Gerade zu Weihnachten kann Armut Familien – und vor allem Kinder – hart treffen.Bild: Getty Images
Weihnachten
Nina ist alleinstehende Mutter zweier Kinder. Ihre Familie ernährt sie mithilfe eines Teilzeitjobs, eine Zeit lang lebten sie von Arbeitslosengeld. Gerade zur Weihnachtszeit macht sich ihre angespannte finanzielle Lage bemerkbar.
Weil Nina findet, über Armut muss man sprechen, um sie zu bekämpfen, berichtet sie auf watson über ihre Feiertage und wie vor allem ihre Kinder damit umgehen, dass sie nicht so viel Geld haben wie ihre Freunde.
Anders als viele andere Kinder schreiben meine Tochter und mein Sohn keine Wunschzettel zu Weihnachten. Ich versuche mittlerweile seit Wochen, sie dazu zu überreden, mir zu verraten, was sie sich zu Heiligabend wünschen – erfolglos. Die beiden, 8 und 11 Jahre alt, möchten mich schützen. Denn meine Kinder wissen, welche finanzielle Belastung Weihnachten jedes Jahr für unsere Familie darstellt. Meine Kinder, obwohl sie so jung sind, wissen schon lange: Wir sind arm.
Ich glaube: Wenn ein Kind keine Wunschzettel zu Weihnachten mehr schreiben kann, hat es einen Teil seiner Träume verloren.
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Ich war vier Jahre lang arbeitslos
Mir geht es wie vielen alleinstehenden Müttern in Deutschland: Wir zählen zur größten Risikogruppe für Armut. Ich habe ein abgeschlossenes Studium, bin Diplom-Ingenieurin (FH) und habe gearbeitet, bis ich aus betrieblichen Gründen meinen Job verloren habe. Danach suchte ich vier Jahre lang händeringend einen Arbeitsplatz und bezog in dieser Zeit Arbeitslosengeld II (ALG II, umgangssprachlich auch Hartz IV genannt, Anm. d. Red.).
Vor eineinhalb Jahren habe ich endlich einen sozialversicherungspflichtigen Job gefunden, der meine Kinder und mich über die Runden bringt und mit dem wir aus der Abhängigkeit vom Jobcenter kommen konnten.
Was ich in meinem Teilzeitjob verdiene, reicht, um unsere kleine Wohnung in einem Sozialbau zu finanzieren. Mit Schimmel an den dünnen Wänden, durch die ich jeden meiner Nachbarn hören kann. Eine bessere Wohnung können wir uns gerade nicht leisten. Mein monatliches Gehalt liegt 16 Euro über der Höchstgrenze, um Wohngeld zu erhalten. Somit auch über der Grenze, um Bildung und Teilhabe in Anspruch nehmen zu können.
"Ich habe Angst davor, dass meine Kinder sich schämen, von ihren Weihnachtsgeschenken zu erzählen."
Mir selbst reicht mein Gehalt, ich brauche nicht viel zum Leben. Für meine Kinder hätte ich gerne mehr. Gerade zur Weihnachtszeit wird ihnen richtig bewusst, wie Armut sozial ausgrenzt. Zu einer Zeit, in der es nicht nur um Familienzusammenhalt, Besinnlichkeit und Liebe geht – sondern leider auch darum, welches Geschenk unterm Baum liegt.
Gerade im Umfeld meiner Tochter, die auf dem Gymnasium ist, geht um die Weihnachtszeit ein regelrechter Geschenke-Wahn los. Da wird ständig verglichen, wer die neueste Spielekonsole oder das teuerste Handy bekommen hat. Schon Kinder nutzen die Geschenke als Statussymbole. Was meine Kinder zu Weihnachten oder auch anderen Festen bekommen, kann da nicht mithalten.
Nina Jaros setzt sich gegen Kinderarmut ein. Bild: privat / getty images / watson montage
Ich habe Angst davor, dass meine Kinder sich schämen, von ihren Weihnachtsgeschenken zu erzählen. Weil sie sich bloßgestellt fühlen könnten, wenn ich ihnen nur eine gebrauchte, altmodische Konsole bieten kann zum Beispiel.
Meine Kinder wissen, welche Geschenke ich mir leisten kann
Ich habe Glück, dass meine Kinder bescheiden sind. Wenn sie sich mal etwas zu Weihnachten wünschen, dann zum Beispiel Bücher oder andere Dinge im Wert von meist unter 20 Euro, die ich mir leisten kann. Generell wissen meine Kinder schon von klein auf, was in unserem Budget liegt.
Was zunächst sehr lobenswert und reif wirkt, ist eigentlich traurig. Meine Kinder haben nicht dieselbe Unbefangenheit wie andere in ihrem Alter. Das zeigt sich nicht nur zu Weihnachten, sondern das ganze Jahr über: Wenn wir in den Supermarkt gehen zum Beispiel, schauen meine Kinder immer nach den günstigsten Angeboten. Oder einmal waren Sohn und Tochter zu einem Geburtstag eingeladen und haben überlegt, wer von beiden gehen kann. Denn das Geld reichte nur für ein Geschenk, mit leeren Händen dastehen möchte niemand.
"Das ständige Sparen, das Genügsam-sein ist etwas, was meine Kinder schon verinnerlicht haben."
Das zeigt: Ich gebe meinen Kindern mein Armuts-Denken weiter. Das ständige Sparen, das Genügsam-sein ist etwas, was meine Kinder schon verinnerlicht haben. Das Risiko dabei ist, dass sie nicht nur ihre Geschenkewünsche, sondern auch alle anderen Ansprüche dauerhaft herunterschrauben. Zum Beispiel an ihre Bildung, oder später ihre Gehaltsvorstellungen, weil sie glauben könnten, wenig sei gerade gut genug für sie.
Viele Kinder wissen nicht einmal, dass sie arm sind
Es ist eine Sache, dass wir Eltern arm sind, in unseren Jobs zu wenig verdienen oder gar von ALG II leben müssen. Es ist eine andere, wenn unsere Kinder in den Armutsstrudel mit hineingezogen werden. Aus welchen Gründen auch immer Erwachsene auf soziale Leistungen angewiesen sind oder vielleicht nur in Teilzeit arbeiten können, weil sie alleinerziehend sind, keine ausreichende Kinderbetreuung finden können oder eingeschränkt arbeitsfähig sind: Unsere Kinder treffen diese Umstände am härtesten. Denn wer schon arm aufwächst, hat hinterher geringe Chancen, der Armut zu entfliehen. Statistiken wie der "Datenreport 2018" zeigen, dass Eltern ihren sozioökonomischen Status oft an ihre Kinder vererben.
"Ein Land, dass zukünftige Generationen unverschuldet in der Armut festhält, ist für mich kein Sozialstaat."
Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut. Wenn wir uns das einmal vorstellen: Das bedeutet, in einer Klasse von 24 Kindern sind im Schnitt fünf Kinder arm. Und viele von ihnen wissen es nicht einmal – weil ihre Eltern sich so ins Zeug legen, damit es dem Nachwuchs an nichts mangelt. Oder weil die Kinder ihre Lebensumstände einfach akzeptieren und lernen, zufrieden zu sein mit dem Wenigen, was sie haben. Gerecht ist das für unsere Kinder allerdings nicht: Ein Land, dass zukünftige Generationen unverschuldet in der Armut festhält, ist für mich kein Sozialstaat.
Ich habe gelernt, Hilfe von anderen Menschen anzunehmen
Dieses Jahr habe ich Glück, dass ich meinen Kindern zu Weihnachten etwas mehr bieten kann als sonst. Ich habe von der letzten Wohnung, aus der wir ausgezogen sind, noch ein wenig von der Kaution übrig – davon bezahle ich dieses Jahr die Weihnachtsgeschenke. Freunde und Familie unterstützen mich zusätzlich, damit ich meinen Kindern ein schönes Weihnachtsfest bieten kann. Ich habe gelernt, diese Hilfe von anderen Menschen – gerade aus sozialen Netzwerken – für meine Kinder anzunehmen.
Ideal ist unsere Lage vielleicht nicht. Damit sie sich allerdings ändert, für meine und auch für alle anderen Kinder, die in prekären Verhältnissen leben, müssen wir über die Armut sprechen. Denn die, die wenig besitzen, haben immerhin noch eins: eine Stimme. Und die ist es allemal wert, gehört zu werden.
Protokoll: Agatha Kremplewski
Schon lange benutzen wir Filter für Selfies, sehen wir, wie Stars sich regelmäßig Schönheitsoperationen unterziehen und beobachten, wie sich die Trends für Make-up, Haare und Nägel verändern. Nun mischen KIs mit und sorgen für ein noch perfekteres Bild von Menschen, das zum Alltag wird. So hat Mango erst kürzlich KI-Models eingesetzt und beinahe zeitgleich wurde eine KI-Misswahl ausgetragen. In Zeiten von Social Media ist es schwer, solchen Trends – und damit auch dem gesellschaftlichen Druck – zu entgehen.