Es dauerte Jahre, doch nun ist es offiziell: Frankreichs ältestes Atomkraftwerk in Fessenheim wird endgültig abgestellt.Bild: picture alliance/ROPI
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30.06.2020, 07:4517.08.2020, 18:15
Die letzten Tage eines umstrittenen
Atom-Dinosauriers sind gezählt: Frankreichs ältestes noch laufendes
Kernkraftwerk im elsässischen Fessenheim ist endgültig stillgelegt.
Mehr als 42 Jahre lang produzierte das Akw an der
deutsch-französischen Grenze Strom und jede Menge Kontroversen
zwischen den Nachbarländern. Für Kritiker galt das Kraftwerk bereits seit Jahrzehnten als Sicherheitsrisiko. Das Akw-Ende soll den
Startschuss für eine Wiedergeburt Fessenheims als Vorzeigestandort
für erneuerbare Energien markieren, mit deutscher Beteiligung.
Der zweite Druckwasserreaktor des betriebsältesten Atomkraftwerks in Frankreich ist am späten Montagabend um 23 Uhr vom Stromnetz getrennt worden, wie der französische Energiekonzern EDF mitteilte. Der Vorgang hatte am Montagnachmittag etliche Stunden früher als geplant begonnen.
Den ersten Druckwasserreaktor war bereits Ende Februar vom Netz genommen worden. Im an Baden-Württemberg und die Schweiz grenzenden
Département Haut-Rhin sind die Erwartungen nach der endgültigen
Stilllegung hoch.
Keine Zeit dürfe verloren gehen, um Projekte festzuzurren, sagt
Brigitte Klinkert, die als Präsidentin des Département-Rats
federführend bei der Neugestaltung der Region Fessenheim ist. Grüne
Wasserstoffproduktion, Batterie-Recycling und viele weitere
Projektideen lägen auf dem Tisch – die Vision ist ein
deutsch-französischer Innovationspark in Nähe der Gemeinde.
Aufmerksamkeit beider Regierungen
Die Umgestaltung der Region ist eines der Prestigeprojekte der
Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin. Nachdem Frankreichs
Staatschef Emmanuel Macron 2018 das Ende des Akw Fessenheim bekannt gab, wurde das Projekt zur
Neugestaltung anlässlich der Unterzeichnung des "Aachener Vertrages"
auf eine deutsch-französische Agenda gesetzt. Das sei gut, sagt die
Freiburger Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer. "Wir haben dadurch
die Aufmerksamkeit beider Regierungen."
Sie setzt auch auf die geplante direkte Bahnverbindung über eine neue
Rheinbrücke zwischen Freiburg und Colmar als Impuls für die
Grenzregion. Die Bahnstrecke werde Wirtschaftskraft bringen, sagt
Schäfer. Sie ist davon überzeugt, dass Fessenheim mit grünen
Innovationsprojekten ein Vorzeigemodell werden und in Frankreich
sogar zum Umdenken anregen kann.
"Vor allem, indem wir deutlich machen: Das Ende eines Kernkraftwerkes ist nicht das Ende einer Region."
Bärbel Schäferdpa
Der grüne Gewerbepark habe das Potenzial, mehr Arbeitsplätze
zu schaffen als das Kernkraftwerk, sagt Schäfer weiter.
Die Demontage dauert voraussichtlich zwei Jahrzehnte
Bei den Projekten, die nun schnell grenzübergreifend in Angriff
genommen werden sollen, spielt die Fläche, auf der das Kraftwerk
selbst steht, bisher noch keine große Rolle, wie Schäfer erklärt.
Denn die Demontage des Akw dauert voraussichtlich zwei
Jahrzehnte. Nach Angaben des Betreibers EDF sind für die Vorbereitung
der Demontage fünf Jahre veranschlagt – der Abbau dauert dann weitere
15 Jahre.
Die französische Atomaufsichtsbehörde ASN hatte zuletzt Bedenken an
den Plänen geäußert. Die von EDF vorgelegten Details zum
Demontage-Szenario und der Entsorgung des dabei entstehenden Mülls
seien unzureichend, kritisierte die Behörde. EDF hat mittlerweile
nachgelegt und einen neuen Bericht übermittelt. Welche Änderungen
gemacht wurden, teilte ASN zunächst nicht mit. Demnach laufe derzeit
die Prüfung des Berichts.
Frankreich gilt immer noch als das "Atomland" Europas. Nach der
Stilllegung Fessenheims betreibt EDF nach eigenen Angaben landesweit
56 Reaktoren. Rund 71 Prozent der französischen Stromproduktion im
vergangenen Jahr kamen nach Angaben des Netzbetreibers RTE aus der
Kernkraft. Das entsprach demnach dem niedrigsten Anteil seit 1989.
Frankreich liegt hinter den USA immer noch auf Platz zwei der größten
Produzenten von Atomstrom weltweit.
Betrugsvorwürfe an die französische Regierung
Das jüngste Projekt der mehrheitlich dem französischem Staat
gehörenden Gesellschaft EDF entwickelt sich aber mehr und mehr zum
Problemkind: Der Bau des Atomreaktors in Flamanville am Ärmelkanal
stockt seit Jahren. Schon im vergangenen Jahr war die Inbetriebnahme
von 2020 auf Ende 2022 verschoben worden, weil unter anderem undichte
Schweißnähte in der Stahlhülle entdeckt wurden. Ende März erließ die
Regierung dann per Dekret eine weitere Verschiebung – der Meiler muss
nun erst bis Ende 2024 mit Brennstäben beladen werden.
Da das Dekret ohne öffentliche Beteiligung inmitten der Hochphase der
Coronavirus-Pandemie in Frankreich erlassen wurde, werfen
Umweltverbände der Regierung Tricksereien und Betrug
vor. Das französische Anti-Atomkraft-Netzwerk Sortir du nucléaire
forderte, dass das Kraftwerk in der Normandie gar nicht mehr in
Betrieb genommen werde. Auch die Kosten für den Bau des Reaktors
waren zuletzt explodiert und liegen mittlerweile bei einem Vielfachen
der ursprünglich geplanten Ausgaben.
Der sonst nicht geringe Enthusiasmus der Franzosen über neue
Kraftwerk-Projekte hält sich in letzter Zeit in Grenzen:
Umweltministerin Borne hatte zu Beginn der Jahres angedeutet, dass
Frankreich über den Bau neuer Kraftwerke frühestens Ende 2022
nachdenken wolle. Die Regierung kündigte im Rahmen eines
Energie-Fahrplans außerdem an, die Abschaltung von Reaktorpaaren an
mehreren Standorten prüfen zu wollen.
(dpa/tkr)
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