Am 19. Oktober veröffentlicht die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer gemeinsam mit ihrer Großmutter Dagmar Reemtsma (Jahrgang 1933) das Buch "Gegen die Ohnmacht". Darüber, wie es Neubauer gelingt, trotz Energiekrise, Ernteausfällen, Hitzerekorden, Wassermangel und weiteren Klimakatastrophen immer weiterzumachen, erzählte sie dem "Spiegel" im Interview.
Demnach sagt sie, dass spätestens dieser Sommer den Sommern die Unschuld genommen habe – weil die Hitze, die Dürre und Wasserknappheit nicht mehr schönzureden seien. "Das alles ist kein 'neues Normal' und auch kein Ausnahmejahr. Das ist der Anfang von etwas ganz Furchtbarem", erklärt Neubauer.
Als dann noch der Angriffskrieg in der Ukraine begann und immer mehr Menschen vor immer höheren Stromrechnungen standen, habe bei vielen eine Ohnmacht eingesetzt. Plötzlich, sagt Neubauer, müsste sie die Leute nicht mehr wütend machen, damit sie sich für mehr Klimaschutz einsetzen. Plötzlich müsste sie die Menschen trösten: "Ich werde viel häufiger gefragt: Ist es nicht schon zu spät? Unser Kontakt mit den Menschen ist gefühlt therapeutischer geworden."
Dass die Frage, ob es nicht schon zu spät sei, ihr immer häufiger gestellt werde, findet Neubauer aber gut. "Menschen, die das wissen wollen, erkennen schonmal an, wie zumutungsbelastet der Status quo ist", sagte sie gegenüber dem "Spiegel". Und diese Realisation sei entscheidend. Weil sie zeige, dass Klimaaktivist:innen eben nicht wollen, dass die Menschen in einer scheinbar perfekten Welt auf ganz viel verzichten. Sondern, dass tatsächlich etwas passieren müsse.
Dass sie als Gesicht der deutschen Klimabewegung in der Öffentlichkeit steht, bringt aber nicht nur jede Menge Fragen mit sich, sondern auch Hass. Und der höre nicht im Internet auf, wie sie berichtet:
Dieser Hass führt dazu, dass Neubauer nicht länger ohne Menschen, die auf ihre Sicherheit achten, auf Veranstaltungen geht. "Ich habe Stalker", sagt sie. "Und im Zweifel käme es ohne Sicherheitsvorkehrungen zu Handgreiflichkeiten. Das ist, was ich damit meine, wenn ich sage, dass Onlinehass kein Problem des Internets ist."
Dennoch versuche sie, kein Unsicherheitsempfinden im öffentlichen Raum zu entwickeln – auch nicht jeden Bahnhof, Bus oder Protest als Gefahr zu verstehen. Das hätte auch schonmal dazu geführt, dass wenn Leute mit ihr ein Foto machen wollten, plötzlich ein Klimaleugnungsbuch oder rechtes Symbol in die Kamera gehalten hätten.
"Das sind zwar nur zehn Leute von Tausend, mit denen ich Fotos mache. Aber der Kern meiner Arbeit ist Vertrauen in Menschen, Solidarität, zu leben und sich wohlwollend zusammenzutun", sagt sie. Das klappe nicht, wenn sie unterbewusst immerzu ein Gefährdungspotenzial sehe.
Sie sagt:
Auf die Frage, ob es manchmal Situationen gebe, in denen sie gern etwas tun würde, es dann aber lassen würde, weil sie keine Lust darauf hätte, von anderen verurteilt zu werden, antwortet Neubauer, dass dies nur selten der Fall sei.
Ein Beispiel für eine solche Situation fällt ihr aber sofort ein: Vor einigen Jahren war sie auf einem Festival, auf dem sie mit Freunden Flunkyball gespielt hätte – ein Trinkspiel, bei dem zwei Mannschaften darum wetteifern, wer als erstes seine Biere geleert hat. Plötzlich hätten Menschen um sie herum angefangen, sie zu filmen – weil sie ein Spiel mit Dosenbier gespielt habe.
Sie sagt:
Als sie dieses Jahr wieder auf dem Festival gewesen und ihre Freunde Flunkyball mit Dosenbier spielen wollten, wollte sie zunächst nicht. "Meine Freunde haben mir dann sehr lieb einen Hut organisiert, damit keiner erkennt, dass ich das bin." Erst dann habe sie die Sorge beiseite geschoben und doch mitgespielt.