
Mit einer Mehrwertsteuersenkung könnten Käufer von klimafreundlichen Produkten profitieren. Bild: SVEN SIMON / Frank Hoermann/SVEN SIMON
Analyse
04.05.2022, 15:5604.05.2022, 20:01
Momentan prüft die Bundesregierung eine deutliche Senkung der Mehrwertsteuer für klimafreundliche Lebensmittel: Mit dem Gesetzesentwurf sollen die steigenden CO2-Kosten bei der Herstellung von Lebensmitteln oder höhere Kosten bei nachhaltiger Produktion über Änderungen bei der Mehrwertsteuer abgefedert werden – und somit Anreize zu einer klimafreundlichen Ernährung geben.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) würde eine solche Maßnahme im Sinne der Verbraucher begrüßen. "Der vzbv setzt sich für die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte ein, weil das dazu beitragen würde, gesunde und klimaverträglichere Ernährung für alle zu erleichtern – gerade auch angesichts steigender Lebensmittelpreise", sagt die Leiterin des Teams Lebensmittel, Anne Markwardt, gegenüber watson.
Doch würde eine entsprechende Senkung der Mehrwertsteuer auch wirklich im Portemonnaie der Verbraucher ankommen? Oder versickern mögliche Rabatte auf ihrem Weg zur Supermarktkasse etwa schon vorher?
Denn der Weg eines jeden Lebensmittels führt über mehrere Zwischenstationen – vom Produzenten, über Zulieferunternehmen in die verarbeitenden Lebensmittelindustrie bis in den Einzelhandel, wo das fertige Produkt im Supermarkt an Verbrauchende verkauft wird.
Watson hat dafür bei Achim Spiller, Professor für das Marketing von Lebensmitteln und Agrarprodukten an der Georg-Austen-Universität nachgefragt.
Druck auf Händler würde steigen
Er bestätigt, dass die Mehrwertsteuersenkung an der richtigen Stelle greifen würde: "Die Mehrwertsteuer betrifft nur den Einzelhandel, somit können die vorgelagerten Ketten den Steuervorteil nicht nutzen", erklärt er auf Anfrage von watson. "Ob auch wirklich eine Preissenkung bei den Verbraucherinnen landet, wenn die Mehrwertsteuer auf null Prozent abgesenkt würde, hängt deshalb letztendlich vom Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel ab, der in Deutschland grundsätzlich relativ hart ist."
Dieser habe sich jetzt nach Einschätzung des Experten mit den steigenden Energiepreisen und der Lebensmittelknappheit, die durch den Ukraine-Krieg ausgelöst wurde, noch verschärft: "Insofern erwarten wir jetzt perspektivisch auch weiterhin noch hohe Preise."
"Die Händler unterliegen momentan einem sehr starken Druck, diese Preissenkungen auch wirklich an die Verbraucher weiterzugeben."
Gerade in der jetzigen Phase seien aber alle Handelsunternehmen bestrebt, dass ihr Preis-Image positiv bleibt und dass sie nicht als hochpreisig wahrgenommen werden, da die Verbraucher inzwischen wieder verstärkt auf Preisevorteile achten. "Deshalb würde ich jetzt aktuell erwarten, dass die Händler einem sehr starken Druck unterliegen, die Preissenkungen auch an die Verbraucher weiterzugeben, da das Preisbewusstsein bei den Konsumenten zugenommenen hat", schätzt Spiller ein. Denn sonst würden die Käufer zum nächstbilligeren Discounter abwandern.
Auch Anne Markwardt vom vzbv ist zuversichtlich, dass die Ersparnis beim klimafreundlichen Einkauf auch an der richtigen Stelle ankommt. "Die Erfahrungen zeigen, dass der Lebensmitteleinzelhandel Mehrwertsteuersenkungen auch tatsächlich an die Verbraucher weitergibt. Das war zumindest bei der Mehrwertsteuersenkung im Zuge der Corona-Pandemie 2020 so."
Durch Inflation gerät Qualität ins Hintertreffen
Um trotzdem irgendwie noch zu sparen, werden und würden Verbraucher allerdings bereits niedrigpreisige Produkte priorisieren und Abstriche bei der Essensqualität und ihrer Klimawirkung akzeptieren, erklärt Lebensmittelexperte Spiller gegenüber watson.
"Bei durchschnittlichen fünf Euro pro Tag für Lebensmittel inklusive Getränke haben bereits viele Menschen, vor allem Geringverdiener und Harz-4-Empfänger, momentan kaum mehr Spielraum übrig: Sie müssen jetzt schauen, bei welchen Produkten man einsparen kann und kaufen dadurch weniger Marken- und mehr Niedrigpreis-Produkte – und darauf reagieren Händler dann wieder, indem sie den Preiswettbewerb mit Preisdumping verstärken."
Um diesem vertrackten Kreislauf zu entkommen und das eigentliche Ziel des Gesetzesvorschlags zu erreichen – nämlich eine Entlastung mit Ausblick auf einen klimafreundlicheren Konsum – empfiehlt Spiller, die Klima-Besteuerung mit einem klar sichtbaren Klimalabel zu koppeln.

Vor allem klimafreundlicheres Gemüse und Obst könnte im Zuge der Steuerentlastung günstiger werden.Bild: dpa-Zentralbild / Bernd Settnik
Ein Klima-Label könnte für Klarheit sorgen
Durch die Kombination der Steuersenkung mit einem Label auf klimafreundlichen Produkte, das den ökologischen Fußabdruck des gesamten Lebenskreislaufs eines Produkts abbildet, "würde vielen klarer werden, warum bestimmte Produkte teurer oder billiger werden", so die Hoffnung des Experten für Konsumverhalten bei Lebensmitteln.
Das bestätigt auch Anne Markwardt auf Nachfrage von watson. Die Mehrheit der Verbraucher wünsche sich einfache und verlässliche Kennzeichnungssysteme für beispielsweise Tierwohl und Nachhaltigkeit. "Solche Kennzeichnungen sind auch sinnvoll, um Verbrauchern eine nachhaltige Ernährung zu erleichtern oder nachvollziehbar zu machen, warum ein Produkt – zum Beispiel aufgrund hoher Tierschutzstandards – mehr kostet als ein anderes."
Denn, so ist sich Anne Marktwardt sicher, "eine große Mehrheit der Verbraucher wünscht sich eine bessere Tierhaltung und ist bereit, mehr für Produkte zu zahlen, die von Tieren aus guten Haltungsbedingungen stammen." Damit die Tierhaltung in Deutschland tatsächlich grundlegend umgebaut werden könnte und durch eine Reduktion der Tierzahlen insgesamt auch klimaverträglicher werde, brauche es neben höheren gesetzliche Standards auch finanzielle Unterstützung. Beispielsweise eine Förderung für Betriebe, die nachweislich für mehr Tierwohl sorgen.

Weniger Tiere, mehr Klimaschutz: Um den Umbau der Landwirtschaft zu finanzieren, müssten tierische Produkte teurer werden.Bild: dpa / Sebastian Gollnow
Finanziert werden solle diese Förderung durch eine Abgabe auf tierische Produkte. "Bei einer gleichzeitigen Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte entstehen so außerdem Preissignale, die eine nachhaltige Ernährung befördern können, ohne dass Verbraucher einseitig belastet werden", erklärt Markwardt.
Doch, das gibt die Verbraucherschützerin zu denken, Label und Kennzeichnungssysteme allein würden jedoch nicht ausreichen und seien deshalb auch keine Alternative zu gesetzlichen Vorgaben oder finanziellen Anreizen. "Die dringend notwendige Transformation zu mehr Nachhaltigkeit kann nicht allein durch eine hier und da veränderte Nachfrage von Verbrauchern gelingen." Notwendig sei der Dreiklang: Produktionsbedingungen und gesetzliche Vorgaben müssten sich ändern und eine nachhaltige Ernährung von den richtigen Preissignalen unterstützt werden.
Immer wieder liegen sogenannte Superfoods voll im Trend. Diese Lebensmittel zeichnen sich durch besonders gute Nährstoffe aus. So enthalten sie einen hohen Gehalt an Vitaminen, Mineralstoffen oder sekundären Pflanzenstoffen.