Nachhaltigkeit
Interview

"Überheblich und apokalyptisch": Warum Clemens Fridays for Future verlassen hat

Berlin, Fridays for Future Demo Deutschland, Berlin - 25.09.2020: Im Bild ist ein Schild mit der Aufschrift Don t burn our future zu sehen. Berlin Berlin Deutschland *** Berlin, Fridays for Future Dem ...
Die radikalen Forderungen von Fridays for Future verschrecken viele Menschen, kritisiert Clemens Traub.Bild: www.imago-images.de / Christian Spicker
Interview

"Überheblich und apokalyptisch": Warum Clemens Fridays for Future verlassen hat

12.10.2020, 11:0213.10.2020, 11:18
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Über Instagram und Facebook wird Clemens Traub wie viele andere Jugendliche und junge Erwachsene auf die Demonstrationen der Klimaaktivisten von Fridays for Future aufmerksam – und geht eine Weile mit ihnen voller Überzeugung mit auf die Straße. Doch mittlerweile hat sich der 23-jährige Student aus Mainz von der Bewegung abgewendet. Im Interview mit watson erklärt er, wie es zu dem Sinneswandel kam, warum die Klimabewegung seiner Meinung nach Menschen auf dem Land nicht abholt und warum er Lokalpolitik radikalen Forderungen vorzieht.

watson: Du wirfst Fridays for Future Überheblichkeit und Panikmache vor. Warum? Was stört dich?

Clemens Traub: Ich komme aus einem kleinen pfälzischen Dorf und habe gemerkt, dass die riesige Begeisterung, die ich in meiner Uni-Stadt für Fridays for Future gespürt habe, dort überhaupt nicht geteilt wurde. Da prallten zwei Welten aufeinander, die nichts miteinander zu tun haben. Häufig kam der Vorwurf, dass FFF als überheblich, elitär und zu akademisch sowie großstädtisch empfunden wird. Das hat damit zu tun, dass FFF oft mit erhobenem Zeigefinger auf andere zeigt und die Welt einteilt in Klimasünder und Klimahelden. Davon fühlen sich viele vor den Kopf gestoßen. Ich bin dafür, dass die Klimabewegung noch stärker wird und will kein FFF-Bashing betreiben. Aber ich glaube, dass das Auftreten selbst bei Leuten, die eigentlich gar nichts gegen Klimaschutz haben, Frustration auslöst.

Dabei hast du ja eine Weile selbst mit Fridays for Future demonstriert. Wie kam der Sinneswandel?

Da gab es zwei konkrete Vorfälle: In der Mensa gab es einmal einen Streit über Plastikbesteck zwischen einer Kassiererin und FFF-Anhängern, der völlig eskaliert ist und bei dem jede Menschlichkeit verloren ging. Das fand ich typisch dafür, wie fanatisch viele meiner Freunde geworden sind. Der andere Punkt war ein Gespräch über ein Kohlekraftwerk in der Lausitz, das stillgelegt werden sollte. Bei der Diskussion wurde aber keinerlei Mitgefühl gezeigt für die Menschen, die deshalb ihren Arbeitsplatz verlieren. Fridays for Future verliert vor lauter Liebe für die Erde die Menschen aus den Augen. So kann man keinen Klimaschutz gestalten. Das ist auch meine Forderung: dass die ganze Gesellschaft mitgedacht wird.

Im Sommer wurde darüber diskutiert, dass Fridays for Future zu weiß und elitär sei. Inzwischen kommen auf den Demos aber die Perspektiven der Menschen aus dem globalen Süden zur Sprache und es wird viel darüber gesprochen, dass Klimagerechtigkeit nur Hand in Hand mit sozialer Gerechtigkeit gehen kann. Hat sich Fridays for Future da inzwischen nicht weiterentwickelt?

Viele Aktivisten wissen, dass der Gerechtigkeitsgedanke sehr wichtig ist, um als Bewegung akzeptiert zu werden. Aber das ist ein sehr abstrakter Gerechtigkeitsgedanke, es fehlt das bodenständige Denken an die Menschen in ihrem ganz normalen Alltag. Ich habe oft das Gefühl, FFF kann sich nicht in Leute hineinversetzen, für die ein Auto keine Klimasünde ist, sondern notwendig, um irgendwie den Alltag zu meistern. Oder denen Klimaschutz nicht so viel bedeutet, weil sie am Ende des Monats nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen.

Clemens Traub, 23, ist in einem pfälzischen Dorf aufgewachsen und studiert mittlerweile Politik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er ist SPD-Mitglied und Autor des Buchs "Future for Fridays ...
Clemens Traub, 23, ist in einem pfälzischen Dorf aufgewachsen und studiert mittlerweile Politik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er ist SPD-Mitglied und Autor des Buchs "Future for Fridays? Streitschrift eines jungen Fridays for Future Kritikers".bild: privat

Wie können denn diese Menschen für das Thema Klimaschutz begeistert werden?

Ich plädiere dafür, dass FFF ganz stark aus der eigenen Komfortzone herauskommt. Man ist vor allem dort unterwegs, wo man weiß, dass man Applaus bekommt, an der Uni oder auf dem Klimaabend. Da fordere ich, dass sie auch mal rausgehen, zum Beispiel in einen Handwerksbetrieb, wo die Leute vielleicht kritisch der Bewegung gegenüber sind. Wenn man mit solchen Leuten spricht, wäre das ein Zeichen, dass man sie auch mehr schätzt.

Du sagst, dass insbesondere Jugendliche auf dem Land nicht von FFF abgeholt werden, weil dort beispielsweise ein Auto unumgänglich ist. Wie sieht ein Klimaschutz auf dem Land aus, der besser in die Lebensrealität der Menschen dort passt?

Wir brauchen eine Verkehrswende. In jedem Dorf sollte im Zwei-Stunden-Takt ein Bus oder Zug fahren, damit die Leute gar nicht erst auf ihr Auto angewiesen sind. Das Problem ist, dass FFF so radikale Forderungen bringt, wie dass es keine Dieselmotoren mehr geben darf. Wie soll das umgesetzt werden, wie sollen die Leute vorankommen, wenn es noch keine Alternativen gibt? Wir sollten den Klimaschutz nicht an der Lebenswirklichkeit vorbeidenken.

Muss eine aktivistische Bewegung nicht radikale Forderungen stellen, damit die Politik wenigstens einen Teil davon umsetzt?

Ja, grundsätzlich ist es eine notwendige Taktik, besonders hoch zu pokern. Aber viele Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, haben das Gefühl, dass privilegierte Leute unfassbar viel in Gang setzen und ihre Forderungen stellen können. Wenn dann Luisa Neubauer ins Kanzleramt eingeladen wird und immer radikalere Forderungen stellt, fragt man sich: Wann bekommt sie endlich mal genug? Wann bekomme ich meinen Teil vom Kuchen? Das führt zu Konkurrenzdenken in der Gesellschaft, das ist sehr gefährlich.

"Die Klimaschutzbewegung muss dort hingehen, wo es unbequem ist."

Was muss sich ändern, damit Sozial- und Klimapolitik nicht gegeneinander ausgespielt werden?

Die Klimaschutzbewegung muss dort hingehen, wo es unbequem ist, wo man auch mal Kritikpunkte entgegengefeuert bekommt. Außerdem ist wichtig, dass man Leute innerhalb der Bewegung fördert, die einen Lebenslauf haben, der nicht ins Klischeebild passt: jemand aus einer Arbeiterfamilie, der vom Land kommt, der vielleicht eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker macht. Ich glaube, dass so jemand ganz anders bei den Leuten ankommt. Außerdem will Fridays for Future immer die ganz große Politik machen. Aber die echte Politik findet eben in den Kommunen, Dörfern und Städten statt. Die Aktivisten sollten mehr in Parteien und Gemeinderäte gehen und sehen, dass Politik immer auf einem Kompromissgedanken basiert und die Interessen von ganz vielen Leuten mitgedacht werden müssen.

Dann müsstest du es ja eigentlich gut finden, dass mehrere FFF-Aktivisten in die Politik gehen wollen.

Ich finde es grundsätzlich gut, wenn sie in der Breite in die Politik gehen. Was mich stört ist, dass es heute ein, zwei Aushängeschilder gibt – beispielsweise Luisa Neubauer – die sehr radikal und resolut und selbstbewusst auftreten. Dabei kenne ich viele Leute, die sich lokal engagieren, die vielleicht noch nie in der Öffentlichkeit standen, die aber vernünftige und pragmatische Politik machen. Solche Menschen können vor Ort Menschen überzeugen, dass man Klimaschutzpolitik machen kann, die nicht an der Lebensrealität der Menschen vorbeigeht.

Inzwischen ist überall angekommen, dass es gerade die Gutverdiener sind, die das Klima belasten und nicht die Hartz-IV-Empfänger – das wird ja auch in der Klimaschutzbewegung diskutiert. Ist es nicht gut, wenn Kinder aus gutem Hause sich kritisch mit ihrem Verhalten auseinandersetzen?

Das ist richtig, dass gerade die, denen es gut geht, einen großen ökologischen Fußabdruck haben. Aber Verbote, die diesen verringern sollen, wie die CO2-Steuer, trifft überproportional Menschen mit niedrigerem Einkommen, und die Pendlerpauschale kommt vor allem Besserverdienern zugute. Da fühlen sich viele bevormundet. Verbote bringen nichts.

"Wir sollten uns von dem moralischen Schuldvorwurf befreien."

Können wir das Klima wirklich noch retten, wenn wir weiter unreflektiert Einwegplastik benutzen und mit dem Billigflieger übers Wochenende nach London fliegen?

Wir sollten uns von dem moralischen Schuldvorwurf befreien und aufhören, unseren Nachbarn anzuschuldigen, weil er einen Flug nach Spanien gebucht hat. Diese Debatte führt zu nichts, außer, dass wir uns gegenseitig mit Giftpfeilen beschießen. FFF denkt so sehr apokalyptisch, dass das Bewusstsein für innovative Diskussionen fehlt. Aber ich bin überzeugt, dass wir es durch Green Economy und Klimatechnologie in 20 Jahren schaffen, von den Produktionsabläufen her nachhaltiger zu werden. Wenn man den Planeten retten will, braucht es kein Verbot von Kurzstreckenflügen, sondern man muss kluge grüne Wirtschaft fördern. Gerade in der Automobilwirtschaft bangen viele Menschen um ihren Job.

Oft braucht die Wirtschaft ja aber einen Anstoß aus der Politik. Wenn Dieselmotoren verboten werden, haben die Autohersteller mehr Anreize, nachhaltige Motoren zu entwickeln.

Da müssen wir mehr in Bildung investieren und die Klimapolitik mehr im Bildungssektor verankern, den Austausch zwischen Universitäten und Klimatechnologien verstärken. Fridays for Future hat eine sehr industriefeindliche Richtung und will in einer postindustriellen Gesellschaft leben. So denken aber nur Menschen, die nicht in der Industrie arbeiten.

Warum hast du dich dazu entschlossen, FFF den Rücken zu kehren, anstatt innerhalb der Bewegung etwas zu verändern?

Weil ich irgendwann zu pessimistisch war, dass ich da etwas anstoßen kann. Ich habe Kritik geäußert aber gemerkt, dass das nur Kopfschütteln ausgelöst hat, leider hat sich kaum etwas bewegt. Als ich dann öffentlich Kritik geäußert habe, konnte ich das Gespräch mit Leuten beginnen, die ähnlich dachten und hatte das Gefühl, dass dadurch viel mehr entstehen kann.

Ist das Thema FFF für dich durch oder könntest du dir vorstellen, wieder gemeinsam mit ihnen zu demonstrieren?

Ich stehe hinter einer starken Klimabewegung, die nicht elitär abgehoben ist und bei denen Teilnehmer der Hochschulgruppe mit dem KfZ-Mechaniker demonstriert. Wäre FFF weniger radikal und mehr bodenständig sowie würde versuchen, alle Leute in der Gesellschaft hinter sich zu versammeln, wäre ich der erste, der wieder auf der Straße wäre.

(ftk)

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