Pro Woche nehmen Menschen laut einer Studie eine Kreditkarte Mikroplastik zu sich. Die Partikel gelangen durch das Essen und Trinkwasser in den Körper. Das Verbot von Einwegplastik in der EU soll Mensch und Umwelt schützen – und eröffnet riesige Absatzchancen.
Lockdown-Zeit ist Liefer-Zeit: Ob Kleidung, Bücher oder Essen – der Bringdienst-Markt boomt in der Krise. Wer sich Speisen liefern lässt, dürfte bald eine Veränderung bemerken. To-go-Verpackungen aus Styropor verschwinden. Produkte aus Einwegplastik, für die es gute Alternativen gibt, dürfen ab 3. Juli 2021 EU-weit nicht mehr verkauft werden. Das betrifft zum Beispiel Strohhalme, Wattestäbchen, Kaffeebecher, Rührstäbchen, Besteck oder Teller und Schalen. Was zunächst vor allem wie eine Einschränkung für die nahende Grillsaison klingt, öffnet neue Märkte – mit riesigen Absatzmöglichkeiten.
Beispiel Kaffeebecher: Pro Stunde verbrauchen die Menschen in Deutschland 320.000 Stück, wie das Bundesumweltministerium berechnet hat. Pro Jahr sind das 2,8 Milliarden Becher. 1,3 Milliarden Kunststoffdeckel kommen laut Bundesumweltamt noch dazu. Sie müssen ab Sommer aus anderen Materialien als Einwegplastik hergestellt werden.
Das Verbot dürfte nicht nur die Umwelt entlasten. Plastik landet oft in Parks, an Uferböschungen oder am Strand. Dort muss es aufgesammelt werden. Passiert das nicht, zerbröselt es mit der Zeit. Die Mikropartikel werden vom Wind fortgetragen, vom Regen in Flüsse, Seen und Meere gespült, wo sie von Vögeln und Fischen gefressen werden. Das Mikroplastik landet auf verschiedenen Wegen wieder auf unseren Tellern und in unseren Gläsern.
Bis zu fünf Gramm Mikroplastik nehmen Menschen nach Angaben australischer Forscher täglich zu sich – abhängig von den Lebensumständen. Das entspricht etwa dem Gewicht einer Kreditkarte. Die Untersuchung basiert auf Daten zu Mikroplastik – also Teilchen kleiner als fünf Millimeter – in der Atemluft, im Trinkwasser, in Salz, Bier und in Schalentieren.
Das Verbot von Einwegplastik in der EU öffnet neue Märkte – auch in Deutschland. In Göttingen etwa produzieren zwei Jungunternehmer essbares Besteck. Die Idee kam dem 25 Jahre alten Hemant Chawla in seinem Heimatland Indien, wie er sagt. Auf einem Festival bestellte er ein Reisgericht, aber der Stand hatte keine Löffel mehr. Stattdessen reichte ihm der Verkäufer Brot. Die Idee, Besteck aus Brotteig herzustellen, war geboren.
Heute vertreibt Chawla mit seiner Geschäftspartnerin Juliane Schöning, die er bei einem Freiwilligen Sozialen Jahr in Kassel kennenlernte, essbare Löffel, Schüsseln, Strohhalme und Teller. Ihr Start-up Kulero produziert in Westindien und bei einem Kekshersteller in Baden-Württemberg.
Abnehmer seien Supermärkte wie Edeka und Rewe, aber auch Hotels, Restaurants, Gefängnisse und Psychiatrien. Psychiatrien? "Ja", sagt Schöning. Die Patienten können sich mit Besteck aus Metall oder Plastik selbst verletzen. Mit Brot-Besteck gehe das nicht so leicht. Ähnlich in Gefängnissen: Da gehe es nicht um Nachhaltigkeit, sondern um Sicherheit.
Das Ziel "zero waste" (übersetzt: null Abfall) verfolgt auch Füllett. Das Unternehmen produziert wie Kulero To-go-Verpackungen und Geschirr aus Brot. Die Zutaten: Weizen- und Roggenmehl, Wasser, Rapsöl und Salz – alles biologisch produziert.
Doch nicht nur Teig ist ein Mittel der Wahl: In Norddeutschland entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler essbare Verpackungen aus Algen. Das Alfred-Wegener-Institut (AWI) und die Hochschule Bremerhaven kooperieren dazu mit dem Fischhändler Nordsee.
Verpackungen aus Algen gehören in Indonesien schon zum Alltag. Evoware produziert "biologisch abbaubare Alternativen zu Einwegplastik-Produkten" aus Algen und Seegras. Die Produkte sollen nicht nur den Lebensunterhalt von Meeresalgenbauern aufbessern, wie das Unternehmen auf seiner Webseite schreibt – sie sind auch kompostierbar und essbar.
Essbar und vor allem unsichtbar sind auch neuartige Verpackungen in deutschen Supermärkten. Wer hierzulande Obst und Gemüse kauft, muss es zu Hause aus Unmengen Plastik schälen. Der Grund: Ohne Verpackung verderben viele Produkte schneller. Das US-Unternehmen Apeel (übersetzt: eine Schale) hat eine "zweite Haut" für Früchte und Gemüse entwickelt. Edeka testet sie aktuell an Avocados. Der Schutzfilm sei aus pflanzlichen Materialien und verlangsame den Wasserverlust und das Eindringen von Sauerstoff – zwei Hauptfaktoren, die für das Verderben verantwortlich sind, wie Edeka schreibt.
(vdv/dpa)