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Drei Forderungen an die aktuelle und zukünftige Energiepolitik: "Fokus auf Extreme"

Robert Habeck ist aktuell Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und damit auch mit für die Energiepolitik verantwortlich.
Robert Habeck ist aktuell Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und damit auch mit für die Energiepolitik verantwortlich.Bild: www.imago-images.de
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Drei Forderungen an die aktuelle und zukünftige Energiepolitik

23.04.2022, 16:05
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In dieser Woche hagelte es heftige Kritik gegenüber Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und der von ihr geförderten Landesstiftung für Klimaschutz. Die Stiftung, die Anfang 2021 gegründet wurde, war Deckmantel für die Umgehung von US-Sanktionen gegen die vom russischen Staatskonzern Gazprom betriebene Gaspipeline Nord Stream 2. Erst am Freitag bezog Schwesig mit einer deutlich eingeschränkten Entschuldigung Stellung: Die Unterstützung von Nord Stream 2 und der Stiftung sei aus heutiger Sicht ein Fehler, "aber in der Zeit verständlich" gewesen.

Danke für nichts. Denn solche zweifelhaftigen Bekenntnisse helfen rein gar nicht gegen die gewaltige Abhängigkeit Deutschlands von russischen fossilen Energien, welche seit 2011 mit der Eröffnung der ersten Nord-Stream Pipeline auch von drei Regierungskoalitionen unter Merkel verstärkt wurde.

Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, beantwortet in der Gasanlandestation von Nord Stream 2 die Fragen von russischen Medienvertretern. Die fast fertiggestellte  ...
Manuela Schwesig (SPD) sollte sich nun als Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern für die von ihr geförderten Landesstiftung für Klimaschutz rechtfertigen.Bild: dpa-Zentralbild / Jens Büttner

Genauso wie Schwesig spätestens jetzt persönliche Konsequenzen aus ihrer russischen Verstrickung ziehen müsste, sollten auch alle anderen Parteien statt Name Blaming zu betreiben einen grundsätzlichen Strategiewandel in der aktuellen und zukünftigen Energiepolitik umsetzen.

Dafür sollten diese drei Forderungen dringend und endlich umgesetzt werden:

1. Europäisch denken statt energiepolitischem Nationalismus

Nicht nur die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hat zu lange an Nord Stream 2 festgehalten: auch Merkel und verschiedene Wirtschaftsminister, darunter Sigmar Gabriel, haben die geplante Gasleitung von vornherein zu lange verteidigt. Die sollte ermöglichen, dass Gas nicht mehr wie bisher über die Ukraine transportiert wird, sondern durch die Ostsee direkt von Russland nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern. Damit wären Polen und die Ukraine als Transitländer umgangen und geschwächt worden, Deutschland dagegen wäre zum Hauptverteiler für russisches Erdgas in Westeuropa geworden und hätte machtstrategisch profitiert.

"2010 war Deutschland noch Marktführer in der Solarbranche. Mittlerweile sitzen die meisten Photovoltaikmodulhersteller in China."

Also Augen auf bei der Partnerwahl: Solche Absprachen mit bereits schon 2011 als autokratisch agierenden Staaten müssten ab sofort verhindert werden, auch bei jetzt aktuell "attraktiven" Flüssigerdgas-Zulieferern wie Katar! Mit einem neuen Fokus auf mehr Zusammenarbeit zwischen EU-Mitgliedsländern könnten europaweite Potenziale für erneuerbare Energien genutzt werden. Die damit verbundene Verstärkung der natürlichen Energien würde zusätzlich auch den Raubbau am eigenen Land und Ressourcen, der immer noch unter anderem im Braunkohletagebau Garzweiler kompromisslos weitergetrieben wird, unnötig machen.

2. Die Zuliefererindustrien für Erneuerbare Energien in Deutschland konstant unterstützen

Die neue Bundesregierung hat sich die Nutzung von Erneuerbaren Energien auf die Fahne geschrieben, aber bei genauerer Betrachtung hinkt ihr Vorhaben vor allem bei den kaum vorhandenen technischen Zulieferern für Solar- und Windenergie.

2010 war Deutschland noch Marktführer in der Solarbranche. Mittlerweile sitzen die meisten Photovoltaikmodulhersteller in China. Deutschland belegte dagegen im Ranking der größten Hersteller mit einer Liefermenge von 7,3 Gigawatt nur den sechsten Platz in der Solarbranche laut Statista.

Auch bei der tatsächlichen Verfügbarkeit von Windkraftanlagen mangelt es: So sind von Januar bis März 2022 in Deutschland insgesamt nur 100 neue Windkraftanlagen (Q1 2021: 133 Anlagen) mit einer Leistung von 404,5 MW (Q1 2021: 525,7 MW) neu in Betrieb gegangen, was einem Leistungs-Rückgang unter den neuen Anlagen von 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Auch bei Offshore Windenergie gab es im ersten Quartal 2022 keine Inbetriebnahmen.

"Vorausschauende Energiepolitik müsste stärkeren Fokus auf Extremszenarien legen"

Um eine erneute Abhängigkeit von autoritären Staaten bei der Materialbeschaffung für grüne Energieanlagen abzuwenden und einen stärker flächendeckenden Ausbau von Photovoltaikanlagen in Deutschland voranzutreiben, bräuchte es in Deutschland eine starke und besonders anhaltende Förderung der Zulieferindustrien von sowohl Solar- als auch Windanlagen-Betreibern.

3. Stärkerer Fokus auf die Analyse von Extremszenarien

Und um nicht wie ehemalige Regierungen immer und immer wieder dieselben Fehler zu wiederholen, müsste eine vorausschauende Energiepolitik bei jeder Energiequelle einen stärkeren Fokus auf die Analyse von Extremszenarien legen. Wir stecken bereits mitten in der Klimakrise, mit der sich Naturkatastrophen noch deutlich verschärfen werden. Die negativen Auswirkungen von technischen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen und vor allem Extremwetterereignissen nicht beim Bau von Energiewerken mitzudenken, dürfen wir uns nicht mehr leisten. Sonst fällt unsere Energieversorgung eher früher als später wieder auf fossile Energiequellen zurück – und der Kreislauf der geopolitischen Abhängigkeiten beginnt von Neuem.

Würde die aktuelle und auch zukünftige Regierung diese Forderungen in die Tat umsetzen, würden wir endlich über unseren eigenen fossilen Schatten springen. Denn letztendlich kann es doch nicht sein, dass uns immer wieder energiepolitische Fehlentscheidungen von vorhergehenden Regierungen spätestens in der übernächsten Legislaturperiode auf die Füße fallen.

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