Durch Putins Angriffskrieg in der Ukraine hat die Debatte um eine Beschleunigung der Energiewende sowie die Importe von russischem Öl und Gas und einem möglichen Embargo an Fahrt aufgenommen. Dabei geht es allem voran um ein Thema: die Versorgungssicherheit. Denn Öl und Gas halten lebenswichtige Lieferketten, Krankenhäuser und Kommunikationswege am Laufen. Eine beschleunigte Energiewende könnte helfen – denn die Erneuerbaren sind nicht nur ökologisch und ökonomisch die bessere Alternative, sie garantieren auch Frieden und Unabhängigkeit von autokratischen Staaten wie Russland.
Beschleunigt Putins Krieg in der Ukraine die Energiewende in Deutschland? Und was passiert, wenn die Gelder im Bundeshaushalt durch den Krieg und die Corona-Maßnahmen knapp werden – und der Klimaschutz hinten runter zu fallen droht?
Darüber spricht watson mit Volker Quaschning. Er ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin und beschäftigt sich seit Jahren mit der Energiewende und wie sie gelingen kann.
watson: Die Bürokratie und der Streit um Abstandsregelungen bremsen die Energiewende seit Jahren aus. Nimmt sie jetzt durch Putins Angriffskrieg in der Ukraine an Fahrt auf, oder könnte auch das genaue Gegenteil passieren?
Volker Quaschning: Das ist eine spannende Frage und hängt vor allem auch damit zusammen, ob wir uns das kurzfristig oder langfristig anschauen. Die Ereignisse in der Ukraine sind schrecklich und sie werfen einiges durcheinander. Das verdeutlicht aber, dass unsere Energieversorgung so wie sie ist, komplett krisenanfällig ist, weil wir abhängig von Importen aus Russland sind. Und de facto mit unseren Käufen von Öl und Gas einen Krieg mitfinanzieren. Deswegen müssen wir hier dringend etwas ändern. Durch die entsetzten Reaktionen auf den Krieg merkt man aber, dass die Bevölkerung momentan schon sehr offen für solche Veränderungen ist.
Da schwingt ein "aber" mit...
Ja, denn wir sehen gleichzeitig, dass durch den Krieg die Energiepreise, gerade die Ölpreise, nochmal stark in die Höhe getrieben werden und wir an der Tankstelle Preise in bislang noch nicht erreichten Höhen sehen. Für eine solche Preissteigerung hätten wir eine CO2-Steuer in Höhe von über 300 Euro einführen müssen, was nach Plänen der Regierung noch sehr, sehr viele Jahre gedauert hätte.
Momentan liegt die CO2-Steuer bei 30 Euro.
Genau. Das heißt also, die Entwicklungen, die man eigentlich beim Klimaschutz machen wollte, sind durch den Krieg im Express-Tempo vorweggenommen worden. Jetzt bleibt natürlich zu hoffen, dass durch die sehr hohen Öl- und Gaspreise und die Erkenntnis, wie abhängig wir sind, umgesteuert wird – weg vom importierten Öl und Gas, hin zu den erneuerbaren Energien. Mittlerweile tituliert sogar die FDP die Erneuerbaren als Freiheitsenergien – vor zehn Jahren war die FDP noch die Partei, die eigentlich Deckel für die erneuerbaren Energien einführen wollte. Also man sieht: Es hat sich definitiv etwas verändert.
Aber es kommt natürlich, auch durch die zusätzlichen Militärausgaben in Höhe von 100 Milliarden Euro, eine zusätzliche finanzielle Last auf die Menschen zu...
Und aus eben diesem Grund muss man leider befürchten, dass das passiert, was auch in den letzten Jahrzehnten immer wieder passiert ist, wenn das Geld knapp geworden ist: Dass nämlich der Klimaschutz und die Energiewende lediglich als nice to have angesehen werden und an diesen lebensentscheidenden Maßnahmen, nämlich dem Umbau der Energieversorgung, der Energiewende und dem Klimaschutz gespart wird, sobald es eng wird.
Das heißt, durch die Zusatzausgaben für das Militär könnte es bald wieder an Geld für den Klimaschutz mangeln?
Wir sehen jetzt einige Effekte, zum Beispiel wird gerade die EEG-Umlage in den Bundeshaushalt umgeschichtet, damit wir die Strompreise wieder senken können. Momentan kostet das nicht viel und ist auch eine sinnvolle Maßnahme. Nur wenn man die Erneuerbaren jetzt schnell ausbaut und Gas wieder billiger wird, kann es sein, dass dieser Kostenposten sehr stark steigt. Und wenn wir dann nach Corona feststellen, dass wir nicht nur den Krieg in der Ukraine, sondern auch die Kosten durch die Corona-Maßnahmen haben und der Bundeshaushalt wegen Überschuldung nicht mehr dazu in der Lage ist, alles zu finanzieren, dann muss man Prioritäten setzen. Und bislang hatte der Klimaschutz immer eine niedrige Priorität und ist hinten runtergefallen.
Das klingt, als würden Sie davon ausgehen, dass genau das wieder passieren wird.
Es wäre zu hoffen, dass sich das aufgrund der Erkenntnis, dass die Klimakrise eine der größten Bedrohungen ist, die uns trifft, geändert hat. Meistens ist es aber so, dass dem kurzfristigen Tagesgeschäft die Priorität eingeräumt wird. Also ja, die Gefahr besteht.
Warum sind denn erneuerbare Energien nicht nur aus klimapolitischer, sondern auch aus sicherheits- und geopolitischen Gründen eine so große Notwendigkeit?
Wir importieren 70 Prozent unserer Energie – Größenordnung um die 100 Milliarden Euro. Und dieses Geld fließt halt zu größeren Teilen in Länder wie Russland, Saudi-Arabien, Libyen, Syrien, Kasachstan – also alles Krisenstaaten oder Länder mit autokratischen Regierungen, die die Menschenrechte wenig achten. Es gibt einige Länder, wie beispielsweise Norwegen, wo das nicht der Fall ist, aber zum Großteil stammen unsere Öl- und Gas-Importe aus Quellen, hinter die man eigentlich eher ein Fragezeichen setzen sollte. Und deswegen wäre es dringend geboten, allein aus diesem Grund mal drüber nachzudenken, ob man wirklich Geld in diesen Mengen ins Ausland geben sollte, wo man nicht kontrollieren kann, was damit finanziert wird. Zum Beispiel wie jetzt mit Russland – wo wir durch unseren Bezug von Öl und Gas den Krieg anheizen.
Und genau das könnten wir mit in Deutschland erzeugten erneuerbaren Energien ändern?
Nun bin ich schon ein etwas älteres Kaliber und habe den Golfkrieg mitbekommen, wo die weltweite Ölversorgung ja auch eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat, auch wenn sie nicht der Hauptgrund war. In meiner jüngsten Kindheit gab es die großen Ölpreiskrisen. Worauf ich hinaus will: Wir können schon seit Jahren beobachten, dass der Kampf um die Ressourcen Öl und Gas internationale Konflikte anheizt. Also ja, bei den erneuerbaren Energien wäre das etwas ganz anderes: die stammen aus Deutschland, sind regional und wir haben nicht diese internationalen Verflechtungen – das Geld bleibt also im Land.
Womit wir eine größere Versorgungssicherheit hätten.
Exakt, denn wenn Russland seine Pipelines abdreht, haben wir ein Problem. Wenn in Deutschland ein Windrad umfällt, ist das jetzt nicht so dramatisch, das lässt sich leicht ersetzen. Durch die Dezentralität der erneuerbaren Energien haben wir natürlich eine größere Versorgungssicherheit – die Energie kommt von vor Ort, kann nicht einfach von außen abgekappt werden. Und außerdem sind die Preise stabiler, weil wir die Solaranlage oder das Windrad im Voraus bezahlen und sich die Preise, wenn es dann erstmal steht und installiert ist, für die nächsten 20 Jahre nicht mehr ändern. Das alles spricht natürlich für einen schnellen Ausbau erneuerbarer Energien.
Aber wir haben noch immer ein Speicher-Problem. Denn Wind weht vor allem nachts, wenn die Industrie stillsteht und die Menschen schlafen.
Ja, das ist vollkommen klar. Wir wissen, dass es in Deutschland auf Solar- und Windenergie hinauslaufen wird, weil wir bei allen anderen Energieträgern ein zu geringes Potenzial haben und dann brauchen wir natürlich Speicher, ganz klar. Das heißt, ich kann nicht nur davon sprechen Photovoltaik- und Windanlagen zu bauen, sondern ich muss vom Dreiklang sprechen, also auch den Bau von Speichern mit einberechnen. Alle seriösen Szenarien der Energiewende zeigen aber, dass wir in dieser Kombination auch eine sichere Energieversorgung aufbauen können.
Um die Klimakrise zu stoppen und auch das 1,5 Grad-Limit nicht zu überschreiten, dürfen in 15 Jahren keine fossilen Energien mehr nach Deutschland importiert werden. Ein weiterer Punkt, der nicht zu kurz kommen sollte, ist die Konsequenz, die für die heutigen Exportländer der fossilen Energiequellen entstehen: Fallen dort nämlich die massiven Einnahmequellen weg, könnte das zu Krisen oder Kriegen führen, wie Sie ja auch in Ihrem Buch erläutert haben. Warum ist es denn trotzdem wichtig, aus den fossilen Energien auszusteigen und damit potenziell erstmal Krisen in Gang zu setzen?
Russland bestreitet einen Großteil seiner Staatseinnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Mal ganz losgelöst von dem menschlichen Leid, was die Ukraine-Krise ausgelöst hat, ist das, was Putin macht, ja wenig intelligent, denn er wird jetzt jahrelang unter den Sanktionen leiden. Und wenn sich die Lage irgendwann wieder normalisiert, dann werden wir mit der Energiewende relativ weit sein, sodass er auch kein Öl und Gas mehr verkaufen kann. Er hätte nicht das ganze Geld in die Armee stecken sollen, sondern in den Umbau seiner Wirtschaft. Einfach gesagt hätte er sich fragen müssen: Wie kann ich mein Land weg von Öl und Gas bringen? Und das ist natürlich eine Konfliktsituation. Russland wird vor diesem Hintergrund ein Dauer-Patient bleiben, was kritische Konflikte anbelangt. In anderen Ländern, wie beispielsweise Saudi-Arabien, sieht es aus meiner Sicht etwas besser aus.
Warum?
Weil sie einfach Glück im Unglück haben. Saudi-Arabien liegt nämlich dort, wo wir auch wahnsinnig viel Sonne haben. Das heißt, sie sind standortbegünstigt – sowohl was das Öl anbelangt, als auch die Solarenergie. Und dadurch können sie natürlich relativ schnell das Öl durch Solarenergie ersetzen und davon dann wieder profitieren. Deswegen sehe ich das da nicht ganz so kritisch, auch wenn das natürlich Konfliktpunkte sind, die wir haben. Nur die Klimakrise an sich wird viel, viel größere Konflikte auslösen.
Inwiefern?
Natürlich können durch die wirtschaftlichen Umbrüche in Ländern, die Öl und Gas fördern, Krisen entstehen. Aber wenn wir die Klimakrise nicht stoppen, dann werden wir den Lebensraum von Milliarden von Menschen zerstören. Das hat ein ganz anderes Konfliktpotential. Deswegen wäre es auch so sinnvoll gewesen, bei der Energiewende schon vor 20, 30 Jahren anzufangen, damit man mehr Zeit für den Übergang hat. Aber das haben wir versäumt. Jetzt haben wir die Wahl, entweder einige kleine Konflikte durch den Umbau der Wirtschaft in den Ölförderländern auszulösen, oder aber einen erdumspannenden Konflikt durch das Fortschreiten der Klimakrise auszulösen. Und da ist es auf alle Fälle sinnvoller, den globalen Konflikt zu vermeiden.
In Deutschland wird ja immer von dem Ziel gesprochen, zwei Prozent der Landesfläche für Windenergieanlagen nutzen zu wollen. Momentan stehen wir ungefähr bei der Hälfte. Wie sollen wir dieses Ziel denn jetzt noch so schnell knacken?
Die Akzeptanz muss natürlich da sein. Aber vielleicht einmal kurz zur Erläuterung: Windkraftanlagen dürfen auf zwei Prozent der Flächen gebaut werden. Nun grätschen da schnell mal Populisten rein und sagen, dass zwei Prozent der Fläche zu betoniert werden sollen, aber das stimmt nicht, das habe ich nachgerechnet. Zubetoniert für die Fundamente werden nur 0,007 Prozent. Mal zum Vergleich: Für Straßen haben wir fünf Prozent der Landesfläche zubetoniert, aber danach fragt ja nie jemand – fürs Auto wird alles hingenommen. Für Windenergie wird ja gar nicht alles zubetoniert, man kann ja sogar Landwirtschaft betreiben unter der Anlage. Es ist einfach ein optisches Problem, der Landschaftsverbrauch ist eigentlich gering. Und dann haben wir Gesetze wie in Bayern, wo die 10H-Regel gilt, wo wir de facto keine Windräder mehr bauen können.
10H-Regel meint, dass die Windräder einen Mindestabstand vom zehnfachen ihrer Höhe zu Häusern und Gebieten mit Bebauungsplänen haben müssen.
Genau. Und so können wir natürlich weder die Klimakrise beenden, noch unsere Abhängigkeit von Russland. Wir haben nun mal keine Funk-Energie, die wir aus der Wüste in unsere Steckdose leiten können. Wir brauchen eben Strom – und dafür Leitungen und Windräder. Und die müssen natürlich auch in Bayern stehen, das muss auch den Menschen dort klar sein.
Sie haben es gerade schon gesagt: Viele stört das Landschaftsbild durch die Windräder. Politiker:innen knüpfen da teils an, und sprechen davon, dass man die Erneuerbaren importieren könnte, beispielsweise aus Afrika. Warum ist das nicht so einfach, wie es klingt?
Na ja, von irgendwo muss die Energie ja zu uns kommen. Also ich könnte jetzt eine Leitung nach Afrika ziehen und dort das Windrad oder eine Solaranlage aufstellen. Aber mit jedem Windrad, was ich nicht in Bayern baue, stelle ich dann eines in Afrika auf und noch zusätzlich Strommasten, um den Strom zu uns zu leiten. Sprich: In Bayern möchte man die Windkraftanlage nicht sehen, erwartet dann aber, dass sich die Menschen in Afrika die Windräder und unsere europäischen Nachbarn die Strommasten anschauen. So funktioniert das natürlich nicht. Den Großteil der Windräder brauchen wir also vor Ort. Man kann natürlich Wasserstoff importieren, das geht auch über den Seeweg, aber das ist vergleichsweise teuer. Und wenn wir nicht wollen, dass uns die Energiepreise noch weiter explodieren, dann werden wir wohl für Sonnen- und Windenergie bei uns in Deutschland sorgen müssen.
Und wie sieht es mit Offshore-Windparks aus?
Das Problem ist, dass die Nord- und Ostsee vergleichsweise klein sind – unser Hoheitsgebiet ist so gering, dass wir weniger als 20 Prozent unserer Energieversorgung decken könnten, selbst wenn wir alle geeigneten Standorte nutzen würden. Das ist also auch nicht die Lösung. Hinzu kommt ja noch: Irgendwie muss der Strom von dort ja auch nach Bayern kommen. Entweder ich habe die Windräder hier bei mir vor Ort, oder halt die Strommasten, die den Strom transportieren. Das ist vielen gar nicht bewusst und da muss man leider auch klar und deutlich sagen: Bei vielen hört dieses Bewusstsein mit der Sichtweite am Horizont auf. Jedes Windrad, das ich nicht baue, hat gravierende Auswirkungen auf Menschen andernorts.
Was entgegnen Sie denn diesen Menschen, die immer und immer wieder gegen den Bau der Windräder angehen?
Die sollen mir dann bitte mal sagen, woher sie denn stattdessen ihre Energie beziehen wollen. Die AfD kommt dann mit der Kernenergie. Da möchte ich dann aber gern mal wissen, ob die Bereitschaft da ist, statt des Windrades an der gleichen Stelle ein Atomkraftwerk zu bauen. Ich gehe mal davon aus, dass das eher nicht der Fall ist und die Widerstände sogar noch größer sein werden. Wenn ich also Energie haben will und unserem Wohlstand zu Gunsten von günstiger Energie profitieren will, dann muss man auch bereit sein, einen Beitrag dafür zu leisten. So viel Weitsicht muss schon sein.
Wobei dann ja auch noch hinzukommt, dass viele davon sprechen, dass es früher oder später eine technische Entwicklung gibt, die uns all diese Umstellungen erspart. Oder dass man mithilfe von Carbon Capture Storage das CO2 wieder aus der Atmosphäre holen kann und dann unter der Erde lagert, was quasi alle unsere Probleme behebt. Warum ist das zu schön, um wahr zu sein?
Also erst mal sind Öl, Kohle und Gas endlich. Das heißt, weiter auf das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas zu setzen, die Augen vor den Kriegen zu verschließen und das CO2 einfach aus der Luft zu holen, ist nicht die Lösung, das funktioniert nicht. Wir müssen also gar nicht nur aus Klimaschutzgründen weg von den fossilen Energien. Man kann natürlich versuchen, das CO2 aus der Atmosphäre zu holen, um die Schäden, die wir schon verursacht haben, zu reduzieren. Aber dazu muss man dann auch sagen: Das wird richtig, richtig teuer. Wenn wir stark konzentrierten Kohlenstoff in Form von Öl, Kohle und Gas in der Atmosphäre verteilen und das CO2 dann wieder aus der Luft holen wollen, ist das, als würden wir ein Blatt Papier in kleinste Schnipsel zerreißen und sie dann wieder einsammeln und zusammensetzen. Kann man natürlich machen, aber der Aufwand, aus kleinsten Schnipseln wieder ein Stück Papier zu machen, ist halt größer, als es zu zerreißen.
CO2 aus der Atmosphäre zu holen, ist also erheblich teurer, als das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas.
Ja, und wir ächzen ja jetzt schon unter den Kosten. Mit den ganzen Krisen, die wir haben, wird unsere Volkswirtschaft sowieso an den Rand der Belastbarkeit gebracht. Da werden wir für das Rausholen von CO2 nicht einmal ansatzweise das nötige Geld zur Verfügung haben.
Also sehen Sie Carbon Capture Storage, obwohl wir schon bei einer Erderwärmung von 1,1 Grad sind und das 1,5 Grad-Limit nur noch ziemlich schwierig zu halten sein wird, nicht als Teil der Lösung an?
Natürlich geht es dabei auch um die Frage, als wie schlimm sich die Katastrophen am Ende herausstellen werden. Und der zweite Punkt ist die Bereitschaft. Wir diskutieren ja jetzt schon darüber, warum Deutschland Klimaschutz betreiben sollte, wenn die Chinesen nicht mitmachen wollen. Das wird bei der Carbon Capture Storage nicht anders sein. Wir werden also wieder 20 Jahre darüber diskutieren, wer was macht und wie viel dafür zahlt. Damit blockieren uns die gleichen Mechanismen, die uns seit 30 Jahren blockieren. Aber ich sehe das skeptisch. Es ist eine theoretische Möglichkeit, ein Hoffnungsschimmer, dass wenn es ganz, ganz dicke kommt, wir versuchen können, mit extrem hohem Aufwand das Rad der Geschichte so ein Stück zurückzudrehen.
Das Rad komplett zurückzudrehen, funktioniert vermutlich auch nicht.
Nein, und deswegen ist es einfach die beste Lösung, auf erneuerbare Energien zu setzen. Die sind heute die preiswerteste Art der Stromerzeugung, das heißt, wir sparen sogar Geld, wenn wir uns von Öl, Kohle und Gas lösen. Und deswegen ist es doch das Sinnvollste, das Ganze jetzt nochmal zu beschleunigen. Es ist preiswert, wir werden unabhängig – es hat einfach nur Vorteile.
Aber man muss auf die Windräder gucken...
Ja, das stimmt. Aber im Vergleich zu dem, was jetzt in der Ukraine passiert, ist das doch wirklich ein vertretbares Opfer. Das müssen wir jetzt einfach durchziehen. Und wenn wir schnell sind, können wir in Deutschland in zehn, 15 Jahren klimaneutral sein. Und wenn wir dann als Vorbild für den Rest der Welt dienen und alle schnell mitziehen, dann haben wir durchaus noch eine realistische Chance, das 1,5 Grad-Ziel einzuhalten. Aber die Zeit verrinnt, wenn wir in fünf Jahren immer noch die gleichen Diskussionen führen, dann ist es zu spät.
Um jetzt nochmal auf die Diskussionen zu sprechen zu kommen: Glauben Sie denn, dass dieser schnelle Klimaschutz, den wir jetzt brauchen, in einer Demokratie überhaupt zu erreichen ist?
Mit Diktaturen ja auch nicht, das sehen wir ja gerade in Russland oder auch in China, wo immer noch auf Kohle gesetzt wird. Das Tempo, das man in der Energiewende in China vorlegt, ist nicht so groß wie zum Beispiel in der Europäischen Union. Ja, Demokratien sind natürlich schwierig, weil man versuchen muss, alle Menschen mitzunehmen, aber wenn man das mit autokratischen Staaten vergleicht, kommen ja gleich ganz neue Probleme auf: Die wollen Länder besetzen, größer werden – Klimaschutz und die Menschen sind denen egal. Also insofern denke ich schon, dass wir in der Demokratie die besseren Chancen haben, weil wir eine Meinungsfreiheit haben und gescheit aufklären können. Aber natürlich, der Prozess ist sehr mühsam. Für jedes einzelne Windrad gibt es Genehmigungsprozesse und hast du nicht gesehen.
In autokratischen Systemen ist das einfacher?
Natürlich, wenn China jetzt beschließt, dass da und da 10.000 Windräder gebaut werden, dann stehen die da im nächsten Jahr. Punkt. Das ist in der Demokratie schwieriger. Andererseits, wenn wir in Deutschland mehrheitlich etwas beschlossen haben, dann rollt der Zug auch und lässt sich nicht mehr so leicht stoppen. Insofern müssen wir mit dem besseren System der Demokratie versuchen, Klimaschutz durchzusetzen und können dann nur noch hoffen, dass die nicht so demokratischen Länder die Vorteile erkennen und entsprechend mitmachen und nachziehen.
Mal angenommen, es läuft alles wie es soll und wir schaffen es, die Klimakrise aufzuhalten. Wie sieht Deutschland in Ihrer Vorstellung aus?
Spannend! Also in 15 Jahren wären wir komplett klimaneutral. Wir würden mindestens 80 Prozent unserer Energie selbst produzieren, einen Teil würden wir noch in Form von Wasserstoff importieren – aber relativ wenig, sodass wir sehr unabhängig und damit wenig anfällig für Krisen sind. Für die Übergangszeit brauchen wir noch Rohstoffe, danach haben wir dann eine klare Kreislaufwirtschaft. Das heißt, dass auch die Abhängigkeit von Rohstoffimporten deutlich sinken wird, wodurch wir ebenfalls krisensicherer werden und unser Land generell besser wird: Weil wir die Luft nicht mehr verschmutzen, weil wir keine Dörfer mehr wegbaggern. Wir haben mehr öffentlichen Nahverkehr, die Straßen werden sauberer und leiser, wodurch wir eine wesentlich bessere Welt und eine wesentlich höhere Lebensqualität haben. Klar, die Menschen werden sich ein bisschen verändern müssen, aber sie werden schnell feststellen, dass es eine Veränderung zum Besseren war. Und insofern freue ich mich auf diese neue Welt.
Und was braucht es jetzt, um diese Version zu verwirklichen?
Wir müssen endlich durchstarten mit der kompletten Energiewende. Und wir brauchen eine Politik, die wirklich sehr, sehr mutig ist und ohne Angst vor Wählerinnen und Wählern Maßnahmen durchsetzt, diese aber auch gut kommuniziert, sodass sich niemand überfahren fühlt. Die Mehrheit akzeptiert und will ja auch die Windenergie, wir dürfen uns nur nicht länger von einer lauten Minderheit blockieren lassen. Wenn mutige Entscheidungen getroffen werden, die aber gut kommuniziert werden, kann auch die Politik davon profitieren. In der Politik hat man hat immer Angst gehabt, dass man nicht wiedergewählt wird, wenn man Klimaschutz macht. Aber ich glaube, es ist andersherum: Wenn man wirklich Klimaschutz macht und das gut kommuniziert, sodass die Menschen auch die Vorteile sehen, dann ist das der Schlüssel zum Erfolg, auch für Politikerinnen und Politiker.