Wer an die Klimakrise denkt, denkt meist an schmelzende Gletscher, steigende Meeresspiegel, untergehende Inseln, Hitze und Dürre. All das erscheint weit, weit weg von uns in Deutschland.
Aber dem ist nicht so.
Die Klimakrise findet auch bei uns statt – und zwar schon jetzt. Und ihre Folgen intensivieren sich mit jedem Tag, jeder Woche, jedem Monat und jedem Jahr, in dem die Emissionen nicht gravierend gesenkt werden. Der fehlende Nachdruck beim Zurückfahren fossiler Brennstoffe wirkt sich zunehmend auf die Gesundheit und das Überleben von Menschen weltweit aus.
Zu dieser Erkenntnis kommt der neueste Lancet Countdown-Bericht on Health and Climate Change 2023, in dem 114 Autor:innen seit der Veröffentlichung des letzten Berichts 2022 kaum Fortschritte beim Handeln gegen die weltweite Klimakrise verzeichnen konnten.
Mit gravierenden Folgen: Es geht für immer mehr Menschen um Leben und Tod, gesund oder chronisch krank.
Denn der an diesem Mittwoch veröffentlichte Bericht verdeutlicht, dass die Klimakrise nicht nur die natürlichen Ökosysteme schädigt, sondern auch tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden hat. Und zwar auf Menschen weltweit, auch bei uns in Deutschland.
Der Ausblick, den die Forschenden zeichnen, ist düster: Sollte sich die Welt bis zum Jahr 2100 um 2,7 Grad erhitzen, wonach es derzeit aussieht, steht das Leben der heutigen und zukünftigen Generationen auf dem Spiel.
Marina Romanello, geschäftsführende Direktorin des Lancet Countdown am University College London, warnt mit Blick auf den neuen Bericht:
Daher drängen die Forschenden darauf, dringend gesundheitsorientierte Klimaschutzmaßnahmen einzuführen, aus den fossilen Energien auszusteigen und gleichzeitig "transformative Möglichkeiten" zur Verbesserung der Gesundheit der Weltbevölkerung zu schaffen: Durch saubere Luft und sauberes Trinkwasser, gesündere Ernährung und sichere und lebenswertere Städte.
Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 hat sich die globale Temperatur im Durchschnitt um 1,1 Grad erhöht – mit starken regionalen Unterschieden. Deutschland hat sich mit einem Temperaturanstieg um knapp zwei Grad stärker erhitzt, als der weltweite Durchschnitt. Dementsprechend hoch sind auch die gesundheitlichen Risiken, die uns durch die Erderhitzung drohen.
Als größtes Risiko haben die Autor:innen in Deutschland unter anderem hohe Temperaturen und eine steigende Anzahl an Hitzetagen ausgemacht. Sie bedrohen das Leben, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen. Dem Bericht zufolge lagen die durchschnittlichen Sommertemperaturen in Deutschland von 2018 bis 2022 um 1,8 Grad über dem Durchschnitt der Jahre 1986 bis 2005. Die Anzahl der Tage, an denen über 65-Jährige im Zeitraum 2013 bis 2022 Hitzewellen erlebten, war zudem 2,3-mal höher als im Vergleichszeitraum von 1986 bis 2005.
Dazu kommt: Von 2013 bis 2022 waren Kleinkinder und Erwachsene über 65 Jahren durchschnittlich 7,9 lebensbedrohlichen Hitzetagen pro Jahr ausgesetzt. Sie werden hier explizit genannt, weil sie stärker gefährdet sind als andere Altersgruppen.
Die zunehmende Hitze wirkt sich nicht nur auf die Gesundheit, sondern auch auf die Wirtschaft aus, denn Hitze schränkt die Produktivität ein: 34 Millionen potenzielle Arbeitsstunden sind allein in Deutschland aufgrund von Hitzeexposition im Jahr 2022 verloren gegangen, am stärksten davon betroffen waren Bauarbeiter:innen.
Neben zunehmender Hitze zählt auch Luftverschmutzung in Deutschland zu den größten Gesundheitsfaktoren durch die Erderhitzung. Durch den weiteren Einsatz fossiler Brennstoffe steigt das Risiko von Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenkrebs, neurologischen Störungen, Fehlentwicklungen bei der Schwangerschaft und Diabetes bis hin zu einer erhöhten Sterblichkeitsrate.
Allein im Jahr 2020 waren über 55.000 Todesfälle auf Feinstaub zurückzuführen, wie die Forschenden skizzieren. Die Lösung, um solche Todesfälle in Zukunft zu verhindern, ist einfach: Bereits die Umstellung der Energiesysteme von fossilen auf erneuerbare Energien käme der menschlichen Gesundheit zugute. Denn sie könnte die Luftverschmutzung verringern und zudem die Treibhausgasemissionen mindern.
In ihrem Bericht thematisierten die Forschenden auch die Ernährung. Eine pflanzenbasierte, gesündere Ernährung würde demnach nicht nur der Gesundheit des Planeten zugutekommen, sondern auch der persönlichen.
So wurden allein im Jahr 2020 über 87.000 Todesfälle mit dem übermäßigen Verzehr von Milchprodukten, rotem und verarbeitetem Fleisch in Verbindung gebracht.
Und auch für den Planeten selbst ist der übermäßige Verzehr von Fleisch- und Milchprodukten schlecht: So wurde über ein Drittel der landwirtschaftlichen Emissionen Deutschlands (36 Prozent) durch die Produktion von Fleisch- und Milchprodukten verursacht.
Weitere 132.000 Todesfälle konnten demnach auf den unzureichenden Verzehr von nahrhaften pflanzlichen Lebensmitteln zurückgeführt werden. Darunter fallen etwa Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Nüsse und Samen.
Die Ergebnisse des neuen Berichts machen (erneut) deutlich: Die Welt muss ins Handeln kommen und endlich den Ausstieg aus den fossilen Energien bewerkstelligen.
"Unser Leben in Deutschland wird sich verändern", betont auch Claudia Traidl-Hoffmann gegenüber watson. Sie ist Direktorin für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg und weiß um die Folgen der Klimakrise auf die Gesundheit. Sie ergänzt:
Die Ergebnisse der IPCC-Berichte des Weltklimarates sowie des Lancet würden deutlich machen, dass das Zeitfenster von Jahr zu Jahr schrumpfe.
"Im Moment ist nicht mehr die Frage, wo wir zuerst anpacken sollten: im persönlichen oder im politischen Bereich, lokal oder global gedacht – wir müssen überall wirksame Veränderungen vornehmen."
Traidl-Hoffmann ist sich dem Ausmaß der Veränderungen bewusst. Gegenüber watson betont sie aber, sich vor Augen zu halten, dass all diese Änderungen nun binnen kürzester Zeit passieren müssten, "um gute Aspekte unserer jetzigen Lebensweise erhalten zu können, unter anderem unsere Gesundheit". Sie ergänzt: