Die Menschen vergiften die Erde nicht nur mit Milliarden Tonnen von Abgasen und Bergen aus Plastikmüll, sondern auch mit unsichtbaren und gefährlichen Chemikalien. Einige dieser Chemikalien sammeln sich in der Luft, in Böden und im Grundwasser – und schaden Mensch und Umwelt. In welchem Umfang ist jetzt klar geworden.
Eine Recherche von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung hat ergeben, dass Deutschland viel stärker als bisher gedacht von sogenannten ewigen Chemikalien belastet ist. Dabei steht die Chemikaliengruppe PFAS im Fokus. Mehr als 10.000 künstlich hergestellte Stoffe zählen dazu, die in einer riesigen Palette an Produkten vorkommen.
Sind sie einmal in die Natur gelangt, dauert es je nach Stoff Jahrhunderte, bis sie abgebaut werden.
Zwar sind viele der Chemikalien noch nicht genauer untersucht, doch Aussagen der Europäischen Umweltagentur (EEA) lassen nichts Gutes erhoffen. "Von den relativ wenigen gut untersuchten PFAS gelten die meisten als mittel- bis hochtoxisch, vor allem für die Entwicklung von Kindern", schreibt die EEA.
Rund ein Dutzend der PFAS sind bereits reguliert, weil sie als gefährlich gelten. Schon seit Langem stehen einige davon in Verdacht, Krebs zu verursachen, unfruchtbar zu machen und bei Kindern zur Fettleibigkeit und Immunschwächen beizutragen.
Die Krux dabei ist, dass aktuell viele Produkte und Industrieprozesse nicht ohne die "ewigen Chemikalien" auskommen. Sie finden unter anderem Anwendung in Kosmetik, Regenjacken, Pfannenbeschichtungen, Zahnseide und auch in den Verpackungen von Burgern.
Es sind vor allem die wasser-, fett- und schmutzabweisenden Eigenschaften der Chemikalien, die sie für viele Produkte so interessant machen. Neben Geschirr, Verpackungspapier sowie Outdoor- und Arbeitskleidung werden sie deshalb auch in Pizzakartons, Teppichen, Wachs, Schmiermitteln, Pestiziden, Baustoffen und speziellen Lack- sowie Farbstoffen eingesetzt.
Auch viele große Industriezweige setzen auf die umstrittenen Stoffe. Darunter sind die Halbleiterfertigung, die Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien und Brennstoffzellen, die Automobil- und Elektroindustrie, die Textilindustrie sowie der Maschinen- und Anlagenbau.
Die Chemikalien gelangen häufig durch die Abluft von Industriebetrieben in Böden und Gewässer. Auch durch Kläranlagen finden PFAS ihren Weg in Meere, Flüsse und Seen. Zudem geraten sie im Haushalt durch Alltagsprodukte in die Raumluft. Die Stoffe sind inzwischen so weit verbreitet, dass sie sogar in entlegenen Regionen wie dem Südpol nachgewiesen wurden.
Menschen nehmen die Chemikalien dann wiederum durch die verunreinigten Böden, das Wasser in Pflanzen oder zum Beispiel durch den Verzehr von Fischen auf. Auch über die Luft können die Giftstoffe in den Körper gelangen.
Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Norwegen und Schweden haben vorgeschlagen, PFAS in der EU komplett zu verbieten. Angesichts der mehr als 10.000 betroffenen Stoffe wäre das ein einmaliger Vorgang. Der Vorschlag der Länder sieht je nach Branche Übergangsfristen von anderthalb bis 15,5 Jahren vor.
Erfüllt der Verbotsantrag alle Formalitäten, sollen am 22. März öffentliche Konsultationen zwischen Behörden und Industrie starten. Die Entscheidung trifft am Ende die Europäische Kommission gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten. Mit einem Entschluss wird 2025 gerechnet.
In den Industriezweigen, die von einem möglichen Verbot betroffen wären, formiert sich Widerstand gegen den Vorstoß der EU-Länder. Mirjam Merz, Expertin für Chemikalienpolitik und Gefahrstoffrecht beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), weist gegenüber der dpa darauf hin, dass die Chemikalien für manche Technologien schlicht unersetzlich seien, zum Beispiel bei der Herstellung von Dichtungen, Halbleitern, Batterien und Brennstoffzellen.
Zudem argumentiert sie, dass längst nicht alle PFAS toxisch seien. Die Industrieexpertin Merz macht deshalb folgenden Gegenvorschlag:
(mit Material von dpa)