Nachhaltigkeit
Interview

Ernährungswissenschaftler: Was du als Vegetarier und Veganer im Kühlschrank haben solltest

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Nur Gemüse? Vegane Ernährung kann viel mehr als das.Bild: E+ / yulkapopkova
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"Vegane Ernährung ist keine Raketenwissenschaft": Ernährungswissenschaftler Niko Rittenau erklärt, wie jeder vegan leben kann

18.01.2021, 10:0822.01.2021, 23:01
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Rund 1,13 Millionen Menschen in Deutschland leben vegan, viele Tausend weitere versuchen momentan im Rahmen des Veganuary, zumindest einen Monat lang ohne tierische Produkte auszukommen. Das fällt inzwischen zunehmend leichter. Denn egal ob in der Werbung, im Restaurant oder im Supermarktregal: Vegane Ernährung ist inzwischen überall ein Thema.

Auch wenn besonders Jugendliche und junge Erwachsene vegan oder vegetarisch leben, kann sich theoretisch jeder pflanzlich ernähren, sagt Niko Rittenau – wenn er auf einige Dinge achtet. Im Interview mit watson erklärt der Ernährungswissenschaftler und Kochbuchautor, was jeder Veganer und jede Veganerin im Kühlschrank haben sollte, warum eine vegane Ernährung beim Abnehmen helfen kann und warum das Thema Veganismus oft so hitzig diskutiert wird.

watson: Der Körper braucht Eisen und andere Nährstoffe, die in Fleisch stecken – sich vegan zu ernähren, führt zu Mangelerscheinungen. Das ist das wohl beliebteste Argument, das Menschen, die Fleisch essen, gegen Veganismus anbringen. Ist da was dran?

Niko Rittenau: Bei einer unzureichender Kostzusammenstellung kann es bei jeder Ernährungsweise – egal ob vegan oder nicht – zu Mängeln kommen. Tierische Produkte haben kein Monopol auf irgendeinen überlebensnotwendigen Nährstoff, aber es ist korrekt, dass man bei allen Ernährungsweisen, die gewisse Lebensmittelgruppen ausschließen, verstärkt auf die Nährstoffversorgung achten muss. Rotes Fleisch enthält beispielsweise viel gut bioverfügbares Eisen, aber ebenso viel findet sich in Hülsenfrüchten wie Linsen. Der Glaube, dass jede Art des pflanzlichen Eisens per se schlechter absorbierbar wäre als tierisches Eisen, ist überholt.

Welche Nährstoffe brauchen wir unbedingt?

Langfristig muss darauf geachtet werden, woher man in der veganen Ernährung genügend Eisen ohne rotes Fleisch, Kalzium ohne Milch, Jod und Omega 3 ohne Fisch und weitere überlebensnotwendige Nährstoffe bekommt. Eine vegane Ernährung gut zu planen, ist aber keine Raketenwissenschaft und mit dem notwendigen Grundwissen lässt sie sich in jeder Lebensphase bedarfsdeckend umsetzen.

Was sollte also jeder, der sich vegan und ausgewogen ernähren will, im Kühl- oder Vorratsschrank haben?

Ein guter Vorrat an (Vollkorn-)getreide (also Pasta, Reis, Mehle, intakte Getreide), Hülsenfrüchten (Linsen, Erbsen, Bohnen) sowie ein paar Packungen Kerne (Walnüsse, Mandeln, Kürbiskerne, Sonnenblumenkerne) und Tiefkühlgemüse und –obst stellen einen guten Basisvorrat dar. Ergänzt durch einen gut gefüllten Kühlschrank mit Pflanzenmilch (aus Soja, Hafer, Mandel), pflanzlichen Proteinlieferanten (Tofu, Seitan, Tempeh) und frischem Gemüse, Pilzen, Kräutern und Obst hat man alles Nötige zu Hause, um sich abwechslungsreich und nährstoffreich vegan zu ernähren.

Niko Rittenau ist Ernährungswissenschaftler, Speaker und Autor. In seinen Kochbüchern will er guten Geschmack, Gesundheitsbewusstsein und nachhaltigen Konsum kombinieren. Er lebt seit acht Jahren vega ...
Niko Rittenau ist Ernährungswissenschaftler, Speaker und Autor. In seinen Kochbüchern will er guten Geschmack, Gesundheitsbewusstsein und nachhaltigen Konsum kombinieren. Er lebt seit acht Jahren vegan. bild: Melissa Stemmer

Muss sich der Körper erst einmal an die Ernährungsumstellung gewöhnen?

Wenn man sich im Rahmen des Veganuary nur für 30 Tage testweise vegan ernährt, muss man nicht wirklich viel beachten, da in so kurzer Zeit kein relevanter Mangel entstehen wird. Hier gilt es in erster Linie, Spaß zu haben, neue Gerichte kennenzulernen und sich auszuprobieren. Eine Gewöhnung benötigt es höchstens, wenn man sich bis dato von sehr viel ballaststoffarmen Junk- und Fastfoodgerichten ernährt hat und plötzlich auf eine sehr vollwertige, ballaststoffreiche vegane Kost umstellt. Dann kann es durchaus sechs bis acht Wochen dauern, bis sich das Verdauungssystem unseres Körpers daran gewöhnt hat.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) steht Veganismus eher kritisch gegenüber. Können prinzipiell alle Menschen vegan leben, oder gibt es Ausnahmen? Wie sieht es mit Kindern, Schwangeren oder älteren Menschen aus?

Ich bin ein großer Befürworter der DGE und schätze deren Arbeit sehr. Ich verstehe aber auch, woher die kritische Haltung gegenüber der veganen Ernährung in Lebensphasen wie der Schwangerschaft, Stillzeit und im Kindesalter kommt. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist die Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitaminen und Mineralstoffen deutlich weniger weit verbreitet als etwa in den USA, deshalb braucht es ein gewisses Grundwissen zur Bedarfsdeckung und Supplementierung. Prinzipiell können aber – und das zeigen die Positionspapiere zahlreicher Ernährungsfachgesellschaften rund um den Globus – Menschen in jeder Lebensphase ihren Nährstoffbedarf auch ohne Verzehr tierischer Produkte decken.

Der Klischeeveganer ist aber jung und lebt in der Stadt. Trifft das tatsächlich zu?

Die Daten zeigen, dass der Durchschnittsveganer tatsächlich jung, weiblich und gut gebildet ist und in einer größeren Stadt lebt. Je nach Erhebung liegt der Anteil der Frauen bei etwa 75 Prozent. Dennoch gibt es natürlich in jeder Altersgruppe und jeder Gesellschaftsschicht vegan lebende Personen und daher wird man überrascht sein, wie viele vegan lebende Menschen es in Deutschland gibt, die überhaupt nicht diesem Klischee entsprechen.

"Wenn Tofu und Seitan nicht schmecken, ist das nicht die Schuld des Tofus oder des Seitans, sondern des Koches."

Sie selbst leben seit acht Jahren vegan – vermissen Sie auch manchmal etwas?

Ich dachte früher immer, dass ich niemals auf Lebensmittel wie Buletten, Parmesan oder Rührei verzichten könnte. Als ich aber erfuhr, mit welchem Leid die Produktion dieser Lebensmittel in den meisten Fällen verbunden ist, stand der Genuss für mich in keinem Verhältnis mehr. Auch wenn es bis dato noch keinen geschmacklich gleichwertigen Ersatz für Lebensmittel wie Parmesan gibt, gebe ich diesen kurzen Moment des Genusses gerne temporär auf. Aber ich freue mich, wenn es in einigen Jahren im Rahmen der zellbasierten Landwirtschaft all diese Lebensmittel auch ohne das Tierleid, die ökologischen Folgen und das Pandemierisiko mit gleichwertigem Geschmack gibt.

Apropos Geschmack: Manche Menschen mögen den Geschmack von Tofu und Seitan nicht – was empfehlen Sie denen, wenn sie ihren Fleischkonsum trotzdem reduzieren wollen?

Wenn Tofu und Seitan nicht schmecken, ist das nicht die Schuld des Tofus oder des Seitans, sondern des Koches. Im Ernst. All diese Produkte schmecken so gut oder schlecht wie es die Kochkunst erlaubt. Ich habe noch keine Person erlebt, die die Rezepte von Veganköchen wie Sebastian Copien mit Tofu oder Seitan nicht mochte. Sebastian schafft es, das deftige Aroma von Fleischgerichten wunderbar in die vegane Küche zu bringen.

Ist das der Grund, warum vegane Gerichte oft eine lange Liste an Zutaten beinhalten, häufig mehr als nicht-vegane Gerichte?

Ja, wenn es darum geht den Geschmack von tierischen Produkten wie Fleisch, Käse oder Milch in die vegane Ernährung zu bringen, benötigt man schlichtweg mehr Zutaten. Die Länge der Zutatenliste sagt aber noch nicht per se etwas über den gesundheitlichen Wert einer Speise aus.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ein sehr plakatives Beispiel: Die einzige Zutat in einem Liter Milch ist Milch. Die einzelnen Bestandteile wie der Milchzucker (Laktose), die Proteine (Casein und Molkenprotein), die Fettsäuren sowie Wasser müssen hier nicht separat aufgeführt werden, da die Milch ja mehr oder weniger so wie sie ist aus dem Euter der Kuh kommt. Wenn man hingegen Pflanzenmilch herstellt, baut man diese aber von Grund auf neu und muss daher all diese Komponenten auf der Packung in der Zutatenliste angeben. Das macht diese naturgemäß länger – aber nicht schlechter.

"Ersatzprodukte sind aktuell noch teurer, aber das wird sich in Zukunft ändern, wenn die Nachfrage und damit die Produktionsmenge weiter steigt."

Ersatzprodukte kosten im Supermarkt oft mehr als die tierische Alternative. Ist es auf Dauer teurer, sich vegan zu ernähren?

Ja, Ersatzprodukte sind aktuell noch teurer, aber das wird sich in Zukunft ändern, wenn die Nachfrage und damit die Produktionsmenge weiter steigt. Schon jetzt kann man ebenso günstig vegan wie mischköstlich essen, wenn man ein paar Tipps beherzigt, beispielsweise die, die wir in unserem Buch Kochbuch "Vegan Low-Budget: Großer Genuss zum kleinen Preis" besprechen.

Was können Anfänger, die erst mit der veganen Ernährung begonnen haben, easy auf den Tisch bringen?

Ich habe auf meiner Webseite ein kostenloses eBook mit 42 alltagstauglichen Rezepten von mehr als einem Dutzend veganer Köchinnen und Köche und jede Menge Ernährungsinformationen bereitgestellt. Dort finden sich schnelle und einfache Gerichte für jede Tageszeit: Ein Tofu-Scramble oder Miso-Oatmeal zum Frühstück, eine Limettenpasta mit Aubergine oder eine Bohnenpfanne mit Räuchertofu zum Mittagessen und ein Linseneintopf oder eine Blumenkohl-Kokos-Suppe zum Abendessen. Für den süßen Zahn gibt Rezepte für Seidentofu-Tiramisu, Schoko-Erdnuss-Cupcakes oder Granola-Kiwi-Schnitten.

Generell beinhaltet die vegane Küche viel Gemüse, Obst, und Vollkornprodukte – hilft vegane Ernährung auch beim Abnehmen?

Unter der Voraussetzung, dass sie gut geplant und vollwertig ist, kann eine vegane Ernährung tatsächlich aufgrund des höheren Ballaststoffgehalts und des damit einhergehenden besseren Sättigungsgefühls dabei helfen, ohne Hungern abzunehmen. Das ist aber keine Besonderheit, die sich ausschließlich auf eine vegane Ernährung beschränkt, sondern trifft ebenso auf jede andere Art der Ernährung mit höherem Ballaststoffgehalt zu.

Ist es damit prinzipiell auch gesünder, sich vegan zu ernähren?

Jede Art der Ernährung – von vegan über vegetarisch, mischköstlich, paleo oder ayurvedisch – kann gesund sein; wenn sie richtig umgesetzt wird. Da sich vegan lebende Menschen aber überdurchschnittlich viel mit ihrer Ernährung auseinandersetzen, ist ihre Ernährung im Durchschnitt oft gesünder als die klassische vorherrschende westliche Mischkost.

"Als ich mitbekommen habe, wie wir in der industriellen Tierhaltung mit Nutztieren umgehen, wollte ich dieses grausame System nicht länger unterstützen."

Die Gesundheit ist nur einer von vielen Gründen, die für Veganismus sprechen. Was war der Auslöser, dass Sie sich entschieden haben, vegan zu leben?

Im Kern ist der Veganismus eine tierethisch begründete soziale Gerechtigkeitsbewegung in deren Fokus primär die Frage steht, wie ein ethisch vertretbares Mensch-Tier-Verhältnis in Zukunft aussehen kann. So auch bei mir: Als ich mitbekommen habe, wie wir in der industriellen Tierhaltung mit Nutztieren umgehen, wollte ich dieses grausame System nicht länger unterstützen.

Manche kaufen deshalb das Fleisch und die Milch von "glücklichen Tieren".

Zu Beginn sah ich die Lösung auch in einer Reduktion des Fleischverzehrs und des Konsums von tierischen Produkten aus "artgerechter" Haltung. Je mehr ich aber darüber lernte, desto klarer wurde mir, dass auch dies kein gerechtes System ist. Vor allem bei Fleisch geht der Konsum ja immer mit der Tötung des Lebewesens einher und egal, wie gut es davor gelebt hat, wird es dennoch für meinen Genuss gegen seinen Willen getötet. Das wollte ich nicht länger verantworten.

Über Veganismus wird oft hitzig diskutiert. Wie geht man als Veganer damit um?

Unsere Nahrungsaufnahme ist ein sehr persönliches und damit auch emotionales Thema, deshalb reagieren viele Menschen nicht rational. Ich halte es für wichtig, dass vegan lebende Menschen diese Thematik aktiv auf eine höfliche und sachliche Art ansprechen; dieselbe höfliche und sachliche Art des Umgangs kann man auch von mischköstlich essenden Menschen in Gesprächen erwarten. Ich persönlich habe es noch nie erlebt, dass Personen, die mir nahestanden, abfällig auf meine Ernährungsweise reagiert haben – ganz im Gegenteil. Vor allem deshalb, weil ich meine Position unaufgeregt, faktenbasierend und objektiv darlege.

Und wenn man dann doch mit der Familie am Essenstisch sitzt und sich Sprüche anhören muss?

Dann gibt es zwei Fragen, die man sich vielleicht stellen möchte. Zum einen: Kann es sein, dass ich selbst in meiner Kommunikation nicht sehr effektiv war und so den Menschen um mich herum vielleicht gar nicht die Möglichkeit gegeben habe, mich zu verstehen? Wenn dem bis jetzt so war, möchte man das Gespräch nochmals suchen und es besser darlegen. Zum anderen, wenn ich das ausschließen kann: Was sagt es über meine Familie oder Freunde und unsere Beziehung zueinander aus, wenn diese trotz der sachlichen und folgerichtigen Argumentation bei einem so wichtigen Thema mit dummen Kommentaren antworten? Auch hier möchte man dann vielleicht auf Dauer die entsprechenden Konsequenzen ziehen.

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