Für viele von uns ist es selbstverständlich, dass Wasser in unbegrenzten Mengen vorhanden ist. Das könnte sich in Zukunft ändern. (Symbolbild)Bild: Getty Images
Analyse
18.06.2021, 19:5218.06.2021, 20:01
Abends noch mal kurz in die Dusche stellen und abbrausen, beim Geschirrspülen den Hahn aufgedreht lassen oder bei sommerlichen Temperaturen den Garten sprengen: Unbegrenzt scheinen die Wassermengen, die uns für den täglichen Gebrauch zur Verfügung stehen. Schließlich braucht es nur einen simplen Handgriff, den Wasserhahn aufzudrehen um das kühle oder warme Nass, je nach Bedarf, zu genießen.
123 Liter verbraucht der Durchschnittsmensch in Deutschland täglich, hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung von über 83,1 Millionen Menschen ist das eine beachtliche Summe von über 10,2 Milliarden Litern. Hinzu kommen die Wassermengen, die Landwirtschaft und Industrie verbrauchen.
So leicht zugänglich Wasser in Deutschland zu sein scheint, so sehr trügt dieser Eindruck: Experten warnen vor einer drohenden Knappheit. Deswegen hat Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) kürzlich die neue nationale Wasserstrategie vorgestellt, die zum Ziel hat, die Wasserversorgung in der gesamten Bundesrepublik auch in Zukunft zu gewährleisten. So sagte Schulze bei der Präsentation:
"Wir müssen jetzt Vorsorge ergreifen."
Erklärtes Ziel der SPD-Politikerin ist es, "dass auch in 30 Jahren sauberes Wasser immer und überall in Deutschland ausreichend verfügbar ist." Daraus klingt eine gewisse Dringlichkeit durch – denn heißt das nicht im Umkehrschluss, dass uns bereits in 30 Jahren das Wasser ausgehen könnte, wenn wir nichts unternehmen? Wie steht es um Deutschlands Wasservorräte? Droht uns eine Knappheit? Und welche Rolle spielt der Klimawandel dabei?
Herrscht in Deutschland Wasserknappheit?
"Wasserknappheit ist immer im Zusammenhang mit der Nutzung zu definieren", sagt Dietrich Borchardt, Leiter des Departments Aquatische Ökosystemanalyse und Management am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, gegenüber watson. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehört unter anderem das Management von Wasserressourcen im Kontext von Klimawandel, Landnutzung und Gewässerschutz.
"Die Frage, ob das Wasser knapp wird, stellt sich häufig wie folgt: Gibt es genügend Rohwasser für die Trinkwassergewinnung? Hat die Landwirtschaft ausreichend Wasser zur Verfügung? Gibt es genügend Kühlwasser für die Kraftwerke, sind unsere Gewässer in einem gesunden Zustand? In diesen einzelnen Bereichen haben wir es immer wieder mal mit Knappheit zu tun", so Borchardt. "Das haben auch die vergangenen drei Jahre gezeigt, die besonders von Dürre gepaart mit Hitzewellen im Sommer gezeichnet waren und für viel Trockenheit gesorgt haben."
Talsperren, wie hier in Hessen, sind wichtig für wasserärmere Regionen.Bild: www.imago-images.de / imageBROKER/Andreas Vitting
Tatsächlich gehörten die vergangenen Jahre zu den wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881: 2018 gilt als das Jahr mit der höchsten Durchschnittstemperatur, der bisherige Hitzerekord von 41,2 Grad wurde 2019 in Duisburg-Baerl und Tönisvorst in Nordrhein-Westfalen gemessen.
Viel Hitze, wenig Niederschlag: Dass dadurch die Wasserreserven erst mal leiden, ist logisch – und erst einmal keine Seltenheit, erklärt Borchardt: "Zeitweise und örtlich begrenzte Wasserknappheit ist erst einmal nichts Ungewöhnliches." Vor allem, wenn in manchen Regionen Mehrfachnutzungen aufeinandertreffen: Beispielsweise, wenn Wasserversorgung, Landwirtschaft und Industrie auf dieselben Wasserressourcen zugreifen", sagt Borchardt.
Grund für eine Entwarnung ist das allerdings nicht:
"Wir müssen uns dennoch damit auseinandersetzen, dass der Klimawandel bei uns angekommen ist."
Die Menschen in Deutschland erleben laut dem Wasserexperten mehr extreme Wetterereignisse und eine Verschiebung des Wasserangebots. "Das heißt, dass wir es selbst im Frühjahr schon teilweise mit Trockenheit zu tun haben, während die Landwirtschaft besonders viel Wasser braucht."
Gleichzeitig erlebten wir mehr Starkregen in immer kürzeren Abständen, erklärt Borchardt, was die Grundwasserreserven allerdings auch nicht auffülle. Er meint: "Das sind viele atypische Muster, mit denen wir nun lernen müssen, umzugehen."
Veränderte Witterungsbedingungen wirken sich unter anderem auf die Landwirtschaft aus. Denn ohne genügend Regen müssen Äcker und Felder zusätzlich mit Wasser versorgt werden. Momentan würden etwa 2,7 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen bewässert, so Borchardt. "Aufgrund des Klimawandels könnten das in 30 oder 40 Jahren aber schon 30 Prozent oder mehr sein." Und das könnte enorm auf unsere Ressourcen drücken.
Zu heiß, zu trocken – das sind die Folgen
Deutschland ist an sich wasserreich. Das zeigt sich laut Borchardt auch daran, dass wir nur einen Bruchteil der uns zur Verfügung stehenden und nutzbaren Ressourcen überhaupt verwenden, nämlich etwa 13 Prozent.
Dennoch drohen mehrere Gebiete in Deutschland mittlerweile, völlig auszutrocknen, warnt Sebastian Schönauer, Sprecher des Arbeitskreises Wasser beim BUND, gegenüber watson. "Dort wird es schwierig sein, für alle Verbrauchssektoren dauerhaft eine gesicherte Versorgung zu garantieren."
Bis zu einer Bodentiefe von 1,80 Meter sei mittlerweile einfach alles trocken, so Schönauer. "Unsere Grundwasservorräte, die über Jahre hinweg geschrumpft sind, lassen sich nicht einfach so wieder auffüllen. Auch nicht mit den Niederschlagsmengen vom April oder Mai dieses Jahres."
Hinzu kommt eine zunehmende Versiegelung der Flächen: Etwa 45 Prozent der Böden in Deutschland sind aktuell bebaut, betoniert oder anderweitig befestigt. "Wegen des fortschreitenden Städtebaus, also mit dem Bau von mehr Wohnungen, Straßen und Gewerbegebieten, werden mehr Flächen in Deutschland versiegelt", warnt Schönauer:
"Das Regenwasser kann nicht so nicht im Boden versickern. Dadurch schrumpfen die Grundwasservorräte und wenn es viel regnet, kommt es eher zu Überschwemmungen. Entsiegelung der Flächen und Wasserrückhaltekonzepte sind nun gefragt."
Kein Mengenproblem, sondern ein Verteilungsproblem
Trotz Trockenheit und versiegelter Flächen soll Deutschland über genügend Wassermengen verfügen, wenn sie auch nicht in jeder Region erreichbar sind. Das sagt zumindest Umweltministerin Schulze. Laut ihr herrscht bei der Wasserversorgung kein Mengen-, sondern ein Verteilungsproblem – weil eben manche Regionen über verhältnismäßig wenig Wasserressourcen verfügen. Um dem entgegenzuwirken, sollen im Rahmen der nationalen Wasserstrategie 1 Milliarde Euro investiert werden, um Leitungen zu bauen, die Wasser von wasserreichen in trockenere Gebiete transportieren.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD)Bild: www.imago-images.de / Jürgen Heinrich
Laut Borchardt stimmt es aber nicht ganz, dass es nur an der Verteilung der Ressourcen hapert. "Wir haben es zwar tatsächlich mit einem Verteilungsproblem zu tun, denn die Wasserressourcen sind sehr unterschiedlich verteilt", meint der Forscher. Manche Regionen müssten mithilfe überregionaler Talsperren versorgt werden, etwa in Sachsen, Thüringen oder einigen Gebieten in Nordrhein-Westfalen. Der Stuttgarter Raum kann nur ausreichend versorgt werden, weil enorme Mengen Trinkwasser aus dem Bodensee dorthin gepumpt werden.
"Um diese Umverteilung weiter auszubauen, brauchen wir lange Leitungen, und die sind so schnell nicht gebaut", gibt Borchardt zu bedenken. "Das bedeutet erst einmal einen Stresstest für die bereits vorhandenen Wasserversorgungssysteme."
Schönauer geht noch einen Schritt weiter in seiner Kritik: "Fernleitungen zu legen, um die Wasserversorgung überregional auszugleichen, halte ich für verkehrt: Das ist ein Notbehelf, also ein Ansatz, der nur eine Zeitlang funktioniert, aber nicht wirklich nachhaltig ist."
Qualität ist schlecht
Ein weiterer Punkt, der deutlich macht, dass wir es nicht nur mit einem Verteilungsproblem der Wasserressourcen zu tun haben, sei die Qualität des Wassers, betont Borchardt: "Rund ein Drittel unserer Grundwasserkörper sind erheblich mit Nitrat oder Pflanzenschutzmitteln belastet, aber nur 5 Prozent weisen einen 'schlechten mengenmäßigen' Zustand auf." Das bedeutet:
"Die wasserqualitätsbedingte Wasserknappheit ist größer als die mengenmäßige."
Nitrate werden in der Landwirtschaft als Mineraldünger in Form von Kalium-, Kalzium-, Natrium- oder Ammoniumnitrat verwendet. So kann das Nitrat ins Grundwasser gelangen. In der EU darf ein Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter Trinkwasser nicht überschritten werden, ansonsten kann der Stoff vor allem für Säuglinge gesundheitliche Folgen haben.
Das Trinkwasser hat in Deutschland eine sehr gute Qualität und kann bedenkenlos aus dem Hahn getrunken werden. Dennoch weist das Grundwasser hierzulande stellenweise einen sehr hohen Nitratgehalt auf: Etwa 17 Prozent der Messstellen des repräsentativen EUA-Grundwassermessnetzes (Messnetz für die Berichterstattung an die Europäische Umweltagentur) zeigen Nitratgehalte über dem Schwellenwert von 50 Milligramm je Liter auf.
"Das mit Nitrat oder Pflanzenschutzmitteln belastete Wasser kann man zwar aufbereiten oder stark verdünnen", sagt Borchardt, "das ist allerdings mit erheblichem Aufwand verbunden und nicht nachhaltig." Erschwerend komme hinzu, dass sich die steigenden Temperaturen der vergangenen Jahre negativ auf die stoffliche Belastung im Wasser auswirken könnten, meint Borchardt:
"Die durch den Klimawandel bedingte Trockenheit und Hitze halten unsere Gewässer nur zum Teil aus. Die nachteiligen Wirkungen der Nährstoffbelastung werden dadurch zusätzlich verschärft, auch in den Talsperren, wo sich unter diesen Bedingungen beispielsweise giftige Algen ausbreiten können."
Wir müssen lernen, mit weniger Wasser auszukommen
Deutschland leidet bisher noch nicht unter flächendeckendem Mangel. Trockenheit und Dürre, versiegelte Flächen und Schadstoffbelastung können das Problem jedoch zukünftig verschärfen – und dann wird es möglicherweise nicht genug sein, Wasser umzuverteilen und von wasserreicheren zu -ärmeren Regionen umzuleiten.
Eine weitere Stellschraube in der Wasserthematik ist also, wie in anderen Bereichen, der eigene Konsum. "Wenn wir weiterhin so viel Wasser verbrauchen wie aktuell, wird es knapp", mahnt Schönauer. Er ergänzt: "Ein Mehr gibt es nicht!" Deswegen müssen wir laut dem BUND-Sprecher lernen, mit der Menge auszukommen, die uns aktuell zur Verfügung steht. "Wir leben in Deutschland in einer beneidenswerten Lage, was die Wasserversorgung betrifft", so Schönauer. Weiterhin sagt er:
"Gerade, weil diese Überfülle, in der wir leben, nicht allen Menschen zur Verfügung steht, sollte sich Deutschland seiner Vorreiterrolle beim Umgang mit Wasser bewusst werden."
Was können wir tun?
Möglichkeiten, unseren Wasserverbrauch zu regulieren, gibt es zahlreiche. "Ein smarter Wassertarif kann ein Baustein sein, um gegen Wasserknappheit vorzusorgen", so Borchardt. Einen ebensolchen hat Schulze auch als Teil der neuen nationalen Wasserstrategie vorgestellt: Dabei würde das Wasser günstiger werden in Zeiten, in denen die Nachfrage gering ist. "In Krisenzeiten, wie dem besonders heißen Sommer 2018, kann so eine Maßnahme hilfreich sein, um für einen wasserschonenden Umgang zu sensibilisieren", so Borchardt.
Gerade in Mecklenburg-Vorpommern befinden sich viele großflächige Äcker, auf denen Regenwasser schnell verdunstet.Bild: www.imago-images.de / Jens Koehler
Eine andere Möglichkeit wäre, große, landwirtschaftliche Flächen so zu bepflanzen, dass Regenwasser besser in den Grund absickern kann. "In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel gibt es viele große, freie Flächen, die für einen großflächigen Ackerbau genutzt werden", erklärt Schönauer. "Dort verdunstet wegen des fehlenden Grünbewuchses das Regenwasser sehr schnell. Man müsste hier wieder mehr kleinräumige Äcker mit Gebüschen und Waldstreifen schaffen, damit das Wasser nicht so schnell verdunstet und in den Boden einsickern kann."
Sich über den eigenen Wasserverbrauch Gedanken zu machen – daran werden wir trotzdem nicht vorbeikommen. "Die Verbraucher tragen die Verantwortung für einen sensiblen Wasserumgang mit", sagt Borchardt.
Erfreulich sei allerdings, dass die vergangenen Jahrzehnte zeigen, dass die Bevölkerung ihren Wasserverbrauch verringert hat: Er ist von durchschnittlich 144 Liter pro Tag und pro Kopf im Jahr 1991 auf gegenwärtig 123 Liter gesunken, laut Borchardt "dank dem bewussteren Umgang und neuen Technologien". Denn unsere Selbstwirksamkeit als Verbraucher ist auch beim Thema Wasser nicht zu unterschätzen, glaubt Borchardt:
"Überall da, wo Politik und Wirtschaft zu langsam sind, kann der Verbraucher enormen Einfluss nehmen."
Wir befinden uns also auf einem richtigen Weg. Auch begrüßen es beide Experten, dass die nationale Wasserstrategie in Angriff genommen wurde, um auf das Thema Wasserknappheit aufmerksam zu machen und erste Lösungen dagegen einzuleiten. Um eine flächendeckende Wasserknappheit auch in Zukunft zu verhindern – angesichts von Herausforderungen wie dem Klimawandel und fortschreitenden Städtebaus – müssen wir uns noch einigen Aufgaben stellen. Auf unseren bisherigen Erfolgen ausruhen können wir uns also nicht.
(mit Material von dpa)