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Analyse

Deutsche Discounter mischen den Recycling-Markt auf und wittern das große Geschäft

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Nicht nur Batterien – bei dm können jetzt in München und Karlsruhe auch Kunststoff-Flaschen abgegeben werden.Bild: www.imago-images.de / Michael Gstettenbauer
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Jagd auf begehrte Stoffe: Wie deutsche Discounter den Recycling-Markt aufmischen und das große Geschäft wittern

06.10.2021, 18:34
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Knapp 50 Prozent der Abfälle aus dem gelben Sack werden laut dem Umweltbundesamt aktuell recycelt – und das entgegen der verbreiteten Annahme, die diese Quote um weitaus geringer einschätzen würde. Zuhause vorschriftsmäßig Mülltrennung zu betreiben ist eine Möglichkeit, Rezyklat die andere. Doch worum handelt es sich dabei und warum ist es so wichtig?

Im Grunde genommen ist Rezyklat nur der übergeordnete Begriff, bei dem es sich um Stoffe handelt, die ganz oder teilweise aus recycelten Materialien bestehen. Viel wichtiger ist für Lebensmittelriesen aktuell die Frage, wie dieses gewonnen werden kann.

Immer mehr Firmen wollen mitmischen

Der Markt sortiert sich drei Jahrzehnte nach der Einführung des "Grünen Punkts" neu: Konzerngruppen, wie Aldi, Lidl und seit Kurzem auch der Drogeriemarkt dm organisieren ihren eigenen Recycling-Prozess. Und das entgegen der Verpackungsverordnung des Bundes, die vorsieht, dass sich Hersteller von Plastikverpackungen mit einem Entgelt an den vorhandenen dualen Entsorgungssystemen beteiligen.

Der Discounter Lidl gibt sich Mühe in Sachen Mülltrennung – hier informieren sogar Abfallberater, Pädagogen und Verbraucherschützer vor ausgewählten Filialen über die richtige Mülltrennung. Naheliegend also, dass der Lebensmittelriese sich auch mit Rezyklat beschäftigt. Die eigene Organisation des Recyclingprozesses ist nicht nur nachhaltig, sondern auch kostengünstiger als die ausgelagerte Wiederverwertung der Verkaufsverpackungen. So stammt bereits jede zehnte Verpackung des Handelsunternehmens aus einem eigenen Lidl- oder Kaufland-Markt. Seitdem die Lidl-Tochter PreZero seit 2020 ein eigenes duales System für ihren Verpackungsmüll betreibt, sind allerdings auch ihre Umsätze stark gestiegen.

Der Einsatz von Rezyklat spart Erdöl und Emissionen

Neben Nachhaltigkeitsberichten, regionalen Sonderangeboten und eigenen Bio-Produktlinien geben sich die Discounter nun auch Mühe, ihre Verpackungen nachhaltiger zu gestalten und nehmen den Recycling-Prozess selbst in die Hand. Auch Lidl betont gegenüber seinen Kunden, sich mit der Teilnahme an der Kreislaufwirtschaft seiner Verantwortung gegenüber der Umwelt zu stellen.

Einen Nutzen für die Umwelt hat Rezyklat in jedem Fall: So spart dessen Einsatz durch die Aufbereitung der Rohstoffe zum einen Erdöl und zum anderen fallen, im Vergleich zu der Herstellung von Rohware, weniger Emissionen an, wie das Wuppertal Institut, eine Forschungseinrichtung für Klima, Umwelt und Energie erklärt.

Experte bewertet Strategie von Lidl: "Ansatz sehr seriös"

Experten sehen Potential in der Strategie der Lebensmittelkonzerne. So schätzt Dr. Holger Berg vom Wuppertal Institut diesen Ansatz als seriös ein und nennt gegenüber watson vor allem die Vorteile:

„Für ein hochwertiges Recycling besteht ein hoher Anspruch an Sortenreinheit. Kunststoffarten müssen daher getrennt vorliegen und man muss genau wissen, worum es sich handelt. Diese Informationen haben die Unternehmen zuverlässig vorliegen, wenn sie den Recycling-Prozess selbst in der Hand haben.“

Allerdings kann hochwertiges Recycling kaum greifen, wenn verschiedene Kunststoffschichten miteinander verschweißt sind. Solche oft für Gewicht und Haltbarkeit optimierte Verpackungen könnten zwar durch Gewichtsersparnis im Transport ebenfalls CO2 einsparen, so Berg, jedoch ließen sich diese Verpackungen nicht recyclen. Beispiele für die Multilayer-Verpackungen sind solche für Käse- oder Fleischwaren.

Aldi geht in den direkten Zweikampf mit Konkurrent Lidl

Aber auch Lidl-Konkurrent Aldi weiß mit dem Geschäftsmodell Kreislaufwirtschaft umzugehen. Erst vor wenigen Tagen gab der Lebensmitteldiscounter den Wechsel seines bisherigen Recycling-Partners EKO-Punkt bekannt. Er geht eine strategische Partnerschaft mit Interseroh+ ein – eine im Mai eigens aus Interseroh gegründete Firma, um Entsorgungskunden, wie Aldi zu Mitgesellschaftern zu machen. Damit würde der Kampf um die Marktmacht zwischen Aldi und Lidl auf eine neue Ebene befördert werden – von der Produktion, über den Verkauf, bis hin zum Verpackungs-Recycling.

Auch die Bundesregierung reagiert auf die aktuellen Probleme des Klimawandels: Neue Verpackungsverordnungen schreiben immer höhere Recycling-Quoten vor. Durch seine Entsorgungsaktivitäten hat Lidl einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil, denn der Konzern erhält dadurch besseren Zugriff auf das begehrte Rezyklat aus Kunststoff.

Dm drängt in hart umkämpftes Feld

Nun drängt auch die Drogeriemarktkette dm in das hart umkämpfte Feld des deutschen Abfallgeschäfts, um an das Rezyklat zu kommen. Aus diesem Grund startet dm in Deutschland ein Pilotprojekt, das sich vorerst auf ein Jahr belaufen soll. Dazu integriert das Unternehmen, nach eigenen Angaben, Aktionsfächer in die bestehenden Recyclingboxen hinter den Kassen in 150 Testmärkten im Raum Karlsruhe und München. Vor wenigen Wochen startete das Projekt bereits in Österreich.

Der Drogeriemarktbetreiber will herausfinden, ob seine Kunden ihre leeren Shampoo- und Reinigungsflaschen wieder in die Märkte zurückbringen. Dadurch könnte dm aus den gesammelten Kunststoffflaschen das begehrte Rezyklat herstellen, um daraus neue Verpackungen produzieren. Mit diesem Vorgehen schließt sich die Drogeriemarktkette den Discountern Aldi und Lidl an.

Verbessert die Initiative der Konzerne die Recycling-Prozesse?

Ziel von dm: Bis 2050 sollen 90 Prozent ihrer Nonfood-Kunststoff-Verpackungen mindestens zur Hälfte aus Rezyklat bestehen. Das Erreichen dieses ambitionierten Ziels hängt laut dms Geschäftsführerin Kerstin Erbe davon ab, wie der Test angenommen wird. "Für uns wird spannend sein, ob und in welchem Umfang unsere Kunden den Service der Verpackungsrücknahme annehmen und welche Ressourcen wir selbst einsetzen müssen, um die notwendige Qualität der Rezyklate zu erzielen", so Erbe, wie Lebensmittelzeitung.net berichtet.

Dennoch sind die Meinungen darüber geteilt. So gibt das Umweltbundesamt eine klare Empfehlung an die Verbraucher: Sie sollen selbstständig und vor allem vorschriftsmäßig in ihren Haushalten recyclen. Zudem steht das Umweltbundesamt den Plänen der Lebensmittel- und Drogeriemarktkonzernen eher kritisch gegenüber. Es sei im System schlicht nicht vorgesehen, dass Unternehmen ihre Verpackungen wieder zurücknähmen, so das Umweltbundesamt gegenüber watson.

(lc)

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