Seit knapp neun Monaten verursacht Putin mit seinem Angriffskrieg in der Ukraine Tod, Leid und Zerstörung. Laut Expert:innen hätte der Krieg schon mehrfach beinahe zu verheerenden Umweltkatastrophen geführt: Etwa als russische Streitkräfte tagelang das Asow-Stahlwerk im Osten der Hafenstadt Mariupol bombardierten.
Denn neben den Atommeilern stellen auch die vielen Stahl- und Chemiefabriken sowie Bergwerke eine Gefahr in Kriegsgebieten dar: Stehen sie unter Beschuss, können giftige Dämpfe und Substanzen freigesetzt werden – mit fatalen Folgen für die Umwelt.
Doch Krieg, Rüstung und Militär bringen nicht nur katastrophale Auswirkungen für die Menschen und Umwelt vor Ort mit sich – sie treiben auch eine weitere Krise mit gravierenden Folgen an: die Klimakrise.
"Da der Krieg noch andauert, sind die zusätzlich verursachten CO₂-Emissionen derzeit noch nicht einschätzbar", sagt Astrid Sahm, Osteuropa- und Klimaexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), gegenüber watson. Eines aber weiß die Expertin schon jetzt sicher: Die CO₂-Emissionen – und damit ihre Auswirkungen auf die Erderwärmung – sind allein aufgrund ihrer Vielfältigkeit "sehr gravierend".
Verursacht werden zusätzliche kriegsbedingte CO₂-Emissionen Sahm zufolge allem voran durch die folgenden Punkte:
Die Umweltzerstörung durch Bomben, Verminung und weitere Kriegshandlungen sei "erheblich", auch werde der Wiederaufbau nach dem Krieg zu zusätzlichen CO₂-Emissionen führen. Sahm erklärt dazu gegenüber watson:
Und damit nicht genug: Durch die Zerstörung der Infrastruktur im Energiewesen dürften zur Stromerzeugung und zum Heizen verstärkt Dieselgeneratoren und Holz in der Ukraine verwendet werden – und damit für zusätzliche CO₂-Emissionen sorgen.
Ein Grund dafür, den Kopf in den Sand zu stecken, sei das aber nicht. Die Krise berge immerhin auch das Potenzial, dass zumindest ein Teil der CO₂-Emissionen durch einen energieeffizienten Wiederaufbau, der Klimaaspekte "maximal berücksichtigt", aufgefangen wird. "Die zentrale Frage ist, ob dieser Effekt noch rechtzeitig kommt, ehe der Kipppunkt für den Klimawandel im Hinblick auf den Anstieg der Durchschnittstemperatur erreicht ist", merkt Sahm an.
Sie ergänzt:
Viel wichtiger als die unmittelbaren Folgen des Krieges sind die mittel- bis langfristigen Veränderungen, insbesondere mit Blick auf die Energiepolitik. Denn um sich von den Gaslieferungen Russlands unabhängig zu machen, planen zahlreiche westliche Länder derzeit, auf andere Energiequellen und -lieferanten umzusteigen.
Gelingt die Energiewende dadurch schneller, ist die kurzzeitige Laufzeitverlängerung von Kohlekraftwerken etwa in Deutschland das weitaus geringere Übel.
Patrick Flamm, Senior Researcher am Leibniz Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), ist da weniger optimistisch. An die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens glaubt er selbst im Falle der internationalen Zusammenarbeit verfeindeter Staaten nicht mehr. Gegenüber watson sagt er:
Flamm geht davon aus, dass der Krieg in der Ukraine zweierlei Effekte nach sich ziehen könnte:
Und nicht nur das. Auch die Umwelt und die ukrainischen Ökosysteme würden unter dem Krieg leiden. "Kriegsschäden sind deshalb nicht nur im Bereich der Klimakrise zu befürchten, sondern auch bezüglich der Biodiversität und regionaler Verschmutzung", ergänzt Flamm. "Dass Russland gezielt kritische zivile Infrastruktur wie Dämme, Kraftwerke und Nuklearanlagen angreift, ist sehr riskant für Mensch wie Natur und völkerrechtlich nicht zulässig."
Kriege und Konflikte hätte es lange vor dem Wirtschaftswachstum durch fossile Brennstoffe gegeben, erklärt Experte Flamm. "Das Ziel sollte aber sein, Konflikte so zu lösen, dass dabei nicht das Leben auf dem Planeten Erde kaputtgeht, wie das im Falle eines Atomkrieges und nuklearen Winters ja auch der Fall sein könnte."
Andererseits könnte die Klimakrise, die die Menschen auf der ganzen Welt betrifft, Flamm zufolge aber auch das Potenzial haben, die internationale Zusammenarbeit auch zwischen verfeindeten Staaten zu fördern. "Wichtig ist dabei, dass eine globale Klimagerechtigkeit nicht aus den Augen verloren wird, um die unvermeidlichen Konfliktfragen einer Dekarbonisierung der Weltwirtschaft nicht zu gewaltsamen Konflikten und Kriegen werden zu lassen."
Auch Osteuropa- und Klimaexpertin Astrid Sahm betont, "dass Kriege und Klimaneutralität nicht vereinbar sind". Entsprechend wichtig sei es, dass die Lehren aus dem Krieg nicht in einer Wiederbelebung der Abschreckungspolitik durch Aufrüstung mündeten. "Vielmehr ist eine eingehende Reflexion erforderlich, warum internationale Mechanismen der friedlichen Konfliktregulierung in den letzten zwei Jahrzehnten so oft gescheitert sind und wie wirksame Mechanismen geschaffen werden können."