Die Wissenschaft bestätigt es: Kuscheln macht glücklich.Mirjana Rehling
Vor Ort
18.12.2022, 11:5018.12.2022, 16:23
Seufzend öffne ich die Augen. Schön fühlt sich das an, geborgen. Eng hinter mir liegt eine Frau als großes Löffelchen an mich gepresst, die mich im Arm hält und streichelt. Eine Frau, die ich vor 15 Minuten das erste Mal gesehen habe. Fia ist professionelle Kuscheltherapeutin, heißt konkret: Ihr Job ist es, fremde Menschen zu kuscheln.
Wie angenehm kann das Kuscheln mit einer fremden Person sein? Und wie ist der Alltag als Kuscheltherapeutin? Watson wollte es wissen und hat sich eine Session bei Fia gebucht, um mal so richtig durchgekuschelt zu werden.
Dass Kuscheln schön ist, wissen wir natürlich schon. Aber Kuscheln macht auch glücklich, gesund und entspannt, das ist wissenschaftlich bewiesen. Denn bei Berührung schüttet unser Körper das Hormon Oxytocin aus, das sogenannte "Kuschelhormon". Dies sorgt dafür, dass Stress abgebaut wird. Das ist nicht nur gut für die Psyche, sondern auch für das körperliche Wohlbefinden.
Kuscheln ist sogar überlebensnotwendig, wie der Bericht des Geschichtsschreibers Salimbene von Parma über einen grausamen Versuch Kaiser Friedrich II. an Babys zeigt. Diese sollten ohne Zärtlichkeiten und Ansprache aufwachsen, um zu sehen, was passiert. Sie starben.
Wir alle haben in zwei Jahren Corona-Isolation gemerkt, wie furchtbar es sein kann, andere Menschen nicht mehr berühren zu können. Da ist es nicht verwunderlich, dass Kuscheln inzwischen zu einem professionellen Gewerbe geworden ist. Sogar Kuschelpartys gibt es inzwischen.
Fürs Kuscheln Geld bezahlen
Fia übt ihren Beruf als Kuscheltherapeutin bei Kuschelraum.de bereits seit zwei Jahren aus. Sogar eine Kuschelausbildung hat sie absolviert. Denn eine Kuscheltherapie ist nicht nur Bedürfnisbefriedung für unterkuschelte Menschen, sondern kann auch als therapeutisch Ergänzung der Körpertherapie dienen.
Als ich mich mit Fia treffe, wirkt sie gar nicht aufgeregt – im Gegensatz zu mir. Obwohl sie super nett ist, ist die Vorstellung, gleich auf Tuchfühlung mit einer Fremden zu gehen, sehr seltsam.
Dabei ist genau heute der richtige Tag, um die Wirkung des Kuschelns auszuprobieren: am Morgen wurde das Auto abgeschleppt, das neue Handy an die falsche Adresse geliefert und die Bankkarte wurde wegen falscher Pin gesperrt. Läuft.
"Ganz oft wird Kuscheln mit Sex verbunden, körperlich und auch im Kopf."
Bevor wir allerdings loskuscheln, lernen wir uns zuerst etwas kennen. Dieses Vorgespräch ist beim ersten Besuch so üblich. Fia erkundigt sich nach meinen Beweggründen, das Kuscheln auszuprobieren, nach meiner Erfahrung, meinen Wünschen und Grenzen. Dann gehen wir nach nebenan auf die gemütliche Liegewiese – geduscht und mit bequemer Kleidung, das ist für eine Kuscheleinheit Pflicht. Kerzen, schummriges Licht und meditative Musik sorgen für entspannte Stimmung.
Kuscheln kann man in vielen verschiedenen Positionen.Bild: Jaqueline Louan
Die 37-Jährige setzt sich aufrecht an die Wand, legt ein Kissen vor sich und sagt: "Bitte leg jetzt deinen Kopf auf das Kissen, das kann auf dem Rücken oder seitlich sein." Vorsichtig lasse ich mich nieder. Irgendwie seltsam. Doch sobald ich dort in Embryonalstellung liege und am Kopf gekrault werde, ist die Nervosität wie weggeblasen. Schön ist das! Wäre ich eine Katze, würde ich jetzt wohlig schnurren.
Viele Kuschel-Klienten sind Männer
Erstaunlich, wie schnell man ausblenden kann, dass man gerade von einer Wildfremden berührt wird. "Prinzipiell ist das Bedürfnis nach absichtsloser Berührung wie Kuscheln ein anderes Bedürfnis als das nach Berührung in der Sexualität", erzählt Fia. Eigentlich ist Kuscheln ja auch nichts so anderes als eine Massage. Doch "ganz oft wird Kuscheln mit Sex verbunden, körperlich und auch im Kopf."
"Manche Männer sagen mir: 'Eigentlich finde ich kuscheln noch viel besser als Sex.'"
So kann es auch mal vorkommen, dass männliche Klienten eine Erektion beim Kuscheln bekommen. Das wundert mich nicht, wenn ich an einige Positionen denke, wie Bauch-auf-Bauch-liegen. Fia selbst sei das jedoch noch nicht passiert. Im Gegenteil wären manche Männer aber verwundert oder sogar peinlich berührt, eben keine Erektion beim Kuscheln mit einer hübschen Frau zu haben. Bei der Therapie können Klient:innen lernen, wieder eins vom anderen zu trennen.
Die meisten ihrer Klient:innen sind in der Tat Männer. Fia sagt:
"Es wird nachgesagt, Frauen wollen lieber kuscheln, Männer lieber Sex. Das ist nur eine gesellschaftliche Zuschreibung. Wenn das von klein auf so beigebracht wird, glauben Männer, sie wollen Sex, wenn sie vielleicht eigentlich einfach nur diese Verbindung wollen, die man noch viel besser durch Kuscheln erfahren kann."
Viele ihrer Klient:innen hätten den Weg über Sexarbeiter:innen schon ausprobiert, bevor sie zu ihr kommen. Beim Sex gebe es aber oft Performance-Druck, die Leistung stehe im Vordergrund. Beim Kuscheln dagegen geht es ums Loslassen, Genießen und darum, die eigenen Bedürfnisse zu spüren: "Manche Männer sagen mir: 'Eigentlich finde ich kuscheln noch viel besser als Sex.'"
Beim Kuscheln lernt man auch, seine Grenzen und Wünsche zu kommunizieren.bild: Mirjana Rehling
Kuscheln für mehr Selbstliebe
Aber hat sie keine Angst vor Übergriffen? Schließlich bietet Fia das Kuscheln in ihrer privaten Wohnung an. "Ich habe mir darüber bisher keine Sorgen gemacht, weil ich bisher nichts Derartiges erlebt habe." Normalerweise gibt es vor jedem Treffen ein Skype-Vorgespräch mit neuen Klient:innen. Dort bekommt die Kuscheltherapeutin schon ein erstes Gefühl für ihr Gegenüber. Trotzdem gibt es einige Sicherheitsvorkehrungen.
"Kuscheln kann dazu führen, sich selbst wieder als wertvoll zu empfinden."
Fias Nachbar:innen wissen von ihrem Job und bekommen Bescheid, wenn ein:e neue:r Klient:in kommt. Viele sind allerdings Wiederholungskuschler. Außerdem macht Fia nach jeder Session einen Sicherheitsanruf bei ihrem Freund. Dieser sei anfangs skeptisch gewesen, gerade mit dem Gedanken an das Kuscheln mit Männern: "Aber unsere Beziehung ist super stabil. Und dass das Kuscheln mein Ding ist, wusste er schon längst. Er ist ja selber Profiteur."
Fias Berichte, wie sehr das Kuscheln ihren Kund:innen helfe, habe ihre Mutter und ihren Freund dann vollends überzeugt.
Denn viele Klient:innen berichten ihr nach dem Kuscheln, wie gut es ihnen danach ginge. "Eine Kundin sagte mir, dass ich ein wichtiges Puzzlestück auf ihrem Weg zur Heilung war und dafür, Nähe überhaupt wieder zulassen können." So könne das Kuscheln bei Menschen mit psychischen Problemen eine gute Ergänzung zu anderen Angeboten wie Psychotherapie sein:
"Kuscheln bewirkt ja ganz viel, es macht etwas mit dir. In vielen Fällen kann es schon dazu führen, sich selbst wieder als wertvoll zu empfinden, weil sich jemand um dich kümmert, weil du diese universelle Liebe spürst. Du fühlst dich bedingungslos angenommen."
Kuscheln für das Glücksgefühl
Während des Kuschelns überlege ich, wie das für Fia ist. Hat sie überhaupt noch Spaß beim Kuscheln? Schließlich ist das ja ihr Beruf, wenn auch nur nebenberuflich. "Für mich ist das der beste Job, den man machen kann, weil ich anderen helfen kann", antwortet sie. "Eine wichtige Voraussetzung, wenn man als Kuscheltherapeut:in arbeiten möchte, ist aber, dass man selber sehr gut versorgt ist in dem Bereich. Sonst kann man sich nicht voll auf die Bedürfnisse der anderen Person einstellen."
Als Kuscheltherapeut:in muss man sich ganz auf die Bedürfnisse der anderen Person einstellen. bild: jaqueline louan
Nachdem Fia mir einige Kuschelvariationen gezeigt hat – Löffelchen, aufeinander legen, auf die Brust legen, eine sitzende Umarmung – machen wir es uns wieder auf der Couch gemütlich. Schade, dass es schon vorbei ist. Ich wusste vorher nicht, dass Kuscheln so vielseitig sein kann. Und welchen Unterschied es macht, keine Gegenleistung zu erwarten und nicht nebenbei beim Fernsehen, sondern ganz achtsam zu kuscheln.
Fia will von mir wissen, was ich bei der Kuscheltherapie am liebsten mochte, doch es ist ganz schön schwer, sich da festzulegen. Schön war das alles und wie fühle ich mich jetzt? Unglaublich entspannt, mit einem kleinen Oxytocin-High.
Etwas gehen zu lassen, fällt vielen von uns schwer. Manchmal ist es einfach Gewohnheit, Bequemlichkeit oder man hat etwas schlicht lieb gewonnen. Unser Kolumnist ist sich aber sicher: Wir brauchen immer wieder Luft und Raum für Neues.
Ich sitze im Zug auf dem Weg von Köln nach Hamburg und schreibe diese Kolumne. Seit einigen Tagen drücke ich mich ein wenig vor dem Schreiben, denn ich weiß: Wenn ich die Kolumne am Ende in die Redaktion schicke, wird es die letzte "Mental Health To Go"-Kolumne für watson gewesen sein. Damit endet diese Kolumne und das tut weh.