uns weiter vor Herausforderungen stellt, ist die Logistik", sagt Kuts. "Im Normalfall werden Stammzelltransplantate mit Kurieren per Flugzeug an den Zielort gebracht. Doch seit Ende Februar gibt es keine Flugverbindungen mehr." Deshalb mussten neue Wege gefunden werden.

Roman Kuts (rechts) bei der Übergabe des Stammzelltransplantats an der polnisch-ukrainischen Grenze
Roman Kuts (rechts) bei der Abwicklung an der polnisch-ukrainischen Grenze.Bild: Roman Kuts

Aktuell wird eine Stammzellspende aus Deutschland zunächst per Flugzeug ins polnische Krakau gebracht, von dort aus geht es mit einem medizinischen Transport weiter an die ukrainische Grenze. Dort findet die Übergabe statt.

"Zu Beginn haben wir noch überlegt, ob wir den Zug nehmen. Allerdings stehen die Züge und Gleise immer wieder unter Beschuss."
Roman Kuts, Leiter des UBMDR

Insgesamt gingen von DKMS-Spender:innen aus Deutschland vor Beginn des Krieges, im Januar und Februar 2022, fünf Stammzellpräparate für eine Transplantation ukrainischer Patient:innen (zwei Knochenmarkspenden, eine Stammzellspende und zwei Lymphozytenspenden) in die Ukraine. Im April und Mai konnten zwei weitere Stammzelltransplantate in das umkämpfte Land transportiert werden.

Roman Kuts schildert, wie gefährlich der Weg von der Grenze ins Landesinnere ist: "Zu Beginn haben wir noch überlegt, ob wir den Zug nehmen. Allerdings stehen die Züge und Gleise immer wieder unter Beschuss. So bleibt uns nur das Auto für die rund 600 Kilometer in die Hauptstadt. Eine Fahrt, die aus Sicherheitsgründen nur nachts möglich ist." Eine lebensgefährliche Mission, die nötig ist, um ein anderes Leben zu retten.

Es mangelt an Geld und Spenden

Kuts hofft auf weitere erfolgreiche Transporte im September: "Wir planen sechs bis sieben Transplantationen diesen Monat. Wir erwarten Stammzellspenden der DKMS aus Deutschland, aus Polen und zum ersten Mal auch aus Indien." Allerdings macht sich der Leiter des UBMDR Sorgen um fehlende Geldmittel. "Die finanzielle Situation ist angespannt und könnte sich in den nächsten Monaten weiter verschlechtern", fürchtet er und führt aus:

"Die Auswirkungen des Krieges auf unsere Wirtschaft, die hohe Inflation, das alles hat auch Folgen für die Versorgung der Patientinnen und Patienten. Die meisten von ihnen wollen das Land nicht mehr verlassen und sich hier vor Ort behandeln lassen. Noch können wir, auch mit der Hilfe aus dem Ausland, Menschen mit Blutkrebs hier versorgen. Doch wie es 2023 weitergeht, ist schwer zu sagen."

Kuts' größter Wunsch ist, dass die Hilfe für Blutkrebspatient:innen in der Ukraine durch Stammzellspenden oder Geldspenden weiter anhält. Das wäre bitter nötig, denn seit Beginn des Krieges in der Ukraine und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Auswirkungen in Deutschland verzeichnet die DKMS einen signifikanten Rückgang bei den Neuregistrierungen.

Übergabe des Stammzelltransplantats am Zielort durch Julia und Roman Kuts
Endlich angekommen: Übergabe des Stammzelltransplantats in der Zielklinik. Bild: Roman Kuts

Seit Ende Februar sind die Registrierungen in Deutschland um rund die Hälfte pro Monat zurückgegangen. Eine Entwicklung, die die DKMS mit großer Sorge betrachtet, denn Patientinnen und Patienten sind auch in Zeiten von Krieg und Krisen auf diese lebensrettende Therapie angewiesen.

Julia Ducardus vom DKMS: "Um die Versorgung von Patientinnen und Patienten weltweit gewährleisten zu können, brauchen wir weiterhin Menschen, die sich als potenzielle Lebensretter:innen bei uns registrieren lassen." Wer daran Interesse hat, kann sich das Registrierungsset online bestellen, einen Abstrich im Mund machen und dann zurücksenden, um in die DKMS-Spenderkartei aufgenommen zu werden.

(jd/ mit Material der DKMS)

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