Nachhaltigkeit
Interview

Corona-Krise: Umwelt-Ökonomin warnt vor demselben Fehler wie bei Finanzkrise 2008

07.04.20, Essen, Nordrhein-Westfalen, Deutschland. . Zum Schutz vor Ansteckung mit dem Corona Virus hat das Land NRW verschaerfte Sicherheitsmassnahmen zur Ausbreitung des Virus verhaengt. Es gilt ein ...
Nicht nur hier in Essen sind die Straßen derzeit ungewöhnlich leer. Bild: www.imago-images.de / Ralph Lueger
Interview

Expertin warnt vor selbem Fehler wie 2008 und fordert: Lufthansa-Hilfe nur unter Bedingung

Umweltökonomin Claudia Kemfert fordert, Finanzhilfen für Fluggesellschaften an Bedingungen zu koppeln. Sonst drohe eine Wiederholung der Fehler aus der Finanzkrise 2008, als Rettungsgelder wahllos ausgeschüttet worden seien, ohne auf Klimaverträglichkeit zu achten. Für die Zeit nach Corona möchte sie einen nachhaltigen Wiederaufbau der Wirtschaft.
19.04.2020, 08:3719.04.2020, 13:16
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Die ganze Welt befindet sich dank Corona-Pandemie im künstlichen Koma. Flugzeuge bleiben am Boden und die Wirtschaft ist in großen Teilen zum Erliegen gekommen. Einen Vorteil hat die aktuelle Situation jedoch: Die CO2-Bilanz profitiert. Experten rechnen mit bis zu 100 Millionen Tonnen weniger Kohlendioxid, alleine für Deutschland. Aber wird die Krise auch nachhaltig für ein Umdenken in Sachen Klimaschutz sorgen?

Claudia Kemfert beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit der Frage, wie man Umweltschutz und Wirtschaftswachstum kombinieren kann. Sie berät unter anderem auch die Bundesregierung zu Umweltthemen. Watson wollte wissen, was wir aus der Corona-Krise lernen können für einen nachhaltigeren Umgang mit unserer Umwelt.

"Ich bin sicher, dass in Zukunft viele Unternehmen und Führungskräfte anders gewichten, ob eine langwierige, teure und klimaschädliche Flugreise wirklich nötig ist."

watson: Ihr aktuelles Buch trägt den Titel: "Mondays for Future. Freitag demonstrieren, am Wochenende diskutieren und ab Montag anpacken und umsetzen." Wie könnte das am ersten Montag nach der Corona-Pandemie aussehen?

Claudia Kemfert: Montag nach der Corona-Krise – das meint den Punkt, an dem wir mit dem Wiederaufbau beginnen. Das wird kein konkreter Tag sein. Die Verhandlungen laufen jetzt schon. Deswegen müssen wir ab sofort bei allen Rettungs- und Fördermaßnahmen, aber auch bei allen privaten Investitionen darauf achten, dass sie nachhaltig umweltverträglich sowie sozial und generationengerecht sind. Das liegt nicht nur in der Verantwortung der Politik, sondern auch in der Hand von Unternehmen, Zivilgesellschaft und jedem einzelnen Menschen. Egal ob im Verein, Unternehmen oder auf politischer Ebene – wir brauchen ein breites Engagement für eine generationengerechte Klimazukunft. Da liegt eine Menge Arbeit vor uns.

Der wirtschaftliche Stillstand durch das Coronavirus ist aktuell für den CO2-Ausstoß recht vorteilhaft. Flugzeuge bleiben am Boden und Autos in den Garagen. Wäre das ein Zukunftsmodell?

Der jetzige Shutdown senkt die Emissionen. Das ist für die Umwelt eine Entlastung. Aber natürlich ist das keine Situation, über die wir uns freuen können. Dieser Shutdown wurde mit sehr viel Leid erkauft, der Preis dafür ist viel zu hoch! Es wäre zynisch, das als dauerhaften Zustand anzustreben. Wünschenswert und möglich ist eine nachhaltige Wirtschaft, die sich endlich von fossilen Energien verabschiedet und Umwelt- und Klimaschutz genau wie Gesundheit dauerhaft als Wert erkennt.

Gibt es Verhaltensweisen, die wir aus der aktuellen Krise lernen können?

Ja, es gibt Lerneffekte. Wir lernen, wie sehr es in der Krise auf eine starke Demokratie ankommt und wie stark die Menschen Solidarität beweisen. Im Arbeitsalltag im Homeoffice merken viele, wie gut Besprechungen per Videokonferenzen funktionieren. Ich bin sicher, dass in Zukunft viele Unternehmen und Führungskräfte anders gewichten, wie wichtig ein persönliches Treffen ist und ob dafür eine langwierige, teure und klimaschädliche Flugreise wirklich nötig ist. Wir erleben im Crashkurs digitale Techniken, die uns in vielfältiger Form in einer dekarbonisierten, demokratischen und dezentralen Wirtschaftswelt zugutekommen werden.

"Durch unseren Konsum allein können wir das Klima nicht retten."

Wie ist das beispielsweise mit dem Weg zur Arbeit?

Aufgrund der Pandemie nutzen weniger Menschen den öffentlichen Nahverkehr, manche steigen aufs Auto um. Wir beobachten aber auch, dass der Autoverkehr sich reduziert. Sehr viele Menschen legen aktuell kurze Strecken unter 20 Kilometer mit dem Fahrrad zurück. Das dürfte daran liegen, dass auf den Straßen mehr Platz ist und sie sich sicherer fühlen. So schonen sie den privaten Geldbeutel, schonen die Umwelt und tun etwas für die eigene Fitness, aber auch für die Gesundheit aller andern, indem sich die Schadstoffbelastung reduziert. Daraus können wir lernen: Radwege ausbauen und den ÖPNV in Preis, Taktung und im individuellen Komfort stärken.

Außerdem kann man aktuell keinen Urlaub machen oder zumindest nicht dafür verreisen. Lernen wir vielleicht unsere Umgebung als Urlaubsort mehr zu schätzen?

Durchaus. Die Umgebung bietet interessante Urlaubsorte. Man muss nicht in ferne Länder jetten. Trotzdem wird es weiterhin auch Passagierflüge geben. Dafür gibt es längst umweltfreundliche Kraftstoffe. Die Technologien sind seit 20 Jahren bekannt. Sie müssen jetzt nur endlich eingesetzt werden. Fliegen war und ist immer noch trügerisch billig. Die verursachten Klimaschäden müssen eingepreist werden, statt sie auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Da muss dringend mehr Kostenehrlichkeit her!

Wer trägt Ihrer Meinung nach die Verantwortung für einen besseren Umweltschutz: Verbraucher, Politiker oder Unternehmen?

Alle. Wir alle müssen unser Konsumverhalten überdenken. Beim Shopping ist es beispielsweise sehr gut möglich, auf Wegwerfverpackungen zu verzichten und selbst bei To-Go-Artikeln nachhaltigere Lösungen anzubieten. Doch durch unseren Konsum allein können wir das Klima nicht retten. Wir müssen alle alltagspolitisch denken: Jeder und jede kann im direkten Umfeld Einfluss nehmen und versuchen, in der Firma, im Verein oder im Bekanntenkreis mehr Klima- und Umweltschutz durchzusetzen. Und natürlich muss die Politik zusätzlich noch die Rahmenbedingungen ändern. Wenn alle drei Ebenen – Verbraucher, Politik oder Unternehmen – aktiv werden, entsteht die breite Aktionswelle, die wir jetzt brauchen.

13.02.2020, Berlin, Deutschland - Foto: Prof. Dr. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut fuer Wirtschaftsforschung, DIW. *** 13 02 2020, Berlin, Germ ...
Umweltökonomin Claudia Kemfert engagiert sich bereits seit vielen Jahren für nachhaltigeres Wirtschaftswachstum.Bild: imago images / Reiner Zensen
"Es besteht die Gefahr, dass jetzt dasselbe passiert wie bei der Wirtschaftskrise 2008/2009"

Was wären denn praktische Tipps, um umweltfreundlicher zu leben?

Es geht um die drei Bereiche Wohnen, Ernährung und Mobilität. Der einfachste Schritt ist der Wechsel zu Ökostrom, dann sollte man weniger Fleisch und Milchprodukte essen und statt mit dem Auto mit der Bahn oder dem Rad fahren. Superwichtig ist aber, dass man sich gemeinsam mit anderen auch politisch und gesellschaftlich einbringt. Gerade die "Fridays for Future"-Bewegung zeigt, wie wirkungsvoll es ist, die eigenen Wertvorstellungen laut, verständlich und konstruktiv zum Ausdruck zu bringen.

In den Monaten vor Corona entstand eine große Öffentlichkeit für das Thema. Haben Sie Angst, dass Umweltschutz durch Corona in Vergessenheit gerät?

Der Klimawandel bringt sich (leider) immer stärker in Erinnerung. Das kann niemand vergessen. Aber es besteht die Gefahr, dass jetzt dasselbe passiert wie bei der Wirtschaftskrise 2008/2009.

Was meinen Sie?

Damals wurden Rettungsgelder wahllos ausgeschüttet, ohne auf Klimaverträglichkeit zu achten. Mit der legendären "Abwrackprämie" wurden einmal mehr Autos mit fossilen Verbrennungsmotoren gefördert. Heute müssen wir die Suppe auslöffeln, die wir uns damals eingebrockt haben. Wir verfehlen die Klimaziele und müssen uns in den Städten mit Feinstaub- und Stickoxidproblemen herumschlagen. Diese Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Das Coronavirus hat eine Inkubationszeit von zehn Tagen, Klimafolgen zeigen sich erst nach zehn Jahren. Entsprechend weitsichtig müssen wir handeln.

Sind Sie denn optimistisch, dass wir uns trotz Corona weiter in die richtige Richtung in Sachen Umweltschutz bewegen?

Zum Glück gibt es heute eine breite Unterstützung der Zivilgesellschaft für mehr Klimaschutz. "Fridays for Future" hat die Welt verändert. Es gibt ein Klimapaket und einen "Green Deal" der EU-Kommission. Dieses gesamtgesellschaftliche Engagement braucht es weiterhin. Jeder egal wie kleine Schritt zählt. Ohne solch sichtbaren Druck der Öffentlichkeit wird die Politik unter dem Einfluss von Lobbyisten das Wirtschaftsschiff wieder in Richtung fossile Vergangenheit lenken statt in Richtung klimagerechte Zukunft.

Über die Expertin
Claudia Kemfert ist eine deutsche Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Ihr aktuelles Buch: "Mondays for Future. Freitag demonstrieren, am Wochenende diskutieren und ab Montag anpacken und umsetzen" erscheint am 21. April.
"Wer heute noch auf fossile Technologien setzt, hat keine Zukunft mehr."

Mit dem Wachsen der Umweltbewegung wuchs auch die Kritik. Wie wollen Sie Menschen überzeugen, die sich von höheren Flug- und Benzinpreisen benachteiligt fühlen?

Kluger Umwelt- und Klimaschutz schafft viele Vorteile – nicht nur für grüne Unternehmen, sondern auch und gerade für einkommensschwache Haushalte. Es sind nämlich die Ärmeren und Schwächeren, die Umweltschädigungen besonders ausgesetzt sind und nicht entfliehen können. Menschen mit hohem Einkommen haben in der Regel auch einen überproportional hohen CO2-Fußabdruck. Sie können höhere Flug- und Benzinpreise leicht zahlen.

Im Gegensatz zu Geringverdienern...

Menschen mit niedrigem Einkommen haben in der Regel auch einen deutlich geringen CO2-Fußabdruck. Ihre Mehrkosten durch CO2-Abgaben könnten über eine pro Kopf ausgezahlte Klimaprämie ausgeglichen werden. Wenn umweltschädliche durch klimafreundliche Subventionen ersetzt, würden sie nochmals profitieren; beispielsweise, indem nicht die Pendlerpauschale erhöht, sondern der ÖPNV besser und billiger wird. Wir brauchen dringend bezahlbare klimaschonende Mobilitätsalternativen. Das ist fair für alle Menschen, auch die von morgen. Die Konzepte liegen in den Schubladen. Wir müssen sie nur endlich umsetzen.

Die Grünen hatten vorgeschlagen, Wirtschaftshilfen während der Corona-Krise an Bedingungen zu knüpfen. Also beispielsweise sollte mehr Geld in Bahn, Bus und andere umweltfreundliche Maßnahmen investiert werden. Was halten Sie von diesen Vorschlägen?

Nur so und nicht anders kommen wir vorwärts! Klimaschutz muss zur "Conditio sine qua non" werden. Wer heute noch auf fossile Technologien setzt, hat keine Zukunft mehr. Wirtschaftshilfen sollte es aber nur für zukunftsfähige Unternehmen geben. Sonst werfen wir das Geld zum Fenster raus.

"Wir sollten Beteiligungen an Unternehmen, etwa Condor oder Lufthansa, nur dann aus dem Staatsfonds vornehmen, wenn dieses Steuergeld in umweltfreundliche Technologien fließt."
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Seit Wochen bleiben nun schon die Lufthansa-Maschinen am Boden. Dem Klima tut es gut.Bild: www.imago-images.de / Marcel Lorenz

Wen meinen Sie damit?

Wir sollten die Unternehmen belohnen, die von fossilen auf erneuerbare Energien wechseln. Wir sollten Beteiligungen an Unternehmen, etwa Condor oder Lufthansa, nur dann aus dem Staatsfonds vornehmen, wenn dieses Steuergeld in umweltfreundliche Technologien fließt. Das muss nicht von heute auf morgen passieren, aber eine verpflichtende Regelung für die nächsten Jahre sein. Und natürlich sollten wir dringend in umweltfreundlichere Antriebe bei Bus und Bahn investieren und den öffentlichen Nahverkehr ausbauen – das gilt nach Corona genauso wie davor. Wir haben schon genug Zeit verplempert. Jetzt sollten wir endlich Entschlossenheit beweisen. Der Klimawandel macht keine Pause.

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