Um sich aus der Energie-Abhängigkeit Russlands zu lösen, fällt Deutschlands neuer Lichtblick gerade auf Kanada. Am Dienstag haben Bundeskanzler Olaf Scholz und Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau nun ein Abkommen über eine stärkere Zusammenarbeit der beiden Länder zur Herstellung und Transport von Wasserstoff beschlossen.
Dieser Pakt bildet den Auftakt zu einer engen Kooperation beider Länder auf dem Energiemarkt sowie bei der Unterstützung der Ukraine. Denn das zweitgrößte Land der Erde ist einer der größten Erdgasproduzenten weltweit. Deutschland könnte zwar erst mittelfristig vom kanadischen Flüssiggas profitieren, da für den Transport über den Atlantik noch Pipelines und Terminals fehlen. Doch langfristig hat Deutschland auch an kanadischen Mineralien und Metallen, sowie erneuerbarer Energie Interesse.
Robert Habeck (Grüne), der Scholz auf seiner Kanada-Reise begleitet, hatte bereits am Montag betont, dass der Schwerpunkt der Reise darauf liege, mit Kanada eine "Energiepartnerschaft für die Zukunft" zu schließen. Passend dazu trafen sich Scholz und Trudeau am Dienstag in Stephenville in Neufundland an der Ostküste Kanadas, wo eine Windenergieanlage zur Produktion von Wasserstoff geplant ist.
Die Kooperation auf dem Energiesektor sei auch über die Krisen hinaus wichtig, in die Russland die Welt durch den illegalen Angriffskrieg gebracht habe. Es gehe darum, als Wertegemeinschaft auf Dauer zu einer Welt ohne fossile Brennstoffe zu kommen, wie Trudeau und Scholz bei ihrem Treffen betonten.
Die Gewinnung von Wasserstoff sowie von einem Großteil der noch verfügbaren fossilen Rohstoffe fällt in Gebiete der First Nations, Kanadas indigene Ureinwohner. Ihre Vertreter fehlten jedoch bei Verhandlungen während des Staatsbesuchs von Olaf Scholz. Dabei wäre genau ihre Lebensumgebung einem erhöhten Risiko für Erdbeben ausgesetzt, wenn mehr Erdgas durch umstrittene Fördermethoden wie Fracking und Offshore-Bohrungen gewonnen werden.
Ist die Nicht-Beteiligung der Ureinwohner Kanadas Zufall oder Normalität? Über diese Frage konnte watson mit Jax, einer kanadischen Klimaaktivistin, sprechen. Sie und ihre Familie gehören den Anishinaabe an, einer der heute größten indigenen Ethnien Nordamerikas.
Sie steht dem Energieabkommen zwischen Kanada und Deutschland kritisch gegenüber. Das habe vor allem mit einer fehlenden Beteiligung von indigenen Menschen an der Staatspolitik zu tun, wie sie watson erklärt:
Der "Indian Act" ist ein kanadisches Bundesgesetz, das Angelegenheiten regelt, die den Indianerstatus, die Stammeszugehörigkeit und Indianerreservate betreffen. Im Laufe der Geschichte hat dieses Gesetz die kanadische Bundesregierung ermächtigt, die Angelegenheiten und das tägliche Leben der registrierten Indianer und Reservatsgemeinschaften zu regulieren und zu verwalten.
Unter anderem wird durch das Indianergesetz der Regierung auch weiterhin ermöglicht, die Landbasis dieser Stammesgruppen in Form von Reservaten zu bestimmen und sogar zu definieren, wer als Indianer in Form des Indianerstatus qualifiziert ist. Letztendlich darf die kanadische Regierung auch darüber entscheiden, dass auch auf Territorien der First Nations Erdgas mithilfe von Fracking gefördert wird.
Genau diese Vorgehensweise widersetze sich aber dem grundlegenden Glauben der Ureinwohner Kanadas, wie Jax watson erzählt:
Trotz der Bemühungen Kanadas um Versöhnung hätten die Ureinwohner "so gut wie kein Mitspracherecht" in Bezug auf das Land, das rechtmäßig ihnen gehöre, sagt Jax. Genau hier sieht sie auch den Widerspruch der kanadischen Innenpolitik, Indigenen mehr Rechte zuzusprechen. "Im Allgemeinen tun die Politiker so, als ob ihnen die indigenen Völker am Herzen lägen – sie tun aber nichts, um vermisste und ermordete indigene Frauen zu finden, und lassen zu, dass Pipelines das Wasser der Reservate verschmutzen. Und das, obwohl sie die Auswirkungen auf die dort lebenden Menschen kennen."
Mit Blick auf das neue Wasserstoffabkommen mit Deutschland, bewertet Jax die Lage für den Umweltschutz und für Indigene in Kanada pessimistisch: "Kurz gesagt, der persönliche Gewinn ist für zu viele Machthaber immer noch wichtiger als das Leben der Ureinwohner."