Nachhaltigkeit
Interview

Ozeane: Expertin warnt vor Veränderungen der Meere durch den Menschen

MALDIVES, INDIAN OCEAN - APRIL 2017: Overview of a coral reef full of life with a couple of anemonefish (Amphiprion clarkii) and various reef fish on April 14, 2017, Maldives, Indian Ocean. As here, w ...
Die Ozeane sind durch uns Menschen einer immer größeren Belastung ausgesetzt. Das bringt das Ökosystem gefährlich aus dem Gleichgewicht.Bild: Getty Images Europe / Alexis Rosenfeld
Interview

Ozeane: Vom CO₂-Speicher zum Klimatreiber – die Rolle der Meere im Klimasystem

28.02.2023, 08:24
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71 Prozent unserer Erdoberfläche werden von den Ozeanen bedeckt. Eine dementsprechend wichtige Rolle spielen sie auch in unserem Klimasystem. Allerdings sind die marinen Ökosysteme immer stärkeren Belastungen ausgesetzt. Der Grund dafür: wir Menschen und unser Ausstoß großer Mengen Kohlendioxids (CO₂).

Dr. Judith Hauck forscht am Alfred-Wegener-Institut zum Ozean als Kohlendioxidspeicher.
Dr. Judith Hauck forscht am Alfred-Wegener-Institut zum Ozean als Kohlendioxidspeicher.bild: alfred-wegener-institut

Doch was passiert, wenn das Ökosystem Meer aus dem Gleichgewicht gerät? Und vor allem: Können wir die Ozeane noch retten? Darüber hat watson mit der Wissenschaftlerin Judith Hauck gesprochen.

Sie ist stellvertretende Sektionsleiterin Marine Biogeochemie am Alfred-Wegener-Institut (AWI) und Leiterin der Nachwuchsgruppe "Mariner CO₂-Kreislauf und ökologische Rückkopplungsprozesse im Erdsystem".

"Das Risiko und das Ausmaß der negativen Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme steigt aber deutlich mit zunehmender Erwärmung."

watson: Die Ozeane sind das Lebenserhaltungssystem unseres Planeten – sie schlucken CO₂, produzieren Sauerstoff für die Unterwasserwelt und regulieren das Klima. Trotz dieses Wissens lassen wir die Ozeane versauern und zerstören das Ökosystem weiter. Sind die Meere noch zu retten?

Judith Hauck: Es liegt in unserer Hand, die Meere zu retten. Der IPCC-Bericht über die Ozeane und die Kryosphäre (Anmerkung d. Red.: alle Formen von Eis und Schnee im Klimasystem der Erde) zeigt deutlich auf, dass die meisten Ökosysteme im Ozean bei einer Erwärmung von 1,5 Grad relativ zu prä-industriellen Zeiten einem moderaten Risiko ausgesetzt sind – mit Ausnahme der Warmwasser-Korallen.

Inwiefern?

Die leiden schon heute stark unter den Klimaveränderungen und erfahren auch bei einer Erwärmung von 1,5 Grad schon bedeutende Ausbreitungsverluste und können lokal sogar aussterben. Das Risiko und das Ausmaß der negativen Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme steigt aber deutlich mit zunehmender Erwärmung. Deshalb ist es so wichtig, unsere CO₂-Emissionen schnell und drastisch zu reduzieren. Das reduziert dann gleichzeitig auch die Ozeanversauerung und den Verlust des Sauerstoffs.

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Wie genau verändern wir die Ozeane denn?

Wie Sie schon erwähnt haben, gibt es verschiedene Prozesse, durch die wir in das System Ozean eingreifen. Das erste sind die CO₂-Emissionen, die der Ozean aufnimmt und die dazu führen, dass er saurer wird. Er ist natürlich noch nicht sauer, sondern basisch – aber der pH-Wert verringert sich und bewegt sich in die saure Richtung. Das ist aber ein Prozess, den wir stoppen können, wenn wir unsere CO₂-Emissionen drosseln. Und das sollten wir auch so schnell wie möglich und so stark wie möglich tun.

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Durch den Ausstoß von CO₂-Emissionen und den Eintrag von Plastik und Nährstoffen in die Meere versauern diese.Bild: AFP / LUIS ACOSTA

Lässt sich diese Versauerung denn wieder rückgängig machen?

Die Versauerung an der Oberfläche lässt sich eventuell durch CO₂-Entnahmemethoden teilweise rückgängig machen. Aber die Versauerung im tiefen Ozean, die bis jetzt stattgefunden hat, ist auf einer Zeitskala von mehreren 100 bis 1000 Jahren unumkehrbar. Die bleibt. Bis jetzt hat sie aber noch keine allumfassende Zerstörung im Ozean angerichtet – wobei die Folgen natürlich trotzdem schon spürbar sind. Wie zum Beispiel bei den Korallenriffen und bei Krebszuchten an der Westküste der USA, wo die Jungtiere nicht gut mit den sauren Bedingungen klarkommen.

"Ohne die Ozeane wäre der Klimawandel also schon sehr, sehr, sehr viel stärker fortgeschritten, als wir es heute erleben."

Sie hatten noch von einem weiteren Prozess gesprochen, der dazu beiträgt, die Ozeane zu verändern.

Das Zweite, wodurch wir den Ozean verändern, ist die Erwärmung. Der Ozean nimmt 90 Prozent der anthropogenen Wärme auf, nur zwei Prozent bleiben in der Atmosphäre. Das heißt: Die Erwärmung, die wir spüren, geht auf lediglich zwei Prozent der erzeugten zusätzlichen Wärme im gesamten Erdsystem zurück. Ohne die Ozeane wäre der Klimawandel also schon sehr, sehr, sehr viel stärker fortgeschritten, als wir es heute erleben. Die restliche Wärme geht zu fünf Prozent ins Land und zu drei Prozent in die Kryosphäre, also das Eis. Im Ozean führt das zu einer Erwärmung und dadurch auch zu Veränderungen in der Zirkulation und wie die Wassersäule geschichtet ist.

Woran kann man das etwa ausmachen?

Zum Beispiel kommen Nährstoffe aus den Tiefen des Ozeans schwieriger an die Oberfläche, wenn das Wasser durch die Wärme eine stärkere Schichtung hat. Und es kommt durch die Erwärmung vermehrt zu Hitzewellen in den Ozeanen und durchaus größere Effekte auf das Ökosystem haben. Ein weiteres Thema ist außerdem die Fischerei, die ebenfalls zu Störungen im Ökosystem führt.

Weil die Ozeane so viel CO₂ schlucken, gelten sie auch als CO₂-Senke. Allerdings haben Forschende herausgefunden, dass dieser Prozess irgendwann zum Stagnieren kommt. Werden die Meere durch die Klimakrise also zum CO₂-Treiber?

Die CO₂-Aufnahme des Meeres ist hauptsächlich davon abhängig, wie der Gradient (Anmerkung d. Red.: Verlauf der Änderung, also ein Gefälle oder Anstieg) zwischen dem CO₂ in der Atmosphäre und dem Ozean ist. Das heißt: Solange das CO₂ in der Atmosphäre weiter exponentiell steigt, wie es das im Moment tut, und der CO₂-Gehalt in der Atmosphäre höher ist als der CO₂-Gehalt an der Meeresoberfläche, muss der Ozean CO₂ aufnehmen. Wenn wir hoffentlich irgendwann an den Punkt kommen, dass das atmosphärische CO₂ langsamer steigt und vielleicht sogar sinkt, dann können wir uns nicht mehr darauf verlassen, dass der Ozean weiter CO₂ aufnimmt.

Womit hängt es zusammen, dass der Ozean dann sogar CO₂ abgibt?

Der Ozean gibt CO₂ ab, um wieder ein chemisches Gleichgewicht mit der Atmosphäre herzustellen. Wenn der CO₂-Gehalt im Oberflächenwasser höher ist als in der Atmosphäre, dreht sich die Richtung des Gasaustausches um, und CO₂ wird abgegeben. Die CO₂-Aufnahmefähigkeit des Ozeans wird außerdem durch Erwärmung und Versauerung reduziert, aber diese Prozesse spielen eine vergleichsweise kleine Rolle im Vergleich zu dem chemischen Gleichgewicht zwischen Ozean und Atmosphäre.

Ab einer Erwärmung der Ozeane um zwei Grad könnten laut dem Sonderbericht des Weltklimarats fast alle Warmwasser-Korallen verschwinden, auch Muscheln, Schnecken und andere kalkhaltige Skelettstrukturen stehen vor einem Problem. Warum sind etwa Korallen so wichtig für das Ökosystem – und damit auch für uns Menschen?

Das ist hauptsächlich eine Diversitätsfrage. Die Korallenriffe sind die Kinderstuben der Meere, die sind einfach sehr artenreich. Tja, und wenn die wegfallen, dann werden die Meere an Artenvielfalt verarmen. Und was dann genau passiert, ist gar nicht so einfach vorherzusagen. Man muss sich das vorstellen wie einen Turm, den man aus Spielkarten gebaut hat. Und jede dieser Karten stellt eine Art dar, das Ganze funktioniert nur als System, das komplett aufeinander eingespielt ist. Und wenn wir jetzt immer einzelne Karten aus diesem Turm herausziehen, also einzelne Arten aussterben, dann wird der Turm irgendwann in sich zusammenfallen.

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Die Senkung der Emissionen, etwa durch die Erneuerbaren Energien, trägt wesentlich zum Schutz der Meere bei.Bild: Getty Images Europe / Christopher Furlong

Gibt es denn noch etwas, das wir zum Schutz der Meere tun können, außer die CO₂-Emissionen möglichst schnell zu senken?

Das ist das Wichtigste. Und dann können wir natürlich bestimmte Gebiete als geschützt ausweisen. Außerdem gibt es Verhandlungen über Schutzmaßnahmen und nachhaltige Nutzung auf hoher See, weil diese Gewässer in keine nationale Zuständigkeit fallen. Da zu einer Einigkeit zu kommen, ist super wichtig, weil ein solches Abkommen die Diversität der Ökosysteme und damit die Lebewesen in den internationalen Gewässern schützt.

Wie blicken Sie auf die Zukunft der Ozeane?

Die Ozeane werden uns weiterhin einen riesigen Service erweisen, indem sie CO₂ und Wärme schlucken. Aber dadurch verändern wir das Leben im Meer, das tun wir schon heute – durch jede Autofahrt und jeden Flug tragen wir dazu bei, dass sich die Ozeane verändern. Daher müssen wir in allen Bereichen unseres täglichen Lebens Emissionen und andere negative Einflüsse auf das Meer reduzieren.

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