Hitzewellen wie zuletzt in Indien und Pakistan sind durch die Klimakrise einer aktuellen Auswertung zufolge rund 30 Mal wahrscheinlicher geworden. Das analysierten knapp 30 Forscher aus Großbritannien, Indien, Pakistan und anderen Ländern, die sich in der World Weather Attribution Group zusammengeschlossen haben. Die sogenannte Attributionsforschung untersucht, ob und inwieweit sich Wetterextreme auf die Erderhitzung zurückführen lassen.
Um den Effekt der Klimakrise zu errechnen, analysierten die Forscherinnen und Forscher Wetterdaten und Computersimulationen, um die von heute mit jenen des späten 19. Jahrhunderts zu vergleichen.
Und nicht nur auf dem indischen Subkontinent kommt es zu solchen Extremwetterlagen. Auch in Spanien haben die Menschen momentan mit ungewöhnlich hohen Temperaturen für diese Jahreszeit zu kämpfen: In einigen Regionen stieg das Thermometer bereits jetzt auf 41 Grad.
Watson hat mit dem Klimaexperten Karsten Haustein von der Universität Leipzig darüber gesprochen, was "30 Mal wahrscheinlicher" im Zusammenhang mit der Klimakrise bedeutet und welche klimatischen Veränderungen auch in Deutschland zu erwarten sind.
Was genau bedeutet es also, dass eine Hitzewelle wie derzeit in Indien und in Pakistan durch die Klimakrise 30 Mal wahrscheinlicher geworden ist? Karsten Haustein erklärt es an einem Beispiel.
"Das ist eine statistische Aussage, die tatsächlich nicht ganz so einfach zu verstehen ist. Es werden zwei Dinge miteinander verglichen: Auf der einen Seite ein Szenario, bei dem es den menschenverursachten Klimawandel nicht gibt und auf der anderen Seite den aktuellen Vorfall. Um es mit hypothetischen Zahlen zu verdeutlichen: Eine Hitzewelle kommt unter normalen Umständen alle 60 Jahre vor. Mit dem Klimawandel passiert solch ein Ereignis 30 Mal häufiger, es kommt also alle zwei Jahre zu einer Hitzewelle."
Systematische Beobachten für Pakistan und Indien gibt es seit 1979, für Indien alleine seit 1951. Im jetzigen Zustand der globalen Erwärmung geht man von einer vergleichbaren Hitzewelle im Abstand von 100 Jahren aus. Das gleiche Ereignis in vorindustrieller Zeit wäre ein Grad kälter gewesen, wie die Studie aussagt. Wenn der Klimawandel wie bisher voranschreitet und sich die Temperatur um zwei Grad erhöht, könnte die Häufigkeit der Hitzewellen um den Faktor 2 bis 20 steigen.
Bei einer Erderhitzung von zwei Grad müsse man dann also etwa alle fünf Jahre mit einer solch extremen Hitzewelle rechnen, schreiben die Forschenden.
Doch nicht die Temperatur allein macht den Menschen und der Natur zu schaffen: Wie Karsten Haustein erläutert, ist es allem voran die Dauer der Hitzewelle. Extreme Temperaturen habe es auch bereits in der Vergangenheit gegeben. "Es gab ironischerweise nicht einmal Temperaturrekorde. Ich habe einmal an einer Studie über die Hitzewelle 2016 in der indischen Stadt Phalodi in Rajastan gearbeitet, dort wurden sogar 51 Grad Celsius gemessen", erklärt Klimaexperte Karsten Haustein, "trotzdem ist das jetzige Problem die Länge dieses Ereignisses."
Die durchschnittliche Temperatur im Mai, der Vormonsunsaison, betrage um die 42 Grad Celsius. Temperaturen um die 49 Grad sind also deutlich zu hoch, wie Haustein sagt. In den meisten tropischen Ländern herrschen im Schnitt 34 bis 35 Grad Celsius.
Zwar seien die Menschen in Indien an Temperaturen von über 40 Grad gewöhnt, "doch ob es 42 oder 44 Grad sind, macht einen gewaltigen Unterschied", so Haustein. Der ganze Subkontinent sei von dem Temperaturanstieg "extrem betroffen".
Bereits seit fast zwei Monaten dauert die Hitzewelle an. Der März war in Indien der heißeste seit Beginn der Temperatur-Aufzeichnung vor 122 Jahren, auch in Pakistan wurden Rekordtemperaturen gemessen. Außerdem verschärfte eine gleichzeitige Trockenheit die Lage: So fiel in beiden Ländern mehr als 60 Prozent weniger Regen als üblich.
Trotz des tropischen Klimas seien Klimaanlagen in Indien nicht weit verbreitet, erzählt Karsten Haustein. Das liege auch an der teilweise mangelnden flächendeckenden Energieversorgung. Die Menschen müssen sich in vielen Fällen anders helfen: "Es wird dadurch kompensiert, indem man nicht rausgeht. Man versucht, die Räume so kühl wie möglich zu halten und hat einen Ventilator an der Decke. Und auch hier: Zwei Grad machen schon einen großen Unterschied."
Auch in anderen Teilen der Welt, wie beispielsweise in Spanien, kommt es bereits zu Hitzewellen. "Alle Regionen der Welt sind betroffen", sagt Haustein. "Wir haben das Glück, dass wir in Deutschland in einer relativ moderaten Zone wohnen. Diese langen Hitzewellen sind selten, doch in den Jahren 2003 und 2012 war es mehr als zwei Wochen lang über 30 Grad heiß. 2019 war es ein paar Tage sogar über 40 Grad."
Die Hitzewellen in Europa würden zwar nicht so lange andauern wie die in Indien, doch auch hier war die Hitze für viele Menschen tödlich. "Die Hitzewelle 2003 ging in Frankreich mit 70.000 Todesfällen einher. Es gibt also auch hier katastrophale Zahlen", sagt Meteorologe Haustein.
Oft seien die Hitzetoten erst im Nachhinein in den Statistiken sichtbar: "Das heißt, wenn man sich die sogenannten Exzess-Todeszahlen in bestimmten Jahreszeiten anschaut, in denen es besonders heiß war, findet man zu diesem Zeitpunkt tatsächlich einen besonderen Peak." Dies sei auch hier bei uns in Europa eine Problematik. Die 70.000 Tode, die durch die Hitzewelle in Frankreich verursacht wurden, konnten erst Monate später zugeordnet werden.
Karsten Haustein betont außerdem, dass die Tödlichkeit von Hitzewellen oft unterschätzt werde. "Auf der einen Seite hat man sehr sichtbare Ereignisse, wie beispielsweise die Flut im Ahrtal. Auf der anderen Seite gibt es die zwar für alle wahrnehmbaren Hitzewellen, doch die daraus resultierenden Todeszahlen werden erst später ersichtlich." Hitzewellen seien jedoch der "drastischere Killer": "Die Exzess-Todeszahlen gehen in die Tausende, selbst bei leichteren Hitzewellen wie hier in Deutschland. Und in Indien wird es nicht anders aussehen."
Auch die deutsche Klimaforscherin Friederike Otto vom Imperial College London, die an der Studie der World Weather Attribution Group mitwirkte, erklärt Hitzewellen zu den tödlichsten Wetterextremen überhaupt. "Gleichzeitig sind es diese Extreme, die in einer sich erwärmenden Welt am stärksten zunehmen. Solange Treibhausgasemissionen weitergehen, werden Ereignisse wie diese eine immer häufiger werdende Katastrophe", so Otto.
In Indien kommt zur Hitze jedoch noch eine weitere Gesundheitsgefahr hinzu: "Gerade in der trockenen Vormonsunzeit gibt es eine unglaubliche Luftverschmutzung, beispielsweise durch Fahrzeug-Abgase. Auch diese Verschmutzung führt zu vielen vorzeitigen Todesfällen. Global betrachtet sind dies bis zu vier Millionen Tote", sagt Karsten Haustein.
Die Luftverschmutzung ist jedoch auch hier in Deutschland ein Problem, das unterschätzt wird. "Sobald es im Sommer warm wird und die Autoabgase in den Städten hinzukommen, kommt es zu einer unheimlich hohen Ozonbelastung", erklärt Karsten Haustein.
"Man sollte auf jeden Fall auf weitere Hitzewellen vorbereitet sein", sagt Haustein. Langfristig werde man auch in Europa vermutlich nicht um Klimaanlagen herumkommen, zumindest sollte man mit einem Ventilator ausgestattet sein. Solche Maßnahmen kämen jedoch schnell an ihre Grenzen, da sie nicht die Ursache des Problems bekämpfen würden. Die Hitzewellen würden mit der Zeit immer heftiger werden – und damit auch die Kosten, die mit ihnen einhergehen.
"Es ist immer die Diskussion, ob man eben unheimlich viel investieren muss, um sich den Gegebenheiten anzupassen. Oder ob man frühzeitig Maßnahmen ergreift, um langfristig solche Ereignisse zu vermeiden", erklärt Karsten Haustein. Würde man heute investieren, um die Erderwärmung zu vermeiden, müsste man später weniger in Zwangsmaßnahmen investieren. "Alles, was wir jetzt nicht investieren, verlagert die Kosten auf die nächste Generation. Und das ist nicht okay."
(mit Material von afp)