Der 23. Juni 2020 war der Tag, an dem ich entschloss, mich dem Kampf um den Erhalt des Dannenröder Waldes anzuschließen. An diesem Tag standen wir vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, mit der Hoffnung, dass es sich für Klimaschutz und den Erhalt des Dannenröder Waldes entscheiden würde – und wir alle beruhigt nach Hause gehen können, mit dem Wissen, dass sich unsere Regierung um unser aller Zukunft sorgt und gesunde Mischwälder niemals für zukunftsunfähige Verkehrskonzepte rodet.
Aber es sollte anders kommen: Obwohl das Gericht erkannte, dass die Autobahn A49 nach heutigem Wasserrecht nicht mehr hätte gebaut werden dürfen, erlaubte sie der schwarz-grünen Landesregierung sowie der Firma DEGES den Weiterbau der Autobahn durch ein Trinkwasserschutzgebiet.
Als ich den Dannenröder Wald, auch Danni genannt, zum ersten Mal betrat, fielen mir sofort die großen, etwa 300 Jahre alten Eichen und Buchen auf, die hier neben ganz jungen Bäumen stehen. Danni gilt als Vorzeigewald für nachhaltige Forstwirtschaft, seit Generationen gehört er der Familie Schenck zu Schweinsberg. Er ist auch ein Trinkwasserschutzgebiet, welches 500.000 Menschen in Frankfurt mit Wasser versorgt.
Der nahegelegene Herrenwald, der ebenfalls durch die Autobahn bedroht ist, ist ein ähnlich alter Wald und zusätzlich ein Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebiet. In beiden Wäldern leben viele Tiere, darunter vom Aussterben bedrohte Arten wie die Kammmolche. "Im Planfeststellungsbeschluss für die Autobahn sind zwar Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen. Diese können aber nicht den Verlust ausgleichen, der mit der Rodung dieses Waldes einhergehen würde", sagt Barbara Schlemmer, die Sprecherin der Bürgerinitiative "Keine A49".
Obwohl die Bundesregierung den Bauauftrag gegeben hat, sind ironischerweise die Grünen als Teil der schwarz-grünen Landesregierung dafür verantwortlich, die Pläne für die A49 auszuführen. Bis zum Beginn der Rodungssaison am 1. Oktober sollen sie ein Räumungskonzept für die Besetzung erarbeiten. Der aktuelle Plan ist, die Räumung durchzuführen – trotz steigender Coronazahlen in Hessen. Waldbesetzer Robin Sommer sagt:
Robin Sommer ist eine der Aktivistinnen und Aktivisten, die seit einem Jahr den Dannenröder Wald besetzen. Derzeit bereiten sie sich auf die drohende Räumung vor, indem sie Baumhäuser und Barrikaden bauen, die es der Polizei erschweren sollen, an die Bäume zu gelangen. Um den Wald zu schonen, richteten die Besetzer Trampelpfade ein. "Unsere Strukturen befinden sich ausschließlich auf der Autobahntrasse. Sonst nirgendwo", sagt Robin.
Die ersten Pläne für die A49 entstanden 1929. In den 60ern, in einer Zeit, in der die CO2-Belastung durch Straßenverkehr und Klimakrise kein präsentes Thema waren, wurden sie wieder aufgegriffen. Die exakte Route der geplanten Autobahn änderte sich immer wieder, da Anwohner aus Lärmgründen verhindern wollten, dass die Autobahn in Nähe ihrer Grundstücke gebaut wird. Der aktuelle Plan sieht nun vor, die Trasse mitten in den Dannenröder Wald zu setzen. Laut Wolfgang Dennhöfer vom Naturschutzverband BUND sei schon damals klar gewesen, dass Schäden am Herren- sowie Dannenröder Wald besonders gravierend sind. Die Autobahn verstärke das Ausmaß:
Der Waldverlust durch die andauernde Trockenheit geht in Deutschland inzwischen so weit, dass Rheinland-Pfalz vor kurzem entschieden hat, mehr als 100 Jahre alte Buchen bis 2021 nicht mehr zu roden. Sonneneinstrahlung und Hitzeeinwirkung auf die Bäume und das Waldökosystem sollen so verringert werden.
Vor Ort erfährt man, wie gespalten die Region mit der Autobahn umgeht. Die einen wollen, dass sie endlich gebaut wird, die anderen stemmen sich seit 40 Jahren dagegen. Befürworter nennen häufig das Argument, dass die A49 die Anwohner der Bundesstraße B62 entlasten könnte. Tatsächlich ist jedoch unklar, wie viel Entlastung die Autobahn bringen könnte – der Verkehr könnte sich in der Region durch die Autobahn sogar erhöhen. Die Region könnte zudem leiden, weil Anwohner lieber schnell zum Einkaufen nach Kassel fahren würden, statt ihre lokalen Geschäfte zu unterstützen.
Ein möglicher Profiteur der Autobahn ist dagegen die Firma Ferrero – sie ist eine der drei in Stadtallendorf ansässigen Firmen, die sich durch Lobbyarbeit am meisten für die Autobahn eingesetzt haben und auf eine direkte Autobahnanbindung hoffen. Aber die Frage, lohnt es sich wirklich, einen gesunden Mischwald zu roden, damit die Kinderschokolade fünf Minuten schneller bei Ferreros Kunden ankommt? Sonderlich kinderlieb wirkt es nicht, in Zeiten von Hitzesommern, Dürrejahren und Waldsterben einen gesunden Mischwald zu roden.
Es ist schwer vorstellbar, dass eine Welt ohne Autos möglich ist. Wir sind hier in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der das Auto mit Freiheit und Unabhängigkeit verbunden wird. Genauso schwer vorstellbar ist es, sich daran zu erinnern, dass es vor 100 Jahren noch Proteste gegen Autos gab, weil sie als zu gefährlich galten.
Und das ist der Punkt, an dem der Danni so ein riesiges Potenzial hat: Er kann den Diskurs in Deutschland verschieben und vielleicht die Mobilitätswende einleiten. Die Klimabewegung ist in Deutschland in den letzten Jahren extrem gewachsen. Lange hatte sie ihren Fokus auf der Kohle. Aber der Kampf um die Kohle ist ein anderer als der um die Mobilität: Hier geht es darum, eine wirkliche Verhaltensänderung anzuregen. Das macht es in vielen Hinsichten schwieriger. Aber es ist Zeit, dieses Thema anzugehen.
Für Robin Sommer ist das Ziel, dass Menschen in hundert Jahren auf den Kampf im Danni zurückblicken und sagen: "Wie verrückt, dass damals diese Autobahn gebaut werden sollte!" Die Zukunft liegt im Ausbau des Schienennetzes und der Fahrradwege sowie der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schienen.
Der Danni ist nicht nur ein wunderschöner Wald, den es sich zu besuchen lohnt, er ist auch auf dem Weg, ein Symbol zu werden: Ein Symbol, das, ähnlich wie beim Hambacher Forst und dem Kohleausstieg, zeigen wird, wie es um die Mobilitätswende in Deutschland steht. Ein Symbol, das in die Geschichte als Meilenstein auf dem Weg zur nachhaltigen Mobilität eingehen wird – oder eben als vertane Chance.
Das nächste Jahrzehnt wird geprägt sein von der Auseinandersetzung mit dem Mobilitätssektor – der zweitgrößte CO2-Emittent Deutschlands. Mit dem Danni hat die schwarz-grüne Landesregierung jetzt die Chance, Geschichte zu schreiben.