Es ist kein Ausreißer und kein Kurzzeit-Tief – es geht für den Wald in Deutschland seit Jahren kontinuierlich bergab. Auch wenn Bundesagrarministerin Julia Klöckner am Mittwoch nicht von einem generellen "Waldsterben" sprechen wollte, so hat sie doch erkannt: Die Lage ist bitterernst. "Unsere Wälder sind krank", bilanzierte die CDU-Politikerin und fasste damit den Grundbefund des Waldzustandsberichts 2020 zusammen. Im vergangenen Jahr starben in Deutschland so viele Bäume wie noch nie seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1984. Ganze 138.000 Hektar Wald gingen demnach verloren.
Der Bericht, den Klöckner in Berlin vorstellte, dokumentiert, was Stürme, Dürre und Schädlinge – allen voran der Borkenkäfer – mit dem Wald angerichtet haben. In Regionen wie dem Harz in Sachsen-Anhalt gebe es "tote Bäume, soweit das Auge reicht", sagte Klöckner. Aber insgesamt sei ganz Deutschland von dem Phänomen betroffen.
"Es ist kein Ausreißer-Jahr. Es wird immer trockener", erklärte auch Nicole Wellbrock, Expertin beim Thünen-Institut für Waldökosysteme, das die Daten aus den einzelnen Bundesländern zusammengeführt hat. In den Jahren 2019 und 2020 sei die Sterberate der Bäume im Vergleich zu den Vorjahren "deutlich höher geworden", sagte Wellbrock. Vor allem ältere Bäume über 60 Jahre seien vom Absterben bedroht.
Derzeit betrage die Fläche, die potenziell wieder aufgeforstet werden müsste, 277.000 Hektar. Innerhalb von sechs Monaten sei die beschädigte Fläche zwar um 8000 Hektar zurückgegangen, sagte Klöckner. Es gebe aber immer mehr beschädigtes Holz, das abtransportiert werden müsse; derzeit sind es 171 Millionen Kubikmeter.
Auch die Baumkronen werden immer lichter, verlieren also immer mehr Nadeln und Blätter. Im Jahr 2020 hatten vier von fünf Bäumen lichte Kronen. Das betraf 89 Prozent aller Buchen, 80 Prozent aller Eichen und Kiefern sowie 79 Prozent der Fichten. "Der Kronenzustand ist wie ein Fieberthermometer", erklärte Klöckner. Wenn es den Kronen schlecht geht, ist der Wald krank. Während noch im Jahr 2000, also vor 20 Jahren, 23 Prozent aller Bäume deutlich unter lichten Kronen litten, waren es im vergangenen Jahr schon 37 Prozent.
Der Klimawandel habe einen großen Schaden angerichtet, konstatierte die Agrarministerin. Es gehe nun darum, möglichst viel Fläche nachhaltig aufzuforsten. Um die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, stünden Waldbesitzern und Forstwirten derzeit 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Ein Teil des Geldes – 800 Millionen Euro – war bereits im Jahr 2019 als Bund-Länder-Paket auf den Weg gebracht worden.
2020 sei aus diesem Topf mehr Geld beantragt worden, als vorgesehen war, berichtete Klöckner. 500 Millionen Euro, die Teil des Gesamtpakets sind, stehen seit vergangenem Jahr als Prämie für Waldbesitzer mit Nachhaltigkeitszertifikat zur Verfügung. 56,6 Millionen Euro sind davon den Angaben zufolge bereits abgerufen worden.
An Anreizen soll es nicht mangeln, auch wenn die Ministerin einräumt, dass das allein den Wald nicht retten wird. So brauche es etwa mehr Forstpersonal in den Bundesländern und ein neues System, um die Klimaleistung der Bäume finanziell zu honorieren – also um Einnahmen daraus zu generieren, dass die Bäume klimaschädliches CO2 binden. Die Bundesregierung könne nicht jedes Jahr so viel Geld in die Hand nehmen, betonte Klöckner. Zuvor hatte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) vor allem die Verantwortung der Waldbesitzer betont und sie ermahnt, die Finanzhilfen der Bundesregierung in nachhaltige Konzepte zu investieren.
Opposition und Umweltverbände kritisierten die Maßnahmen der Bundesregierung als nicht zielführend. So beklagte etwa Greenpeace, dass sich an der Waldbewirtschaftung nichts geändert habe und immer noch zu viele Flächen "kahlgeschlagen" würden. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) forderte die Bundesregierung auf, "endlich wirksame Klimaschutzmaßnahmen" zu ergreifen, um dem Waldsterben Einhalt zu gebieten.
(lfr/dpa)