Am 30. November beginnt die UN-Klimakonferenz COP28, die als wichtigstes Weltklima-Treffen des Jahres gilt: Dann nämlich verhandeln die Länder der Erde mit Zehntausenden von Unterhändler:innen, Regierungsvertreter:innen, NGOs, CEOs und Bürger:innen darüber, welche Klimaschutzmaßnahmen sie ergreifen können, um die menschengemachte Erderhitzung noch unter Kontrolle zu bringen. Gastgeber der diesjährigen Konferenz sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE).
Doch viele Expert:innen blicken der COP verhalten entgegen. Denn obwohl sich die Klimakrise weltweit zuspitzt und 2023 reihenweise Temperaturrekorde gerissen wurden und sich Extremwetterereignisse und Katastrophen ereignet haben, herrscht in der Klimapolitik: Stillstand.
Selbst das 1,5-Grad-Ziel, auf das sich die Länder der Welt 2015 geeinigt haben, könnte 2023 erstmals gerissen werden.
Ob die Ziele des Pariser Klimaabkommens trotz düsterer Prognosen noch zu erreichen sind, was ihn besorgt und warum es sich dennoch zu kämpfen lohnt, darüber hat watson mit Deutschlands renommiertestem Klimaforscher Mojib Latif gesprochen. Er ist Meteorologe und Ozeanograf und forscht seit Jahrzehnten zum Klima.
watson: Herr Latif, Verträge wie das Pariser Klimaabkommen zu haben, ist eine Sache. Sich an die Zielsetzung zu halten, eine gänzlich andere. Wie blicken Sie auf die Welt? Glauben Sie, dass wir noch den Hauch einer Chance haben, zumindest das 2-Grad-Limit einzuhalten?
Mojib Latif: Ja! Das wäre noch möglich, aber die Einhaltung des 2-Grad-Limits ist auch eine Herkulesaufgabe und bedeutet, dass die Welt innerhalb der nächsten 50 Jahre klimaneutral wird.
Glauben Sie, die Welt würde anders handeln, wenn CO2 sichtbar wäre?
Wenn CO2 sichtbar und bräunlich wäre, oder übel riechen würde, hätte die Welt schon längst gehandelt. Davon bin ich überzeugt.
Warum hat das Ganze beim ebenfalls "unsichtbaren" Coronavirus funktioniert?
Bei Corona war die Bedrohung für die Menschen größer, weil sie eingesehen haben, dass sie persönlich betroffen sein könnten. Das ist beim Klimawandel anders. Viele Menschen bei uns glauben fälschlicherweise, dass sie nicht zu den vom Klimawandel Betroffenen zählen werden. Viele sind sogar schon betroffen und merken es gar nicht. Deutschland gibt beispielsweise schon Milliarden für die Begleichung von Klimaschäden und Anpassungsmaßnahmen aus, die wir alle mit unseren Steuern zahlen.
In diesem Jahr haben sich die Krisen geradezu überschlagen. Könnte es sein, dass wir den "Point of no Return" längst erreicht haben – und bestimmte Kippelemente wie ein Domino-Effekt eintreten und nicht mehr rückgängig zu machen sind?
Diese Frage kann niemand beantworten. Die Unsicherheit der Kipppunkte ist sehr groß. Und diese Unsicherheit ist für mich der beste Grund für einen ambitionierten Klimaschutz. Die Menschheit verhält sich wie ein Autofahrer, der im dichten Nebel auf der Autobahn mit Höchstgeschwindigkeit fährt und nicht weiß, ob da gleich ein Stauende kommt. In so einem Fall heißt die Devise: runter vom Gas. Das gilt auch für den Klimawandel: runter mit den Treibhausgasen!
Wie blicken Sie vor diesem Hintergrund auf die Letzte Generation?
Ich glaube, die Aktionen der Gruppe Letzte Generation sind kontraproduktiv. Die Letzte Generation bringt die Bevölkerung gegen sich auf und es besteht die Gefahr, dass Klimaschutz zu einem Reizwort wird. Außerdem wird in der Öffentlichkeit nur noch über die Form des Protestes diskutiert, aber nicht über die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen.
Und wie steht es um Sie persönlich – welche Entwicklungen bereiten Ihnen Sorgen?
Was mir Sorge bereitet, ist die Untätigkeit der Weltpolitik. Um das Klimaproblem zu lösen, bedarf es einer internationalen Zusammenarbeit. Was wir im Moment sehen, ist das genaue Gegenteil. Nationale Interessen stehen immer mehr im Vordergrund. Und außerdem kommen immer mehr Autokraten an die Macht, für die die Umwelt keinen Stellenwert hat.
Viele, vor allem junge Menschen haben mitunter aus diesen Gründen mit Klimaangst zu kämpfen. Können Sie das nachvollziehen?
Ich kann das nachvollziehen, ja. Aber Angst ist ein schlechter Ratgeber. Man muss immer nach vorne blicken und versuchen, die Dinge zum Besseren zu wenden.
Was würden Sie den jungen Menschen also raten?
Nichts tun oder Trübsal blasen ist keine Option. Jeder und jede sollte das tun, was er oder sie tun kann. Auch, wenn man die Welt als Einzelperson nicht retten kann, wir alle teilen die Verantwortung für den Planeten. Meine Hoffnung ist, dass wir einen sozialen Kipppunkt erreichen. Wenn genügend Menschen sich einmischen und etwas tun, dann kann das unmöglich Erscheinende passieren.