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Kontakt-Tagebuch: Ich habe Drostens Idee getestet – und war überrascht

A young woman takes a break to do something analog like writing in her journal and drinking tea. This is a healthy practice for those who experience anxiety.
Schon eine kurze Notiz am Abend kann helfen, um sich auch noch eine Woche später zu erinnern, wem man alles begegnete.Bild: E+ / MundusImages
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Kontakt-Tagebuch: Ich habe Drostens Idee getestet – und war überrascht

12.10.2020, 17:06
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Weißt du noch, wo du vergangene Woche am Dienstag überall gewesen bist? Im Büro oder der Uni vermutlich. Aber hast du vielleicht auch noch eine Freundin in der Mittagspause getroffen, oder warst abends im Fitnessstudio? Wer sich mit Corona infiziert hat, sollte diese Fragen beantworten können, wenn das Gesundheitsamt anruft. Doch im Alltag vergessen wir all diese kleinen Kontakte viel zu schnell wieder.

Das Problem kennt auch der Virologe Christian Drosten, der deshalb im NDR-Podcast erzählte, dass er nun ein Kontakt-Tagebuch als Gedankenstütze führen würde. Dort trüge er ein, wann und wo er Menschen begegnete, vor allem in sogenannten "Cluster-Situationen", also wenn viele Leute zusammenkämen. Haushaltsmitglieder natürlich ausgenommen. Nicht alle müssten seinem Beispiel folgen, doch wenn es einige täten, wäre das hilfreich, so der Experte:
"Sogar wenn die Hälfte mitmacht, ist schon viel gewonnen, von Leuten, die sagen: 'Ja, ich mache da mit und führe ab jetzt ein Kontakttagebuch.'"

Kontakt ist nicht gleich Kontakt – wie du unterscheidest

Online stehen zu diesem Zweck bereits Muster zum Download bereit, in die man Dauer, Art und Ort des Kontakts eintragen kann. Das Robert-Koch-Institut unterscheidet in zwei Kontaktgruppen. Besonders relevant sind die Risikokontakte. Darunter fallen Menschen, mit denen du mindestens 15 Minuten lang ohne Mund-Nasen-Schutz gesprochen hast. Auch "Personen in relativ beengter Raumsituation oder schwer zu überblickender Kontaktsituation" werden so kategorisiert, das kann zum Beispiel ein Uni-Seminar sein.

Die zweite Kategorie sind Kontaktpersonen mit geringem Infektionsrisiko: Menschen, denen man mit Mund-Nasen-Schutz in einem geschlossenen Raum begegnete, aber kein 15-minütiges Gespräch führte. Die Virus-Übertragung ist hier sehr unwahrscheinlich, im Einzelfall wird aber auch so ein Kontakt wichtig, wenn beispielsweise der Eineinhalb-Meter-Abstand nicht eingehalten wurde, schreibt das RKI.

Watson hat das Kontakttagebuch getestet

Beide Arten von Kontakt können also relevant werden. Aber ist es nicht fürchterlich aufwendig, sie alle aufzuschreiben? Watson wollte es im Selbsttest herausfinden.

Ich bin Mutter zweier Kleinkinder, die früh ins Bett wollen. Ich arbeite im Homeoffice. Ich habe wirklich kein spektakuläres Sozialleben und dürfte also kaum Kontakte zum Notieren haben, so meine Vermutung. Aber ist das so? Wie viele Menschen müsste ich informieren, wenn ich nun doch Corona bekäme? Die Zahl ist größer, als ich gedacht hätte.

Die Woche in meinem Kontakt-Tagebuch

Donnerstag

13.30 Uhr, Kiosk: Nach der Arbeit flitze ich los, um auf dem Weg in die Kita noch ein Päckchen beim Kiosk abzugeben. Der Kiosk ist klein, etwa zehn Quadratmeter Fläche für die Kunden, ich muss lange warten, weil die Dame vor mir Lottoscheine ausfüllt, der zweite Kunde vor mir hampelt ungeduldig. Wir alle tragen Mund-Nasen-Schutz, bis auf den Verkäufer, der hinter einer Plastikfolie sitzt. Ich mache eine geistige Notiz.

14 Uhr, Kita: Danach geht es in die Kita. Auf dem Weg dahin komme ich auf dem Innenhof an zahlreichen Eltern vorbei. Geschenkt, wir sind ja im Freien. Im Gebäude herrscht für die Eltern Maskenpflicht. Wegen Corona darf nur noch jeweils ein Kind im Vorraum angezogen werden, also warte ich mit drei anderen Eltern auf der Treppe und plaudere. Es dauert mindestens eine Viertelstunde. Als ich an der Reihe bin, übergibt mir die Erzieherin die Kinder und erzählt noch ein bisschen von deren Tag. Sie trägt keinen Mundschutz.

Fazit: Kontakte mit Maske: 5; Kontakte ohne Maske: 2

Freitag

13 Uhr, Kita: Beim Abholen spreche ich kurz mit einer Erzieherin auf der Treppe über den kommenden Herbst, dann mit einer Mutter, die Geld für Geschenke einsammelt. Danach werden die Kinder übergeben und ich kriege einen etwa achtminütigen Lagebericht der Betreuerin.

18 Uhr, Drogerie: Zu Hause fällt mir auf, dass wir noch Windeln für die Nacht brauchen. Mit den Kindern im Wagen mache ich mich auf den Weg zur Drogerie. Wie immer ist es dort voll, aber natürlich hat man keinen näheren Kontakt. Nur an Regalen und in der Schlange verweilt man etwas länger neben den Anderen. Zählt das schon? Ich notiere nur die Mutti, mit der ich am Regal über Kreuz greife ("Ups, 'tschuldige", "Macht ja nix"), sowie die Verkäuferin, die mit meinem Sohn flirtet, weil wir uns näher kommen, als die vorgegebenen 1,5 Meter.

Fazit: Kontakte mit Maske: 3; Kontakte ohne Maske: 2

Samstag

9 Uhr, Bäckerei: Tag der Deutschen Einheit. Wir (mein Freund und unsere Kinder) gehen zu viert zum Bäcker. Die Kleinen tragen keinen Mundschutz, wir schon. In der Bäckerei sind etwa zwanzig Leute, einige frühstücken an den Tischen (ohne Mund-Nasen-Schutz natürlich), dann etwa fünf Verkäufer und eine lange Warteschlange. Die Kinder flitzen herum und ich hinterher. Es ist eng. Ein Mann reicht mir das heruntergefallene Plüschtier meiner Tochter. Eine Frau lässt die Kinder ihren Hund vor dem Laden streicheln, der Verkäufer drückt meinen Kindern die Brottüten in die Hand.

17 Uhr, Spielplatz: Eigentlich sind wir mit zwei Freunden zum Grillen verabredet. Sie sagen wegen einer Erkältung ab. Dafür meldet sich meine Mutter: "Ich vermisse euch. Was macht ihr so?" Wir treffen uns nachmittags auf dem Spielplatz, natürlich ist der am Wochenende voll. Alle Kinder nutzen dieselben Klettergerüste und die Eltern stehen dicht an dicht zur Absicherung daneben. Aber hier sind wir ja auch wieder im Freien, denke ich. Zählt also nicht, oder?

Fazit: Kontakte mit Maske: 3; Kontakte ohne Maske: 1

Sonntag

Der ruhigste Tag der Woche. Es regnet und wir gehen erst so spät raus, das selbst auf dem Spielplatz nichts mehr los ist.

Fazit: Kontakte: 0

Montag

14.30 Uhr, Kita: Dasselbe Szenario wie immer, nur, dass ich beim Warten etwas länger mit einer Mutter spreche, die gerade ihr zweites Kind erwartet. Danach folgt ein Gespräch mit zwei Erzieherinnen (ohne Maske), die mir ausführlich erzählen, dass meine Tochter am Mittag gehustet hätte. Vielleicht habe sie sich aber auch einfach verschluckt.

17 Uhr, Supermarkt: Nachmittags müssen wir für die Woche einkaufen. Im Supermarkt fahren die Kinder ihre eigenen Einkaufswagen durch die Gänge, ich packe die von ihnen stolz "eingekauften" Produkte wieder in die Regale zurück. Ein Pärchen findet es niedlich und bleibt stehen, um mit den beiden zu scherzen. Danach eine ältere Dame, die mich über Alter und Geschlecht meines Nachwuchses ausfragt. Der Knaller: Ein Mann muss vor dem Tiefkühlregal niesen und zieht sich zu dem Zweck den Mund-Nasen-Schutz herunter, um seinen Ellbogen zu treffen. Mein Sohn will beim Zahlen unbedingt die EC-Karte aus dem Leser holen und kriegt als Belohnung die Quittung vom Kassierer direkt in die Hand.

Fazit: Kontakte mit Maske: 5; Kontakte ohne Maske: 2

Dienstag

16 Uhr, Spaziergang: Die Kinder haben kaum geschlafen, haben Husten und Schnupfen, sind weinerlich. War wohl doch nicht einfach nur verschluckt gestern Mittag. Ich telefoniere mit der Kita und wir dürfen zwei Tage nicht kommen, seit Corona sind alle vorsichtig. Mein Vater ruft an und will die Enkel unbedingt sehen. Trotz Erkältung. Er gehört zur Risikogruppe, aber: "Draußen ist doch okay, oder?" Wir gehen zusammen an einem Kanal spazieren und anderen Leuten aus dem Weg. Nur er selbst drückt und streichelt die zwei Kinder natürlich.

Fazit: Kontakte mit Maske: 0; Kontakte ohne Maske: 1

Mittwoch

11 Uhr, Drogerie: Schon wieder brauchen wir Windel-Nachschub. Wir gehen in eine Drogerie. Wie gehabt, kommt es zu ein, zwei kurzen Interaktionen, das war's. Abends kommt meine Mutter vorbei und bleibt zum Abendessen, da mein Freund bis in die Nacht arbeitet. Da ich sie bereits am Samstag sah, notiere ich sie nicht mehr als Extra-Kontakt. Wir lassen uns Essen liefern, der Bote steht maximal zwei Sekunden in unserem Flur, das zählt sicher auch nicht.

Fazit: Kontakte mit Maske: 2; Kontakte ohne Maske: 0

26 Kontakte: Erstaunlich. Ich hätte gerade einmal die Hälfte geschätzt

Trotz einer ruhigen Woche komme ich auf 26 Menschen, die ich im Fall einer Corona-Infektion vermutlich benachrichtigen sollte, allerdings sind nur acht davon Risikokontakte. Sehr viel mehr wird das natürlich, wenn man mitdenkt, wie viele Kinder meine zwei in der Kita anfassen und wie viele Kollegen mein Freund im Büro trifft. Obendrauf kam ein Feiertag, ein geplatzter Grillabend und zwei Krankheitstage, die meinen normalen Alltag ausbremsten. Hätte man mich vorher gefragt, hätte ich daher wohl eher die Hälfte an Kontakten geschätzt.

Viel Arbeit war dieses Tagebuch nicht. Ein Zettel mit Stift reichen, um sich abends beim Heimkommen kurz ein Stichwort zu notieren, das einem auch eine Woche später noch etwas sagt. Nicht jeder Kunde im Supermarkt muss notiert werden, ich hielt mich – in Anlehnung an die RKI-Kategorien – ausschließlich an Begegnungen, bei denen ich ganz sicher den Mindestabstand nicht mehr eingehalten habe, es vielleicht sogar zu einer Berührung kam.

Zugegeben, das ist schon sehr pingelig. Niemand, auch nicht ich, wird das wohl ernsthaft im Alltag beibehalten. Aber vielleicht mache ich mir jetzt eher eine Notiz, wenn ich zu einer Geburtstagsfeier oder ins Kino gehe, etwas nicht Alltägliches mache also. Vielleicht nützt es meinen Mitmenschen irgendwann. Schaden wird es jedenfalls nicht.

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