36 Spiele inklusive aller Spin-offs. 36 Möglichkeiten, Fußballprofis übers Feld zu jagen. 36 Mal mehr oder minder dasselbe Gericht. Und es schmeckt. Als Electronic Arts unter der Marke EA Sports 1993 den ersten Ableger seiner FIFA-Reihe veröffentlichte, stürmten ballsportbegeisterte Gamer die Läden, holten sich das Ding und machten es rein – also in die Konsole oder den Computer. Verständlich, die Sportsimulation setzte damals Maßstäbe in Sachen Grafik und Spielmechanik. Alles fühlte sich anders an, irgendwie realistisch. Es entstand ein Fankult, der über Jahre wuchs.
Von FIFA 20 verkaufte EA im vergangenen Jahr rund 1,5 Millionen Exemplare allein in Deutschland. Zur Info: Das Spiel erschien im September 2019. Es entwickelte sich innerhalb von nur drei Monaten zum meistverkauften Spiel des Jahres. Platz zwei belegte "Call of Duty: Modern Warfare" mit 500.000 verkauften Einheiten, und das erschien einen Monat früher. Wie es in Sachen Verkaufszahlen ums kürzlich erschienene FIFA 21 steht, muss man noch abwarten. Aber, ohne wild zu spekulieren: Ein Flop ist eher unwahrscheinlich.
Dabei braucht EA allmählich einen Weckruf. So erfolgreich und so beliebt die FIFA-Reihe auch ist, irgendwann wird sie scheitern. Das Unternehmen sollte künftig statt auf Quantität eher auf Qualität setzen, das hält die Fans bei Laune, könnte vielleicht sogar neue anlocken. Da hätte quasi jeder etwas von, denn so wie es jetzt läuft, funktioniert es auf Dauer nicht – vielmehr schadet es dem Unternehmen und der Spielkultur.
Jedes Jahr im Herbst ein neues Game. Da bleibt den Entwicklern nur wenig Zeit, neue Konzepte zu erarbeiten, geschweige denn, ein Spiel von Grund auf umzukrempeln. FIFA 21 verdeutlicht das: Verbessertes Dribbling (oha!); aktualisierte Kader (wow!); eine Live-Matchsimulation im Karrieremodus, wir spielen nicht selbst, sondern eine KI, können aber bei Bedarf ins Spiel einsteigen (wie nett!). Ein paar Stellschrauben anziehen, hier und da ein altes Teil austauschen, die Kader sowie Trikots aktualisieren, fertig ist das neue FIFA.
Natürlich ist es kaum möglich, ein völlig neues Spiel zu entwickeln, wenn die Basis feststeht. Fußball bleibt Fußball, neue, überraschende Regeln wird es wahrscheinlich künftig nicht geben. Ronaldo wird den Ball weiterhin ins Tor zimmern, nicht in einen Korb. Um es kurz zu machen: Entwickler haben schlicht nicht dieselben kreativen Freiheiten wie bei anderen Genres. Vor allem, weil es sich bei FIFA um eine Sportsimulation handelt, die bekanntermaßen möglichst nahe am realen Vorbild sein sollte.
Und trotzdem gibt es in den Spielen Neuerungen, sie fallen lediglich klein aus. FIFA 17 brachte etwa das Abschirmen, ballführende Spieler strecken dabei die Arme aus, halten sich die Gegner vom Leib. Mit FIFA 18 folgten schnelle Wechsel zwischen vorher festgelegten Spielern. Mit FIFA 19 kam für mehr Kontrolle und Finten bei der Ballannahme das Active-Touch-System, Spieler können die Füße quasi führen. Und bei FIFA 20 ist es möglich, zwei Spieler parallel zu steuern – wobei es das Anfang des Jahrtausends in FIFA 2003 auch schon mal so ähnlich gab. Alles Kleinigkeiten, die jedoch, wenn sie alle gleichzeitig in einem Spiel erschienen wären, für ein völlig neues Spielgefühl gesorgt hätten.
Vielleicht wäre es smarter, die Sportsimulation im Zwei- oder Dreijahrestakt zu veröffentlichen. Und wer sich jetzt denkt, dass sich die Kader, Frisuren, Trikots samt Rückennummern und Stadien ja ebenfalls regelmäßig verändern: Das ließe sich problemlos via Updates regeln. Neue Ableger wären hingegen (wirklich) mal etwas Neues. Außerdem hätten die Entwickler mehr Zeit, die sie in die Charaktermodelle investieren können. Klar, die Superstars ähneln dem Original sehr und unterscheiden sich untereinander, aber unbekanntere Drittligisten, na ja, sehen fast alle gleich aus – Frisuren mal ausgenommen, die sind schnittig.
Das Problem ist aber, dass EA Verluste in Kauf nehmen müsste. Jedes Jahr ein Spiel zum Vollpreis, aktuell 70 Euro, zu veröffentlichen, ist logischerweise eine ergiebige Einnahmequelle. Die wird sich das Unternehmen wohl kaum entgehen lassen wollen. Nicht bei FIFA. Wo wir auch schon beim nächsten Problem wären: den monetären Interessen. Die schaden auch der Spielkultur.
Seit FIFA 16 verdient EA nicht nur mit dem Spiel eine Menge Geld, sondern auch mit seinen Lootboxen, ein System, bei dem Spieler Echtgeld in die Spielwährung investieren und wie bei einem einarmigen Banditen auf ihre Lieblingsspieler hoffen können. Zur Info: FIFA hat keine Altersbeschränkung. Es geht aber auch, die Währung zu erspielen, das dauert jedoch länger.
Die Diskussion, ob Lootboxen wirklich Glücksspiel sind oder doch nur "Sammelkarten-Spielen, Panini-Sammelbildern oder Überraschungseiern entsprechen", wie der Verband der deutschen Games-Branche im vergangenen Jahr schrieb, zieht sich seit einiger Zeit. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte der Anwalt Wulf Hambach zu dem Thema:
Gaming oder Gambling? Das Thema bleibt strittig, EA hat derzeit diesbezüglich rechtlich so gut wie nichts zu befürchten. Für FIFA 20 folgte in Belgien die Regel, die Spielwährung nur noch zu erspielen, nicht etwa durch Echtgeld zu kaufen. Ein Anfang, wenn auch nur ein kleiner. Doch warum ist das Lootbox-System so ein großes Problem?
Spielerinnen und Spieler investieren ihr Geld für Wahrscheinlichkeiten. Das steht ihnen frei. Der Erfolg des Systems spricht ebenfalls für sich, 1,4 Milliarden Euro nahm EA via Lootboxen in FIFA 20 ein. Doch gerade dieser Erfolg motiviert andere Spielentwickler. Lootboxen tauchen in vielen Spielen, gerne in EA-Vollpreistiteln auf, etwa "Star Wars Battlefront 2". Auch in Blizzards Online-Shooter "Overwatch" gibt es sie.
Solange es hier keine klare rechtliche Regelung gibt, können sie sich zur Norm entwickeln und gegebenenfalls auch in Nicht-Online-Spielen mehr von Bedeutung sein. Stelle sich das einer vor: Den Bogen in "Last of Us 2" gibt es nur mit ein wenig Glück. Das würde die Branche grundlegend verändern – ins Negative.
EA macht mit FIFA Milliardenumsätze und liefert dabei Jahr für Jahr ein Spiel, das nur geringfügig verändert wurde. Hoher Ertrag mit wenig Aufwand. Für alle anderen Sportspiele gibt das Unternehmen ein schlechtes Vorbild ab. Anstrengung ist ja offensichtlich nicht nötig. Das Mindeste reicht, ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss.
Doch im Ernst: Wie lange dauert es, bis sie begreifen, dass sie dadurch mehr verlieren, denn gewinnen? Bis sie ihr Vertrauen in die Marke verlieren? Bis sie kehrt machen, vielleicht zur Konkurrenz, zu "Pro Evolution Soccer", greifen? Vielleicht denkt EA dann um. Und vielleicht serviert es dann mit Nummer 37 der FIFA-Reihe ein völlig neues Gericht. Immer dasselbe wird auf Dauer nämlich fad.