Eigentlich wollte ich mit einem Psychologen über "Cyberpunk 2077" sprechen, um zu erfahren, wie das Game Erwartungshaltungen schürt. Nachdem ich es nun zum ersten Mal gespielt habe, will ich immer noch mit einem Psychologen sprechen – aber eher zur Aggressionsbewältigung.
Acht Jahre habe ich gewartet. Acht Jahre, in denen ich jeden Tag auf neue Informationen hoffte. Acht Jahre, in denen ich haderte, glaubte, dass das Spiel vielleicht nie erscheinen würde. In denen ich dachte, dass es meine Erwartungen vielleicht nicht erfüllen könnte. Nun ist das dystopische Rollenspiel erschienen und, tja, hätten sich die Entwicklerinnen und Entwickler mal etwas mehr Zeit genommen.
Dabei bietet das Game so viel: Eine futuristische Welt gefüllt mit Neonreklamen, Cyborgs, Gesetzlosen, vielseitigen Aufgaben, gut geschriebenen Charakteren, einem gutaussehenden Keanu Reeves. An jeder Ecke lauern verlockende Angebote: "Hey, brauchst du vielleicht einen neuen Arm? Komm mit, wir operieren dich, kostet auch nicht viel."
Es gibt ranzige Kreißsäle, die mehr an eine Autowerkstatt erinnern als an ein Krankenhaus. Heruntergekommene Clubs, in denen Dystopie-Gebeutelte Drink nach Drink kippen, um für einen Moment zu vergessen, wo sie leben. Aber auch fast sterile Bürokomplexe, in denen die Entscheider dieser Welt alles dafür geben, dass die Machtverhältnisse sich auch in der zukünftigen Gegenwart nicht ändern.
Erste Rezensionen kurz vor Release ließen die ohnehin hohen Erwartungen noch wachsen. Polternde Kniefälle gaben den Takt für die Lobeshymnen zufriedener Gamingjournalisten an. Von einem Meisterwerk sprach etwa "Gamestar". Im "Spiegel" erschien eine fast literarische Analyse zu dem Spiel. Das machte Lust auf mehr. Leider bezogen sich die Auswertungen ausschließlich auf die PC-Version. Ich habe "Cyberpunk" auf der Playstation 4 gespielt – oder es zumindest probiert.
Optisch ist das futuristische Spiel antiquiert. Die Charaktere sind nicht detailliert, Bärte und Haare wirken wie dicke Kabel, die ihnen aus den Köpfen wachsen. Cyborgs sind in der Welt normal, aber so war das wohl nicht geplant. Die Stadt, die in den Trailern noch so lebendig wirkte mit dutzenden Passanten, ist quasi ausgestorben.
Treffe ich Fußgänger, erinnern sie an einen Horrorfilm: Sie ähneln mehr Crashtest-Dummys denn echten Menschen. Keine Gesichter, keine Finger, dafür aber Kabelhaare. Und dann können sie auch noch durch Wände gehen. Der Gedanke, dass "Cyberpunk" vielleicht in einer Geisterstadt spielt, liegt nahe, ist aber falsch. Das alles nennt sich Glitch – kleine Grafikfehler, durch die Objekte in einer Spielwelt nicht richtig angezeigt werden.
Auch die Gebäude in den Städten sind nicht detailliert, sondern lediglich graubraune Klötze. Das bleibt zwar nicht immer so – nach einigen Sekunden laden die Animationen nach und das Spiel sieht halbwegs okay aus. Aber nur, solange ich mich nicht bewege. Vielleicht soll "Cyberpunk" auch einen Museumsbesuch simulieren.
Auch die Steuerung ist so verzögert, dass ich bei meiner ersten Fahrt durch die Stadt ein paar dieser Dummys überrolle. Liegt an der Lenkung. Manchmal schießt der Wagen so stark in eine Richtung, dass ich die Kontrolle verliere. In solchen Momenten stelle ich mir einfach vor, die Verkehrsopfer sind lediglich eine Manifestation meiner Erwartungen an das Spiel. Das beruhigt.
Ich will über die Grafikprobleme hinwegsehen, ebenso über die Steuerung. Auch dass das Spiel nicht immer flüssig läuft – bin ich in einer Schießerei, friert das Bild kurz ein – will ich ausblenden. Ich gebe ihm eine Chance. Sogar mehrere. Nach einer Stunde bekomme ich eine Fehlermeldung, das Spiel müsse geschlossen werden, weil technische Probleme bestünden. Kommt vor, denke ich mir. Tja, zwei Stunden nach dem Neustart folgt dasselbe Problem. Nach meinem dritten Anlauf lasse ich es bleiben. Meine Schläfen habe ich mir zu dem Zeitpunkt wundgerieben.
Gamingmedien verweisen an diesem Punkt immer auf die großartige Story, die soll ja ein Meisterwerk sein. Doch was nützt die schönste Geschichte, wenn sie auf Schmierzettel gekritzelt ist? Ich weiß nicht, worum es geht, so weit komme ich nicht. Dass es vom Entwickler CD Projekt heißt, ich solle das Spiel mehrmals durchspielen, um alles zu erleben, ist ein schlechter Scherz. Dafür würde ich ebenso lange brauchen, wie das Studio für das Spiel.
Vielleicht schöpft das Spiel sein volles Potenzial auf dem Computer aus, wobei die Anforderungen dort sehr hoch sein sollen. Wer keinen Nasa-Rechner hat, könnte mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Doch selbst wenn es auf den Computer so schön läuft, entschuldigt das nicht die Probleme auf der Playstation 4 oder der Xbox One. "Cyberpunk 2077" kostet rund 60 Euro. Viel Geld für ein offensichtlich unfertiges Spiel. Kein Wunder, dass im Netz bereits einige Videos kursieren, in denen Gamerinnen und Gamer das Ganze auf die Schippe nehmen. Mein Favorit:
Ich selbst habe es nicht gekauft, ich bekam ein Test-Exemplar. Mich wunderte damals, dass CD Projekt die Muster zur Konsolenfassung am Releasetag herausgab und die für den PC einige Tage zuvor. Heute verstehe ich es. Die Bewertungen wären weit weniger traumhaft ausgefallen, hätten sich auch die Konsolentester eingebracht. Das hätte den Vorbestellungen einen Dämpfer verpasst. Kam leider anders. Schade um die Fans, schade um meine acht Jahre Vorfreude.