Durch einen immensen Preisanstieg von Flüssiggas kommt es seit Jahresbeginn immer wieder zu schweren Ausschreitungen in Kasachstan. Neben mehr als 2000 Verletzten berichtet die Polizei in Almaty von 164 getöteten Demonstrierenden. Die Vorfälle im Westen Kasachstans, aber auch die früheren Proteste der "Gelbwesten" in Frankreich zeigen, wie schnell ein soziales Gefüge aus dem Gleichgewicht geraten kann, wenn Lebenshaltungskosten durch erhöhte Gas- und Sprit-Preise rapide steigen.
Aber was bedeutet das für Deutschland? Was droht hierzulande, wenn die Strompreise weiter steigen – oder Gas längerfristig knapp würde? Und wie wahrscheinlich ist ein Blackout?
Auf Anfrage von watson bewertet die Bundesnetzagentur einen großflächigen Blackout als "äußerst unwahrscheinlich". "Das elektrische Energieversorgungssystem ist mehrfach redundant ausgelegt und verfügt über zahlreiche Sicherungsmechanismen, die selbst bei größeren Störungsereignissen einen großflächigen Zusammenbruch im europäischen Netzverbund verhindern sollen", erklärt Ulrike Platz, Sprecherin für Energie und Stromnetzausbau der Bundesnetzagentur, gegenüber watson. Diese Sicherungsmechanismen würden kontinuierlich auf ihre Eignung geprüft und bei Bedarf angepasst. Die Wahrscheinlichkeitsbezifferung eines Blackouts sei dadurch nicht seriös möglich.
Auch Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, gibt gegenüber watson Entwarnung: "Die Gefahr eines Blackouts ist nicht größer als in den vergangenen Jahren." Im gesamten Jahr 2020 betrug die durchschnittliche Versorgungsunterbrechung nur rund elf Minuten. Und da Kasachstan nur 0,8 Prozent der weltweiten Gasförderung abdecke, sei ein Ausfall "zu verschmerzen" und die Versorgungssicherheit nicht gefährdet.
Allerdings könnten die Gaspreise weiter "schmerzlich anziehen". Quaschning ergänzt:
Auch die Bundesnetzagentur sieht zunächst noch keine direkten Auswirkungen des Konflikts auf Deutschland: "Deutschland sowie die (west-)europäischen Staaten erhalten keine direkten Gaslieferungen aus Kasachstan. Die Hauptlieferanten sind neben LNG-Cargos, Russland, Norwegen und die Niederlande", so Ulrike Platz.
Allerdings kreuzten sich in Russland zwei Erdgasfernleitungen, "Brotherhood" und "Central Asia", bei denen letztere zuvor kasachisches Staatsgebiet durchquere. Inwieweit Erdgasmengen aus kasachischer Eigenproduktion dort eingespeist und im weiteren Verlauf der verschiedenen Abzweigungen der Fernleitungsnetze tatsächlich Deutschland beziehungsweise Europa erreichen würden, sei jedoch nicht feststellbar.
Auch wenn die Sicherheit der Stromversorgung aktuell nicht gefährdet sei, hätte Deutschland laut Energieexperte Quaschning kurzfristig gesehen "kaum Möglichkeiten, auf ernste Probleme bei der Gasversorgung zu reagieren" – von den nationalen Gasreserven mal abgesehen. Reduzieren ließen sich die Abhängigkeiten lediglich durch den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien. "Doch bis das spürbare Entlastung bringt, wird es einige Jahre dauern", sagt er. "Jetzt rächen sich die gravierenden Fehler in der Energiepolitik der vergangenen Jahre."
Ernsthaft problematisch könnten laut Quaschning vielmehr die Sicherstellung der Wärmeversorgung und die dadurch explodierenden Kosten sein, "was auch soziale Unruhen in der EU auslösen könnte". Er ergänzt:
Dass die Strompreise gestiegen sind, macht sich auch bei vielen Deutschen bereits im Portemonnaie bemerkbar. Laut dem Vergleichsportal Verivox lagen die Gaskosten für einen Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden im Dezember 2021 bei durchschnittlich 1704 Euro pro Jahr. Zu Jahresbeginn waren es noch 1162 Euro, wie die "Deutsche Welle" berichtete. Das ist ein Anstieg von 47 Prozent. Zur Orientierung: Der Stromverbrauch für einen Vier-Personen-Haushalt liegt durchschnittlich zwischen 2600 und 5000 Kilowattstunden.
Die Ursachen für den Preisanstieg liege zunächst daran, dass die Kalkulation des Strom- und Gaspreises den Lieferanten obliege, wie die Bundesnetzagentur erläutert. "Dabei ist zu berücksichtigen, dass einige Preisbestandteile vom Lieferanten nicht beeinflusst werden können – unter anderem die Netzentgelte, Abgaben, Umlagen und Steuern. Eine Genehmigung oder konkrete Obergrenze der Preise gibt es nicht."
Wie Ulrike Platz ferner erklärt, seien die in der zweiten Jahreshälfte 2021 für die EU rapide angestiegenen Großhandelspreise für Strom und Gas auf einen "deutlich gestiegenen Stromverbrauch sowie höhere Erzeugungskosten der konventionellen Kraftwerke bei einer geringeren Einspeisung aus erneuerbaren Energien" zurückzuführen. "Auch die gestiegenen Preise für CO2-Zertifikate hatten Auswirkungen auf den Großhandelsstrompreis."
Dass die Strompreise auf den Beschaffungsmärkten um 400 Prozent angestiegen sind, bringt noch ein weiteres Problem mit sich: Mehr als 35 Anbieter in Deutschland lassen ihre Stromverträge auslaufen. Denn unter diesen Bedingungen verdienen die Anbieter kaum noch Geld – und kündigen kurzerhand ihren Kunden.
"Verbraucher:innen müssen aber keine Angst haben, dass sie plötzlich ohne Strom dastehen und bei ihnen in der Wohnung das Licht nicht mehr angeht", gibt Thomas Engelke, Leiter des Teams Energie und Bauen der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), gegenüber watson Entwarnung. "Wenn Stromanbieter Verbraucher:innen nicht mehr beliefern, rutschen diese automatisch in die sogenannte Ersatzversorgung", so Engelke.
Übernommen wird die Versorgung fortan vom örtlichen Grundversorger, also dem Anbieter, der in einem Netzgebiet die meisten Kunden beliefert. Finden die Verbraucher einen günstigeren Anbieter, können sie die Ersatzversorgung fristlos kündigen. Falls die Verbraucher binnen drei Monaten keinen neuen Anbieter finden sollten, werden sie zu den dann geltenden finanziellen Konditionen in die Grundversorgung übernommen.
Auch wenn die Strompreise beim Grundversorger normalerweise besonders hoch sind, könnte dieser unter den derzeitigen Marktbedingungen aktuell den günstigsten Tarif anbieten, wie Engelke erläutert. Er fügt hinzu:
Dass Kunden der Vertrag von ihren Stromanbietern gekündigt wird, sei laut Leonora Holling, Vorsitzende vom Bund der Energieverbraucher, unzulässig. Gegenüber watson erklärt sie:
Sollte einem der Anbieter dennoch einfach kündigen, rät Holling dazu, diesen anzuschreiben und ihn zur Weiterbelieferung aufzufordern. "Da dies wahrscheinlich nicht erfolgt, sollte man Schadensersatz aus der Differenz zwischen dem Vertragspreis und dem Grundversorgungspreis bis zum ursprünglichen Vertragsende verlangen."
Andersherum gilt: Kommt es für den Verbraucher zu Preiserhöhungen, greift der Sonderkündigungsgrund. Dass man derzeit einen günstigeren Anbieter finde, sei allerdings nicht zu erwarten. "Allenfalls haben Verbraucher noch die Möglichkeit, eine eigene Photovoltaik auf das Dach zu setzen, um wenigstens einen Teil des Stroms selbst zu erzeugen", so Holling.