Nachhaltigkeit
Interview

Klimastreik 2025: Jürgen Trittin mit Forderung an Fridays for Future

16.11.2024 Jürgen Trittin Grüne Parteitagsrede von Jürgen Trittin zu seiner Verabschiedung Wiesbaden *** 16 11 2024 Jürgen Trittin Green Party conference speech by Jürgen Trittin on his farewell Wiesb ...
Jürgen Trittin steht seit vielen Jahrzehnten für Klimapolitik. Bild: imago images / Frank Turetzek
Interview

Klimastreik, gut und schön? Was Ex-Umweltminister Jürgen Trittin von Aktivismus hält

13.02.2025, 18:3213.02.2025, 19:17
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Bei den Bundestagswahlen 2021 warben die Kanzlerkandidat:innen noch euphorisch für sich als vermeintliche Klimakanzler:in. In diesem Jahr sieht das anders aus, Klimaschutz spielt im Wahlkampf 2025 kaum eine Rolle.

Einer, der Ablehnung gegenüber grünen Themen von der ersten Stunde an kennt, ist Jürgen Trittin (Grüne). Der 70-Jährige war von 1998 bis 2005 Bundesumweltminister, 2023 legte er sein Mandat im Bundestag nieder.

Anlässlich des Klimastreiks vor der Bundestagswahl hat watson den Ex-Grünen-Politiker getroffen und gefragt, was er von den Entwicklungen im Bereich Klima in Deutschland hält.

Watson: Herr Trittin, sehen wir Sie am Freitag für das Klima streiken?

Jürgen Trittin: Als Pensionär ist zwar schlecht streiken, aber es steht in meinem Terminkalender.

Zuletzt wurde es ein bisschen ruhiger um den Klima-Aktivismus. Machen Ihnen Bewegungen wie FFF dennoch Hoffnung?

Erstmal rufen die Bewegungen ins Bewusstsein, was in diesem Wahlkampf faktisch keine Rolle spielen soll. Obwohl die Menschen in Umfragen wirtschaftliche Not, Klima, Gesundheit und Migration als Hauptthemen definieren, hat der mediale Diskurs die Debatte auf Abschiebung verengt. Da hat ein Agenda-Setting stattgefunden, nicht durch die AfD, sondern zum Teil durch Friedrich Merz, aber auch durch die mediale Darstellung. Gegen die Haltung "Klima? Abschieben!" gehen gerade junge Menschen zurecht auf die Straße.

Also sind Klimaaktivisten wie die Letzte Generation Ihnen nicht zu radikal?

Mir ist aufgefallen, dass etwa die Letzte Generation teils ein sehr "exterministisches" Vokabular pflegt. Aber ihre Forderungen sind überhaupt nicht radikal. Die haben gesagt, sie würden aufhören, sich auf die Straße zu kleben, wenn es ein Tempolimit gäbe. Das finde ich in Ordnung. Und ich finde auch nicht, dass Leute, die sich auf die Straße kleben, Terroristen sind. Wir brauchen die Aktionen der Klimabewegung, um die Notwendigkeit zum dringenden Handeln zu unterstreichen. Aber das allein ist eben noch keine Klimapolitik. Deswegen ist es wichtig, dass sich Klimaaktivisten nicht nur auf die Straße setzen, sondern beispielsweise zu Bürgeranhörungen zu Windparks kommen und dort mitdiskutieren.

Wie sehr schmerzt es Sie denn als ehemaliger Umweltminister, dass Klimathemen bei dieser Wahl eben keine Rolle spielen?

Gar keine Rolle stimmt nicht ganz. Meine Partei thematisiert das sehr stark. Und es gibt einen neuen Antiklimaschutzdiskurs. BSW und AfD plädieren dafür, sich wieder abhängig zu machen von russischem Erdgas. CDU, CSU und FDP sagen in ihrem Programm nur, sie wollen die Gasheizung erhalten. Alle wollen zurück zum Verbrenner. Klimaschutz ist heute von einem Konsensthema zu einem Teil des Kulturkampfes der politischen Rechten geworden. Und das in einer Zeit, wo die Industrie selbst sich in weiten Teilen aufgemacht hat, die Transformation anzugehen. Das alte Bild, dass diejenigen, die für mehr Klimaschutz auf die Straßen gehen, in Konfrontation mit der Wirtschaft stehen, stimmt einfach nicht mehr.

Nochmal zurück zu Friedrich Merz. Was würde eine Regierung unter ihm bedeuten, vor allem fürs Klima?

Kanzler wird nur, wer eine Mehrheit im Deutschen Bundestag bekommt. Das hat sich Friedrich Merz in den letzten Wochen durch seine Kooperation mit den Faschisten der AfD massiv erschwert. Zudem verspricht er Dinge, die nicht gegenfinanziert sind, von der Entlastung der oberen 10 Prozent bis zu gesteigerten Rüstungsausgaben. Wer grüne Stimmen für sich will, darf nicht die Energiewende rückabwickeln wollen und muss die Defizite des Klimaschutzes im Verkehr und im Gebäudesektor angehen.

Energie ist ein gutes Stichwort. Sie bezeichneten den Atomausstieg einmal als Ihren größten politischen Erfolg. Friedrich Merz fordert eine Rückkehr zur Atomkraft. Wie wütend macht sie das?

Ich habe es die Energiewende genannt. Sie besteht aus dem Ausstieg aus der Atomenergie, dem Einstieg in die Erneuerbaren und der Einführung des Emissionshandels. Die deutschen Atomkraftwerke werden gerade zurückgebaut. Dass der weitere Betrieb der Atomanlagen preissenkend wirken würde, hat sich als Lüge herausgestellt. Es ist ja seit der Abschaltung nicht teurer, sondern billiger geworden. Inzwischen ist die Kapazität, die Atomkraftwerke in Deutschland jemals geliefert haben, dreifach durch Erneuerbare wieder drin. Das ist Bullshit, das wird auch im Rest der Welt nicht passieren.

Bei Atomkraftwerken wird ja gerne das Argument der Klimaneutralität bemüht…

Es ist nicht klimaneutral, weil man durch den Bau dieser Kraftwerke und dort verbauten Stahl und Beton enorme CO₂-Belastungen hat, auch der Uranbergbau ist keine klimafreundliche Veranstaltung. Es ist finanziell einfach ein schlechtes Geschäft – wenn ich für einen Euro Investition viermal soviel Strom erneuerbar erzeugen kann wie durch Atomkraft plus Atommüll. Mich wundert immer, dass die Ökos jetzt den angeblich wirtschaftssachverständigen Rechten erklären müssen, wie Marktwirtschaft funktioniert.

Halten Sie es denn für möglich, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird?

Dafür müssen wir die Defizitbereiche aufarbeiten. Wir sind sehr gut unter der Ampel gewesen mit dem Neubau von Kapazitäten für Erneuerbare, das muss so anhalten. Aber wir müssen im Bereich Mobilität und im Bereich Gebäude aufholen. Dass Deutschland 2045 klimaneutral ist, ist die Voraussetzung, dass Europa es 2050 schafft, weil wir so ein großes Land sind.

Wie kann man den Menschen grüne Politik denn tatsächlich schmackhaft machen?

Wir sind der Meinung, dass das Geld aus dem Emissionshandel an die Menschen als Klimageld zurückgegeben werden muss, pro Kopf Emissionen. Wir wollen zudem, dass Strom und Heizkosten sinken durch mehr Erneuerbare und mehr Wärmepumpen. Wir brauchen mehr Fernwärme. Das sind alles Investitionen, die Hunderttausende neuer Arbeitsplätze schaffen. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, diese Entwicklung jetzt durch einen Kurswechsel zu beenden. Das würde dazu führen, dass auch vorhandene Arbeitsplätze gefährdet sind.

Und beim Klimaschutz: Welche Art der Kommunikation braucht es da?

Menschen haben ja die fatale Eigenschaft, sich an Katastrophen zu gewöhnen. Das brauchen wir auch, sonst werden wir verrückt. Deshalb ist Katastrophismus kein guter Ratgeber beim Durchsetzen von Klimapolitik. Er ist wichtig für das Entstehen von Problembewusstsein. Wenn ich aber Maßnahmen durchsetzen will, muss man anders argumentieren: Du hast was davon, wenn du dich an einem Windpark in deiner Kommune beteiligst. Du sparst Geld, wenn du dir eine Wärmepumpe kaufst. Du sparst Geld, wenn du dir Photovoltaik aufs Dach baust.

Das hört sich ja erstmal gut an. Aber steht an vielen Stellen nicht der Lobbyismus im Weg?

Lobbyismus ist normal. In einer kapitalistischen Gesellschaft gibt es Lobbyisten, die haben mehr Geld und damit mehr Macht. Damit muss man als demokratische Politiker umgehen. Man darf aber nicht zulassen, dass demokratische Entscheidungen durch den Lobbydruck nicht umgesetzt werden. Der nervt, aber ich erwarte von jedem demokratisch gewählten Volksvertreter, ihm zu widerstehen. Das Schlimme sind nicht die Lobbyisten, sondern diejenigen, die ihre politische Karriere daran hängen, das Geschäft der Lobbyisten zu besorgen. Wir entscheiden jetzt bei der Bundestagswahl darüber, wie stark die Kräfte der Transformation werden.

Sie haben damals unter Rot-Grün mitregiert, diese Option ist aktuell quasi unmöglich. Was wäre ihre Wunschkoalition für 2025?

Wenn wir im Bereich von Wünschen sind, dann würde ich immer sagen, eine absolute Mehrheit wäre das Schönste. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Deswegen finde ich es gut, dass die Grünen die einzigen sind, die in diesem Wahlkampf nicht so getan haben, als würden sie nach dem 23. Februar allein regieren. Demokratische Parteien müssen koalitionsfähig sein. Wenn sie nicht untereinander kompromissfähig sind, dann kommen Antidemokraten an die Macht. Wer nicht will, dass Deutschland Österreich wird, muss sich eben auf diese Situation einstellen.

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