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Analyse

Feinstaub: Diese Krankheiten und Gefahren drohen durch das Reizgas

Pregnant woman using an inhaler. (Photo by: BSIP/Universal Images Group via Getty Images)
Die Gefahr ist unsichtbar – und doch da: Jährlich sterben allein in Deutschland rund 54.000 Menschen frühzeitig aufgrund der hohen Schadstoffkonzentration in der Luft.Bild: Universal Images Group Editorial / BSIP
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Feinstaub: Diese Krankheiten und Gefahren drohen durch das Reizgas

23.02.2023, 15:5325.04.2023, 15:19
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Die Klimakrise hat nicht nur Folgen für unsere Umwelt, sondern auch auf unsere Gesundheit. Und diese Risiken sollte man nicht unterschätzen, wie eine Gruppe aus Forschenden und Ärzt:innen der Bundesärztekammer, der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) sowie der Health and Environment Alliance (HEAL) betont.

Luftverschmutzung, so sagen die Expert:innen, ist das größte umweltbedingte Risiko für die Gesundheit der Menschen in Deutschland und Europa. Jahr für Jahr versterben allein in Deutschland rund 54.000 Menschen frühzeitig aufgrund der hohen Schadstoffkonzentration und der Feinstaubbelastung in der Luft.

"Der Feinstaub dringt in den Körper ein und kann so im Prinzip alle Organe belasten und schädigen", sagt Barbara Hoffmann im Gespräch mit watson. Sie ist Umweltepidemiologin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und hat als Sachverständige an den Richtwerten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu strengeren Grenzwerten für Luftqualität mitgearbeitet.

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Beim Thema Feinstaub gibt es noch (saubere) Luft nach oben

Und die haben es in sich: Denn die WHO empfiehlt einen Grenzwert von nur zehn Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter. Der derzeitige Jahresmittelgrenzwert für das Reizgas liegt bei 40 Mikrogramm, ist also dreimal so hoch wie von der WHO angeraten. Verkehr ist einer der größten Verursacher von Feinstaub.

Abgase von einem Auto zeichnen sich ab vor der untergehenden Sonne in Berlin, 11.01.2022. Copyright: Florian Gaertner/photothek.de
Der Autoverkehr trägt enorm zu der schlechten Luftqualität bei. Bild: PHOTOTHEK / Florian Gaertner

Die gute Nachricht: Die EU-Luftqualitätsrichtlinie wird derzeit von der EU-Kommission überarbeitet. Eine Anpassung der Grenzwerte würde dann auch für Deutschland gelten. Doch von der Zielsetzung der WHO scheint die EU noch weit entfernt. Ein derzeitiger Entwurf für Maßnahmen sieht eine Anpassung der Grenzwerte auf 20 Mikrogramm pro Kubikmeter vor. Und das erst ab 2030. Aber: "Jedes Jahr länger mit schlechter Luft führt zu mehr Gesundheitsschäden." Hoffmann ergänzt:

"Wir haben von der WHO ganz klare wissenschaftliche Empfehlungen bekommen, wo glasklar niedergeschrieben wurde, ab welcher Konzentration von Luftschadstoffen mit großer Sicherheit ernsthafte und schwerwiegende Gesundheitsschäden auftreten. Und diese Werte liegen deutlich unter dem, was die EU-Kommission jetzt vorgeschlagen hat."
"Man kann ja schlecht einfach aufhören zu atmen."
Umweltmedizinerin Barbara Hoffmann

Kann man sich vor der Gesundheitsgefahr Feinstaub schützen?

Das Problem: Der oder die Einzelne kann sich "wirklich nur sehr, sehr schwer vor der Belastung mit Luftschadstoffen schützen, weil sie eben überall sind", wie Hoffmann erläutert. Vor allem dann, wenn man etwa an einer stark befahrenen Straße oder in der Nähe eines Industriegebiets wohnt, sind die Partikel allgegenwärtig. Natürlich könne man es vermeiden, an viel befahrenen Straßen joggen zu gehen, aber das seien lediglich einzelne Möglichkeiten, die die Feinstaubbelastung nur geringfügig beeinflussen würden. "Man kann ja schlecht einfach aufhören zu atmen", sagt Hoffmann.

Denn mit jedem Atemzug atmen wir Feinstaub ein – je kleiner die Feinstaub-Partikel sind, umso tiefer können sie auch in die Lunge eindringen. "Die kleinsten kommen bis in die aller tiefsten Lungenbläschen und können dort über die Luft-Blut-Schranke ins Blut und darüber dann in alle Organe gelangen", erklärt Hoffmann.

In der Lunge und den Organen lösen die Feinstaub-Teilchen oxidativen Stress aus. Die Folge: Asthma, Herzinfarkte, Schlaganfälle und Arteriosklerose – im schlimmsten Fall zudem Lungenkrebs. Hoffmann ergänzt:

"Auch das Gehirn ist betroffen – die Entwicklung der Intelligenz von Kindern wird verzögert und im Alter kommt es schneller zu einer Demenz. Das ungeborene Kind wird geschädigt und kommt mit einem geringeren Geburtsgewicht zur Welt."
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Schwere Luftverschmutzung kann zu einem geringeren Geburtsgewicht von Babys führen.Bild: NurPhoto / NurPhoto

Was muss sich politisch ändern?

"Was wir brauchen, ist wirklich entschiedenes Handeln der Politik", betont Hoffmann. Die Grenzwerte der WHO sollten unter allen Umständen fest- und eingehalten werden. Dafür müssten alle Quellen, die Luftschadstoffe ausstoßen, angegangen und die Emissionen entsprechend reduziert werden. Darunter fallen allem voran die Industrie, die Energieerzeugung, die Landwirtschaft, der Verkehr – und Hausheizungen. "Es sind auch die Städte und Länder gefragt, Regelungen zu treffen, die alle Emittenten betreffen", sagt Hoffmann.

Das Beste daran: "In aller Regel bedeutet Klimaschutz auch Gesundheitsschutz durch weniger Luftschadstoffe – und umgekehrt." Hoffmann zufolge ergebe sich eine "klassische Win-Win-Situation, wo jeder Euro, den man reinsteckt, gleich doppelt nützt".

Nämlich der Gesundheit – und Umwelt und Klima.

Dabei gibt es nur ein Problem: Die Verschmutzung der Luft ist weder sichtbar, noch riecht man sie. "Und auch die Folgen für die Gesundheit werden nicht direkt als Folgen der Luftverschmutzung erkannt", merkt Hoffmann an. Das Resultat: Die Belastung mit Feinstaub wird als nicht allzu drängendes Problem wahrgenommen. Auch vonseiten des Gesetzgebers. "Bei der Corona-Pandemie war das anders, weil die Folgen einer Infektion für alle sehr sichtbar und direkt erkennbar waren", erklärt Hoffmann. Sie ergänzt:

"Viele Leute wissen auch gar nicht, welche Gesundheitsschäden durch die Luftverschmutzung ausgelöst werden. Leute, die einen Kamin haben und gemütlich am Feuer sitzen, ist oft gar nicht bewusst, dass sie die ganze Zeit krebserregende Substanzen einatmen."
Ein Kaminfeuer schafft Gemütlichkeit, ist aber auch ein gesundheitliches Risiko – das wir gern ausblenden.
Ein Kaminfeuer schafft Gemütlichkeit, ist aber auch ein gesundheitliches Risiko – das wir gern ausblenden.bild: pexels / Enrique Hoyos

Müsste Luftverschmutzung wehtun, damit wir sofort reagieren?

Diese Erkenntnis gilt aber nicht nur in Hinsicht auf Umweltgefahren. "Dinge, die in der Zukunft liegen, deren Konsequenzen wir also nicht direkt spüren, werden in der Regel weniger stark als risikoreich bewertet", sagt Hoffmann.

Ein Beispiel aus einem anderen medizinischen Bereich sei ein hoher Blutdruck: Den spürt man über Jahre hinweg nicht, allerdings hat er erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit. "Bei Problemen, die man direkt spürt, ist der Handlungswille viel größer: Wenn man Rückenschmerzen hat, will man gleich etwas tun – um die Schmerzen zu behandeln und loszuwerden."

Also müsst die Luftverschmutzung wehtun, damit wir sofort reagieren?

"Das haben Sie jetzt schön formuliert", sagt Hoffman. "Aber ja."

Klimakiller Avocado: Sieben bessere Alternativen zur Superfrucht

Die Avocado ist wohl die umstrittenste Frucht überhaupt. Sie ist ohne Frage sehr gesund, liefert zum Beispiel wertvolle Omega-3-Fettsäuren, Magnesium, Vitamin A und E. Das ist gut für Herz und Kreislauf, senkt den Cholesterinspiegel, hilft bei Stress und Nervosität und unterstützt den Muskelaufbau. Und sie schmeckt in vielen Kombinationen und Varianten sehr gut, trotz und gerade wegen relativ geringem Eigengeschmack.

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