Der Klimawandel gilt als größte Bedrohung für die Menschheit. Nicht nur, weil er zu steigenden Meeresspiegeln, schmelzenden Gletschern, Waldbränden, Überflutungen und Dürren führt. Sondern auch, weil er insbesondere fragile Gesellschaften belastet und bewaffnete Konflikte anheizt – im wahrsten Sinne des Wortes.
Dabei treffen die Folgen nicht nur die Menschen im globalen Süden, die besonders stark unter dem Klimawandel leiden. Durch die Klimakrise befeuerte Konflikte strahlen bis zu uns nach Europa, sagt der Geograf und Konfliktforscher Jürgen Scheffran. Im Interview mit watson erklärt der Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg, wo der Klimawandel schon jetzt zu Konflikten führt, warum er dem Rechtspopulismus den Weg bereiten kann und was wir tun müssen, um die Erderwärmung zu stoppen und gleichzeitig den Frieden zu sichern.
watson: Der UN-Sicherheitsrat hat diese Woche über die Bedrohung des Weltfriedens durch den Klimawandel diskutiert, Außenminister Maas nannte den Klimawandel "eine der größten Bedrohungen von Frieden und Sicherheit". Wie groß ist das Problem aus Ihrer Sicht? Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf den Weltfrieden?
Jürgen Scheffran: Der Klimawandel untergräbt in vielen Teilen der Erde die menschlichen Lebensgrundlagen, gefährdet die Nahrungs- und Wasserversorgung, verstärkt Wetterextreme und Naturkatastrophen. Manche Gefahren sind kurzfristig, andere haben langfristige Auswirkungen und sorgen dafür, dass Menschen ihre Heimat verlieren und vertrieben werden. Die Konfliktpotenziale steigen, vom Kampf um knappe Ressourcen über gesellschaftliche Auseinandersetzungen bis zu Gewaltkonflikten.
Wo gibt es solche Konflikte denn aktuell schon?
Die Sahelzone ist ein Brennpunkt für die Sicherheitsrisiken des Klimawandels. Bauern und Nomaden teilen sich traditionell Wasser und Land. Kooperative Strukturen werden jedoch durch die Verschiebung der Wüstenzonen und die knapper werdenden Wasserressourcen unter Druck gesetzt. Konflikte verschärfen sich, etwa in der Darfur-Region im Sudan. Und wenn die Fläche des Tschadsees weiter schrumpft, ist die Wasserversorgung vieler Menschen in dieser Konfliktregion betroffen.
Was heißt das konkret für die Menschen vor Ort?
Die ohnehin schwierigen ökonomischen Bedingungen machen die Menschen verwundbar für den Klimawandel. Durch die Unzufriedenheit der lokalen Bevölkerung haben es Terroorrganisationen wie Boko Haram leichter, neue Mitglieder zu rekrutieren.
Der Klimawandel verstärkt also bereits existierende Konflikte?
Ja, auch wenn wir noch nicht an einem Punkt sind, an dem der Klimawandel allein Kriege auslöst. Er kommt zu bestehenden Konflikten hinzu. Vieles hängt von der Stabilität der Gesellschaft ab, ob autokratische oder demokratische Strukturen entstehen. Vor dem Bürgerkrieg in Syrien gab es beispielsweise eine schwere Dürre, Teile der Landbevölkerung verloren ihre Existenzgrundlage, gingen in die Städte und unterstützen die Proteste gegen das Assad-Regime. Die Unzufriedenheit mit der syrischen Gewaltherrschaft hat viele Gründe und kann nicht primär auf den Klimawandel zurückgeführt werden. Allerdings kann die Erderwärmung in besonders fragilen Gesellschaften, wie beispielsweise der syrischen, bestehende Konfliktlagen verstärken und innergesellschaftliche Auseinandersetzungen auslösen.
In Deutschland haben wir ja eine vergleichsweise stabile Demokratie. Haben wir also nichts zu befürchten?
Wenn es bei uns zu einer Überschwemmung kommt, rechnet niemand mit Gewaltkonflikten und Vertreibungen, weil die Anpassungsfähigkeit und institutionellen Strukturen hierzulande besser ausgeprägt sind und es in solchen Fällen beispielsweise Hilfsgelder gibt. Auch wenn wir in einer klimatisch gemäßigten Zone leben, können durch den Klimawandel die Wetterextreme zunehmen. Wenn dadurch die Bauern auf längere Sicht Ernteeinbußen erleiden und es keine ausreichende Kompensation gibt, kann dies zu innergesellschaftlichen Spannungen bis hin zum Rechtspopulismus beitragen.
Das müssen Sie genauer erklären.
In der Forschung gibt es unterschiedliche Ansichten, wie groß das Konfliktpotenzial durch den Klimawandel ist. In extremen Visionen kippt die Welt in immer neue Krisen, bis hin zu rechtsradikalen Strömungen, faschistischen Regimen und Weltkriegen, wie schon vor hundert Jahren.
Wie werden solche Horrorszenarien begründet?
Bei der Klimakrise wie auch in der Coronakrise oder den mit der Globalisierung verbundenen Wirtschaftskrisen sehen wir in Teilen der Gesellschaft eine Verweigerungshaltung gegenüber wissenschaftlichen Erklärungen, politischer Krisenbewältigung und eigenen Verhaltensänderungen. Dagegen verbreiten sich über soziale Medien Verschwörungsmythen und der Ruf nach einer harten Hand, um Probleme mit autoritärer Macht in den Griff zu bekommen. Eine Folge war beispielsweise die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten.
Dabei beklagen ja insbesondere Menschen, die mit Populisten wie Trump oder Bolsonaro sympathisieren, schon jetzt eine Ökodiktatur.
Widerstände gegen die Änderung des eigenen Lebensstils und die Einschränkung von Freiheiten erleben wir derzeit in der Pandemie, in der manche von einer Corona-Diktatur sprechen. Auch beim Klimawandel wollen einige sich nicht zwingen lassen, ihre Freiheit einzuschränken. Dabei dürften die Verluste von Freiheit, Wohlstand, Gesundheit und Leben deutlich höher sein, wenn es nicht gelingt, einen katastrophalen Klimawandel zu verhindern. Es gibt aber auch Gegenbewegungen wie Fridays for Future, die Zukunftsperspektiven bewahren wollen. Wir erleben derzeit einen Wettstreit der verschiedenen Strömungen, die für oder gegen einen Umbau der Gesellschaft sind.
Fridays for Future fordert ja eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad. Wie groß ist der Einfluss des Klimawandels auf Konfliktlagen, wenn wir ungebremst auf vier Grad Erderwärmung zusteuern im Vergleich zu einer Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 oder zwei Grad?
In den vergangenen hundert Jahren hat sich das Klima um etwa ein Grad erwärmt. Eine Expertenstudie, an der ich beteiligt war, hat geschätzt, dass in der Vergangenheit das Konfliktrisiko im Mittel zu fünf Prozent durch klimabedingte Einflüsse erklärbar ist. Mit zunehmender Erderwärmung könnte das Risiko bewaffneter Konflikte substanziell steigen, bei weiteren zwei Grad um rund 13 Prozent, bei vier Grad um 26 Prozent. Dies sind allerdings nur mittlere Expertenschätzungen, da es hier bislang keine Einigkeit in der Wissenschaft gibt und Zukunftsprognosen der Klimafolgen aus Daten der Vergangenheit schwierig abzuleiten sind.
Gibt es auch Prognosen, die Mut machen?
Mit der globalen Erwärmung dürfte nicht nur das Konfliktpotenzial, sondern auch die Bereitschaft steigen, die Probleme zu bewältigen. Dass es viele Möglichkeiten zur Eindämmung von Klimakonflikten gibt, zeigt die genannte Studie.
Neben bewaffneten Konflikten wird der Klimawandel auch dafür sorgen, dass Regionen im globalen Süden unbewohnbar werden. Erwartet uns eine neue Migrationswelle?
Migration hat viele, auch positive Facetten. Aber die unfreiwillige Migration durch Flucht und Vertreibung als Folge des Klimawandels hat destabilisierende Folgen und bedroht Millionen Menschen. Wenn in der Sahelzone Menschen ihre Existenzgrundlage verlieren, werden nicht alle Betroffenen fliehen – viele werden versuchen, die Probleme vor Ort zu bewältigen, andere haben gar nicht die Möglichkeit, große Strecken zu wandern.
Was passiert mit denen, die nicht fliehen können?
Nur wenige können den Kontinent verlassen und das Mittelmeer überqueren, um nach Europa zu kommen. Ein großer Teil dürfte als Binnenvertriebene im eigenen Land bleiben. Andere gehen in die Nachbarländer, wie es am Horn von Afrika der Fall ist. Dort sitzen sie in Flüchtlingslagern fest und sind oftmals Spannungen mit der lokalen Bevölkerung ausgesetzt. Dies verschärft regionale Konfliktlagen, die auch für Europa relevant sind.
Inwiefern?
Konflikte und ihre Folgen können sich über Grenzen hinweg ausbreiten und ganze Regionen destabilisieren, wie im Nahen Osten, am Horn von Afrika oder in Teilen der Sahelzone. Auch Nordafrika ist seit dem Arabischen Frühling fragiler geworden. Auf Dauer kann Europa sich nicht durch immer höhere Mauern abschotten, wenn die Probleme jenseits davon zunehmen. Was auf der Südseite des Mittelmeers geschieht, beeinflusst auch uns. Damit steigt die Notwendigkeit zur Kooperation, um die Herausforderungen des Klimawandels gemeinsam anzugehen. Dies wird umso dringlicher, da die Abhängigkeit von den fossilen Energien aus Nordafrika und dem Nahen Osten verringert werden muss. Diese Region ist zugleich reich an Solarenergie.
Tun sich nicht neue Konflikte auf, wenn die Wirtschaft umgebaut wird, Erdöl- und Erdgasstaaten auf ihren Brennstoffen sitzenbleiben und andernorts riesige Solarfelder gebaut werden?
Das mag sein, aber es bieten sich auch Chancen für Kooperationen im gesamten Mittelmeerraum. Für die erneuerbare Energieversorgung und den Austausch von Ökostrom wäre ein Stromnetz rund ums Mittelmeer ein Infrastrukturprojekt, das viele Vorteile eröffnet. Es gibt schon einzelne Pilotprojekte wie Solarfelder in Marokko. Aber die Konfliktlagen haben dazu geführt, dass größere Projekte wie Desertec bisher gescheitert sind.
Was kann getan werden, damit sich das künftig ändert?
Europa muss mit gutem Beispiel vorangehen: die Klimaziele einhalten, abrüsten, in erneuerbare Energien investieren, eine Sicherheitsarchitektur errichten, die auf den ganzen Mittelmeerraum ausstrahlt. Die weltweit 2000 Milliarden Euro an Rüstungsausgaben sollten besser in Klimaschutz und Energiewende investiert werden. Für jeden Euro im Klimaschutz in Deutschland könnte ein bestimmter Anteil in Entwicklungsländer investiert werden. Dabei kann auch die Zusammenarbeit mit Migrationsnetzwerken genutzt werden. Zuwanderer, die bei uns leben, kennen sich in ihren Heimatländern aus und wissen, wie diese sich an den Klimawandel anpassen und in erneuerbare Energien investieren können.
Es hilft also, den Klimaschutz mit anderen Bereichen zu verknüpfen?
Ja, man kann Klimaschutz und Konfliktvermeidung integrieren, Nachhaltigkeit, Friedenssicherung und Entwicklungspolitik zusammenbringen. Wir müssen weg von negativen Teufelskreisen hin zu positiven Synergien. Auch beim Klimawandel gibt es ja nicht nur negative Kipppunkte, sondern auch positive. Es ist beeindruckend, was eine einzelne Schülerin wie Greta Thunberg in Gang setzen konnte, verstärkt durch Millionen Gleichgesinnte. Die nächsten Jahre sind eine Chance, die Klimapolitik in eine positive Richtung zum Kippen zu bringen.