
Die Energiepreise treffen vor allem die deutsche Industrie. Manche verlagern ihre teuer gewordene Produktion ins Ausland. (Bild: BASF in Ludwigshafen) Bild: IMAGO / Arnulf Hettrich
Analyse
11.10.2022, 08:4511.10.2022, 20:09
Die Energiekrise und Inflation bereiten der Wirtschaft aktuell harte Zeiten. Doch werden sich deutsche Unternehmen deshalb von Klimaschutz und Nachhaltigkeit abwenden?
Gerade sorgt das Ergebnis einer Analyse, die die Deutsche Bank herausgegeben hat, für Wirbel in der deutschen Wirtschaft: Durch die Folgen der Gaskrise könnte es schon bald zu einer Deindustrialisierung in Deutschland kommen. Das würde bedeuten, dass die Bedeutung der industriellen Produktion stetig abnimmt: Weil die Energiepreise aufgrund der Gaskrise so stark gestiegen sind, könnten Unternehmen dann ihre Produktionskosten nicht mehr stemmen – Firmeninsolvenzen und die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland könnten drohen.
Deindustrialisierung: Angst vor Entlassungen wächst
Die Folgen, die viele nun befürchten: Tausende von Arbeitnehmenden könnten ihre Jobs verlieren. Deutschland als Wirtschaftsstandort könnte an Bedeutung verlieren. In diesem Szenario verlieren könnte aber nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Nachhaltigkeit.
Doch ist das wirklich so?

Die deutsche Industrie hält an den Klimazielen für 2030 und 2045 fest.Bild: dpa / Frank Rumpenhorst
Zur besseren Einschätzung hat watson beim Wirtschaftswissenschaftler Oliver Falck vom ifo-Institut in München und bei der Energieökonomin Claudia Kemfert nachgefragt.
Nicht alle Industriezweige von Energiekrise betroffen
Klar ist, dass die Energiekrise nicht nur Heiz-, Essens- und Spritkosten verteuert. Sie betrifft vor allem energieintensive Industriezweige, die stark auf fossile Energien setzen. Der Wirtschaftswissenschaftler Oliver Falck sieht dadurch Folgen für bestimmte Branchen, nicht aber für die gesamte deutsche Wirtschaft. Gegenüber watson betont er:
"Die Autobranche und der Maschinenbau zählen nicht zu den top-energieintensiven Industrien. Einen der höchsten Werte hat dagegen die chemische Industrie mit der Herstellung von Glas, Keramik, der Verarbeitung von Steinen und Erden."
Die chemische Industrie benötigt also die meiste Energie, vor allem zur Erzeugung von Metall – welches sie dann zu erhöhten Preisen an (deutsche) Unternehmen aus dem Maschinenbau oder der Automobilindustrie weiterverkaufen könnte.
Deshalb verlagern vor allem große chemische Industrieunternehmen besonders energieintensive Produktionsschritte ins Ausland. Dabei handelt es sich aber keinesfalls um eine neue Entwicklung, wie Falck erklärt: "BASF und einige Autohersteller sind schon jetzt die größten deutschen Investoren in China."

Auch die Lebensmittelindustrie ist energieintensiv. Bild: Lebkuchenwerk von Bahlsen in BerlinBild: imago / Jürgen Heinrich
Andere energieintensive Industrien, wie etwa die Hersteller von Nahrungsmitteln, würden auch weiterhin in Deutschland bleiben, wie Falck vermutet. "Sie produzieren typischerweise näher am Konsumenten, sodass Verlagerungen ins Ausland weniger wahrscheinlich sind."
Doch wie steht es um andere Branchen in Deutschland? Bleibt ihnen nur noch ein Umzug ins Ausland, in dem aktuell noch niedrigere Preise für (fossile) Energien herrschen?
Umstrukturierung statt Deindustrialisierung
Mit Blick auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien, zu dem sich die Bundesregierung entschieden hat, wäre das eine Fehlentscheidung, urteilt die Energieökonomin Claudia Kemfert auf Anfrage von watson. Sie erklärt:
"Klimaschutz schafft jede Menge wirtschaftliche Chancen. Wir erleben derzeit eine fossile Inflation, das heißt die Preise werden getrieben in erster Linie durch steigende fossile Energiepreise. Erneuerbare Energien wirken preissenkend, Energiesparen senkt die Kosten. Die Energiewende senkt die Kosten auch und gerade für die Industrie."
Unternehmen, die beispielsweise in der Vergangenheit in erneuerbare Energien und Energiesparen investiert haben, hätten derzeit keine Kosten-Explosionen.
Genauso wird es Kemferts Einschätzung nach auch in der Zukunft sein: "Je früher und intensiver in Alternativen zu fossilen Energien investiert wird, desto mehr Wettbewerbsvorteile und dauerhaft zukunftsfähige Geschäftsmodelle haben Unternehmen."
Energiewende könnte Wettbewerb stärken
Der Klimaschutz hat Kemfert zufolge in der jetzigen Energiekrise sogar an Relevanz gewonnen, da alle Krisen miteinander zusammenhängen, wie sie erläutert: "Die Klimakrise ist Resultat der fossilen Energiekrise. Wenn wir heute die fossile Wirtschaft priorisieren, verschärfen wir alle Krisen: Wirtschafts-, Energie- und Klimakrise. Stattdessen müssen wir dringend in fossil-freie Wirtschaftsweisen investieren, um alle Krisen gleichzeitig zu lösen."

Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.Bild: imago / Jürgen Heinrich
Die Bewältigung der verschiedenen Krisen ginge daher nicht durch eine "Entweder Wirtschaft oder Klima"-Entscheidung, sondern nur miteinander:
"Wir dürfen nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und Klimakrise und Wirtschaft gegeneinander ausspielen."
So könnte Wirtschaft von Klimaschutz profitieren
Im Überstehen der Energiekrise könnte die Regierung bei den momentanen Preisentwicklungen in der Lebensmittelbranche bereits jetzt durch ein Ineinandergreifen von Klimaschutz und Wirtschaft Lösungen erwirken.
So müssten Bioprodukte nicht notwendigerweise teurer sein, schreibt Ökonomin Kemfert: "Die Regierung kann durch eine kluge Steuerreform insbesondere klimaschonende Lebensmittel begünstigen, zum Beispiel über eine Senkung oder Abschaffung der Mehrwertsteuer auf pflanzliche Lebensmittel. Auf klimaschädliche Lebensmittel wie beispielsweise emissionsintensive Fleischproduktion sollte die Mehrwertsteuer hingegen erhöht werden."

Durch kluge Steuerreformen könnten klimaschonende Lebensmittel begünstigt werden.Bild: imago / Manfred Segerer
Und wie verhält es sich mit Nachhaltigkeitszertifikaten bei Produkten außerhalb der Lebensmittelbranche? Verlieren Nachhaltigkeitslabels hier an Wert? "Ich glaube ganz im Gegenteil", meint Oliver Falck vom ifo-Institut. Wenn sich Unternehmen auch jetzt noch mit Nachhaltigkeitszertifikaten schmücken könnten, sei das unter den erschwerten wirtschaftlichen Bedingungen sogar noch mehr wert als zuvor: "Die Unternehmen müssen ja ihre Anstrengungen zum Energiesparen erhöhen und werden sich das auch gerne auf die Fahnen schreiben."
Das Mai-Wetter zeigt sich bisher von seiner freundlichen Seite: viel Sonne, wenig Regen, angenehm milde Temperaturen. Doch Ende des Monats könnte dieses frühsommerliche Wetter abgelöst werden – zumindest kurzzeitig.
Über die vielen Sonnenstunden in der ersten Mai-Hälfte haben sich hierzulande viele Menschen gefreut. Auch wenn sich das Wetter zwischenzeitlich von seiner wechselhaften Seite zeigte, sorgte eine stabile Hochdrucklage bislang für überwiegend angenehmes Frühsommerwetter.