
Unsere "Fridays for Future"-Gastautorin kritisiert das neueste Entlastungspaket der Regierung, denn der Klimaschutz kommt darin zu kurz.Bild: dpa / Christophe Gateau
Gastbeitrag
09.09.2022, 15:4009.09.2022, 18:21
Julia Wischnewski - gastautorin
Mit großen Worten lobt Linder das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung. Und tatsächlich wurde eine beachtliche Summe von 65 Milliarden Euro beschlossen, um Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Während sich die Meinungen zu den konkreten Maßnahmen spalten, lässt sich über eine Sache nicht streiten: Das Klima wurde vergessen.
Das Entlastungspaket beweist erneut, wie die Klimakrise ganz schnell hinten angestellt wird, wenn andere Probleme aufkommen und Klimaschutz einfach nicht so gut ins Konzept passt. Konkret lässt sich dies im Paket unter anderem an der Aussetzung der CO₂-Preiserhöhung erkennen. Auch wenn der Preiseffekt selbst nicht entscheidend ist, werden die langfristigen Ziele durch das Aussetzen völlig außer Acht gelassen und ein symbolisch sehr schlechtes Zeichen für den Klimaschutz gesetzt. Scheinbar ist das mit der Klimakrise eben einfach nicht so dringend und akut.
Es ist ja nicht so, als ob diesen Sommer Länder zu einem Drittel geflutet wurden, über tausend Menschen in den Fluten starben und auch in Deutschland die Auswirkungen der Krise durch Trockenheit, Waldbrandgefahr und Wasserknappheit deutlich wurden – ach, Moment, da war ja etwas …

In Brandenburg und anderen Bundesländern gab es diesen Sommer vermehrt Waldbrände.Bild: Imago images / Marius Schwarz
Diskussion um das 9-Euro-Ticket
Auch das Nachfolgemodell des 9-Euro-Tickets lässt viel Raum für Verbesserungen. Das geplante 49- oder 69-Euro-Ticket sorgt durch seinen Preis nur für eine geringere Entlastung und schafft dadurch gleichzeitig deutlich weniger Anreiz für die Nutzung des ÖPNV, wodurch wiederum auch die Klimawirkung verringert wird. Allein durch die drei Monate 9-Euro-Ticket wurden laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen 1,8 Millionen Tonnen CO₂ eingespart. Als Gegenargument wird oft die sehr kostspielige Finanzierung solch eines Tickets genannt.
An dieser Stelle lohnt es sich jedoch, einfach mal Kosten zu vergleichen:
"Für den Nachfolger des 9-Euro-Tickets sind 1,5 Milliarden Euro eingeplant und eine ebenso hohe Eigenbeteiligung der Länder. 2021 lagen die deutschen Subventionen für fossile Energieträger laut einer Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) hingegen bei 70 Milliarden Euro pro Jahr."
Trotz Kritik sollte dennoch gesagt werden, dass ein Nachfolgemodell, welches deutschlandweit gültig und günstiger als aktuelle Angebote ist, grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung ist.

Alle zwei Wochen melden sich Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.
Schwächen des Entlastungspakets
Zusätzlich lässt das Entlastungspaket auch einige elementare Fragen offen. Wie wird ein Basisverbrauch definiert? Wie genau soll das Abschöpfen der "Übergewinne" der Energiekonzerne funktionieren? Oft fehlt es in dem Paket an einem Plan und einer konkreten Ausarbeitung fürs Vorgehen.
"Auch die Aussage von Scholz 'wir vergessen niemanden' sollte mit Vorsicht zu genießen sein. Denn es gibt sehr wohl Vergessene im Entlastungspaket."
So sind beispielsweise die Einmalzahlungen an Studierende und Rentner:innen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Kurzfristig wird es vielleicht zur Entlastung kommen, aber um damit gut den Winter zu überstehen, reicht es bei Weitem nicht. Marcel Fratzscher, Präsident des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, zeigt in seinem Kommentar zum Entlastungspaket sehr deutlich, wie gerade Besserverdienende von dem Paket profitieren: "Ein Paar mit 130.000 Euro Jahreseinkommen wird alleine bei der kalten Progression jährlich mit 958 Euro entlastet, Renter:innen und Studierende lediglich mit 300 Euro beziehungsweise 200 Euro".
Die Krisen bedingen einander
Eine riesige Gefahr im Kampf gegen die Klimakrise ist, dass Krisen gegeneinander ausgespielt werden. Und dass immer weiter Gründe gesucht werden, warum der Klimaschutz jetzt doch noch etwas warten muss, weil etwas anderes gerade einfach dringender ist. Stellen wir uns einmal vor, wir wären den Klimaschutz schon viel früher, viel ambitionierter angegangen und hätten enorm auf den Ausbau erneuerbarer Energien gesetzt, statt neue Gaspipelines zu bauen. Vielleicht hätten wir dann heute überhaupt kein Problem mit Gasknappheit und stark steigenden Energiepreisen … Soziale Krise, Energiekrise, Klimakrise – die Krisen bedingen sich gegenseitig und deswegen müssen wir Maßnahmen ergreifen, die gemeinsame Lösungen für diese Krisen schaffen.
Das beste Beispiel dafür ist das 9-Euro-Ticket: Es sorgte für eine finanzielle Entlastung und sparte CO₂ ein. Anstatt immer Argumente dagegen zu finden, muss Politik all die mehr als eindeutigen Gründe und Vorteile sehen, wahrhaftigen Klimaschutz umzusetzen.
"So schwierig die politische Lage auch sei, die Bewältigung der Klimakrise darf nicht vergessen werden."
Wir müssen immer bedenken, dass wir uns bereits mitten in der Katastrophe befinden und es für Menschen aus anderen Teilen der Welt bereits heute um ihre Existenz und ihr Leben geht. Die Klimakrise eskaliert immer weiter, egal was sonst noch politisch passiert – oder sogar befeuert wird durch politische Fehlentscheidungen.

Julia Wischnewski ist 17 Jahre alt und engagiert sich bei Fridays for Future in der Ortsgruppe Bonn und bundesweit.bild: fridays for future
Kein Entlastungspaket, das den Klimaschutz außer Acht lässt
Es hat nie jemand behauptet, dass Krisenbewältigung einfach wäre, aber sie ist möglich und genau da müssen wir ansetzen – zuerst einmal, indem wir aufhören, die Krise(n) weiter anzuheizen. Klar ist, dass die Menschen in der aktuellen Situation nicht allein gelassen werden dürfen. Deshalb braucht es kein Entlastungspaket, welches den Klimaschutz völlig außer Acht lässt, sondern eins, das sich auch an langfristigen klimapolitischen Zielen orientiert. Und sozial gerechte Maßnahmen zur Krisenprävention trifft.
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