Seit 18 Jahren heißt es für zehn bis zwölf Prominente in fast jedem Jahr seit 2004: Ab ins Dschungelcamp! Unter ständiger Beobachtung durch Fernsehkameras und ein Millionenpublikum leben die Stars bis zu zwei Wochen am Rande des australischen Dschungels. Ihr Ziel: Möglichst lange im Camp zu bleiben, um zur Dschungelkönigin oder zum Dschungelkönig gewählt zu werden.
Dafür müssen die Promis zahlreiche Challenges absolvieren – unter anderem müssen sie etwa exotische Tiere in Ekelprüfungen verspeisen.
Aber sind Fernsehshows wie das Dschungelcamp, in denen Promis und Fernsehteams um die halbe Welt geflogen werden, um im australischen Dschungel zu hausen und exotische Tiere zu verspeisen, in Zeiten der Klimakrise noch zeitgemäß? Watson hat bei Experten und RTL nachgefragt.
"Ekel-Skandale mit lebenden Tieren wirken völlig aus der Zeit gefallen. Wir leben in Zeiten eines riesigen Artensterbens", sagt Kilian Dreißig. Er ist Gründer der Veganen Agentur Berlin und hat sich auf Marketing rund um Veganismus und Naturkost spezialisiert.
Zudem könnten solche Prüfungen Dreißig zufolge dazu führen, dass die Fernsehzuschauer:innen eine Abneigung gegenüber bestimmten Tierarten entwickeln würden, "obwohl diese eine wichtige Rolle in den Ökosystemen der Erde spielen". Er ergänzt:
"Jede Dschungelprüfung mit Tierbeteiligung wird vorab der australischen Tierschutz-Organisation 'RSPCA Notification of Animal Usage Form' zur Abnahme und Freigabe vorgelegt", erklärt Ernst Rudolf, Sprecher bei RTL, auf Anfrage von watson.
Ohne eine Abnahme und Freigabe durch die Tierschützer finde keine Dschungel-Prüfung mit lebenden Tieren statt. Auch hätte die RSPCA jederzeit das Recht, für unangekündigten Kontrollen oder Überprüfungen vorbeizukommen. Rudolph ergänzt:
Dass mit Tessa Bergmeier eine von Kindertagen an überzeugte Veganerin und Tierschützerin in das Dschungelcamp eingezogen ist, findet Dreißig aber gut. Gegenüber watson sagt er:
Schwierig werde das lediglich, wenn die vegane Ernährung als "vermeintliche Macke" dargestellt würde. "Das wird aber zum Glück immer seltener."
Der Marketing-Profi erklärt außerdem, dass es keine konkreten Verhaltensvorschriften für Veganer:innen gebe oder diese einem bestimmten Rollenbild entsprechen müssten. "Alle Menschen können vegan leben, egal ob exzentrisch oder nicht", sagt Dreißig. "Pflanzenbasierte Ernährung ist der wichtigste Schritt, den wir alle direkt für Klima und Umwelt tun können."
Die Ekel-Prüfungen sind das eine, die Reise um die halbe Welt bis in den australischen Dschungel das andere. Denn Fliegen ist die klimaschädlichste Art, sich fortzubewegen.
Laut dem Umweltbundesamt verursacht allein ein Flug von Deutschland nach Sydney und zurück eine Klima-Wirkung von knapp sieben Tonnen CO₂ – pro Person. Dass nicht nur die zwölf Dschungelkandidat:innen, sondern auch noch zahlreiche andere Menschen – vom Kameramann über die Moderator:innen – nach Australien geflogen werden, ist klar.
Muss das sein – in Zeiten der Klimakrise, in der schon jetzt überall weltweit multiple Krisen durch die Folgen der Erderwärmung ausgelöst werden?
Laut RTL, ja. Sprecher Ernst Rudolf erklärte gegenüber watson:
Dennoch liege dem Sender das Thema Klimawandel "sehr" am Herzen. "Wir sind uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und nutzen unsere große Reichweite, um unter anderem mit unseren großen Nachhaltigkeitswochen im Programm zu informieren, zu unterhalten und zu inspirieren."
Im Schulterschluss mit dem Arbeitskreis "Green Shooting" hätte RTL zudem Mindeststandards für klimafreundliche Produktionen festgelegt, die an immer mehr Produktionen angewandt würden. "Dort werden mit einem vegetarischen Tag, Informationen zu Ernährungsweisen und der Verwendung von ökologischen und regionalen Produkten auch die Ernährung berücksichtigt."
Auch hätte RTL 2022 den Schutz für ein 7500 Quadratkilometer großes Waldstück in der Eifel übernommen, das aus über 160 Jahre alten Buchen und Eichen bestehe. Dafür kooperiert der Sender mit der von Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben gegründeten Waldakademie.
Für Felix Ekardt, Professor und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig, rechtfertigt dies einen solch aufwendigen und CO₂-reichen Dreh dennoch nicht. Gegenüber watson erklärt er:
Er betont allerdings, dass Diskussionen über Einzelverbote nur davon ablenken würden, dass wir alle "postfossil" werden müssten. "Es reicht nicht, sich um ein paar Reiche und Verrückte zu kümmern. CO₂-Kompensationen sind jedenfalls für Flugreisen keine Lösung."
Zwar müssten Emissionen in Mooren und Wäldern gebunden werden, "aber nicht, um Luxusemissionen aus Flügen auszugleichen, sondern um lebenswichtige Restemissionen etwa aus der Nahrungsmittel-Erzeugung zu kompensieren, die selbst in einer postfossilen Welt übrig bleiben".