Fridays for Future ist für junge Menschen weltweit die Klimabewegung schlechthin. Doch in den letzten Monaten ist es leise geworden um den deutschen Ableger der Klimaschutz-Bewegung. Dabei reiht sich eine Klimakatastrophe an die nächste. Wie passt das zusammen?
Um das herauszufinden, hat sich watson auf die Suche nach Antworten gemacht – und bei den Ortsgruppen von Fridays for Future (FFF) nachgefragt.
Denn genau hier, an der Basis der Bewegung, zeigen sich die Folgen der Entwicklung der letzten drei Jahre am deutlichsten:
"Es ist offensichtlich, dass unsere Leute ausgebrannt sind", sagt Annika Liebert im Gespräch mit watson. Sie engagiert sich bereits seit 2019 in der FFF-Ortsgruppe von Erfurt – und ist damit eine der wenigen, die hier noch aktiv im Orgateam übriggeblieben ist.
Zwar seien nach jedem jährlich stattfindenden globalen Klimastreik immer mal wieder auch neue Mitglieder dazu gekommen. Doch weitaus mehr Aktivist:innen fehlten inzwischen. Nur noch wenige Unterstützende würden aktiv bei der Planung und Durchführung von Aktionen mithelfen, erzählt sie. "Es braucht neue Generationen an Leuten, die politisch aktiv werden können, wollen und es irgendwie auch müssen."
2019 waren in fast 600 deutschen Städten Demonstrationen angekündigt, zu denen Tausende von Menschen auf die Straße gingen. Damals war die Begeisterung und Motivation groß, den Klimawandel zu stoppen.
Heute, im Jahr 2022, haben sich Politik und Klimaschutzmaßnahmen kaum verbessert: Dabei haben die Folgen der Erderwärmung auch auf Deutschland schon jetzt stärkere Auswirkungen als noch 2019.
Müssten also nicht eigentlich noch mehr Menschen auf die Straßen strömen als 2019?
Auch FFF-Ortsgruppen aus Dresden, Stuttgart, Heidelberg, Kiel und Halle haben sich auf Nachfrage von watson gemeldet. Die Orte liegen weit voneinander entfernt. Trotzdem ähneln sich ihre Antworten stark: Mit dem russischen Angriffskrieg und anderen akuten Konflikten liege der Klimawandel nicht mehr im Aufmerksamkeitsfokus der medialen Öffentlichkeit, geben einige Ortsgruppen als eine der Hauptursachen für die Stille der Organisation an.
"Gleichzeitig scheint sich die Politik an die regelmäßigen Demos gewöhnt zu haben", antwortet Sophie Weiss von FFF Heidelberg. Das betont auch Ole Horn, Sprecher von FFF in Halle: "Zahlreiche Menschen sind unfassbar frustriert, weil sich an entscheidenden Hebeln immer noch viel zu wenig tut. Das macht es natürlich schwerer, sich immer wieder zu motivieren und weiterzumachen, obwohl allen die Relevanz klar ist."
Annika Liebert aus Erfurt fasst die Problematik für watson zusammen:
Auch die lange Isolationszeit während der Coronawinter hat bei vielen Spuren hinterlassen. "Nach zweieinhalb Jahren, in denen man sich nicht treffen und planen konnte, fangen viele Leute jetzt auch gerade gar nicht mehr an, sich zu organisieren. Dadurch fehlen uns unfassbar viele Helfende", ergänzt Annika Liebert aus Erfurt.
Andere Klimaaktivist:innen wurden durch die lange Isolationszeit regelrecht ausgebremst: So zumindest ging es Anton.
Wie Annika engagiert er sich bereits seit 2019 bei Fridays for Future in Erfurt, nahm aber auch an Klimacamps in Hamburg und Waldbesetzungen im Dannenröder Forst in Hessen teil. "2019 dachte ich noch, wir planen die ökologische Revolution und verändern wirklich etwas. Jetzt habe ich den Eindruck, dass wir nur alle zwei Monate ein Event haben", erzählt er im Gespräch mit watson.
Das einzige, das ihn noch bei FFF halte, seien seine persönlichen Kontakte in die Gruppe. "Wirklich wichtig an der Klimabewegung ist mir tatsächlich der soziale Aspekt, dass man sich mit anderen Menschen zusammentut, die zusammen politisch etwas verändern wollen", beschreibt er.
Das gelinge allerdings nicht dadurch, dass man sich einmal die Woche treffe, um ein Plenum abzuhalten. Er sagt: "Bei Fridays for Future fehlt inzwischen wirklicher Aktivismus."
Deshalb engagiert er sich zusätzlich zu Fridays for Future auch noch bei Ende Gelände im rheinischen Lützerath sowie Extinction Rebellion. Statt Massendemos sieht er gezielte Störaktionen als effektivstes Mittel an, um besonders die Menschen zu erreichen, die die Verantwortung tragen: Unternehmen und Politiker:innen.
Mit zivilem Ungehorsam, wie Straßenblockaden in Innenstädten, vor Zufahrten zu Kohle-Kraftwerken oder der Störung des Hamburger Hafenbetriebs befinden sich Klimaaktivist:innen juristisch gesehen im Unrecht.
"Ich finde es erschreckend, dass Menschen durch die politische Untätigkeit das Gefühl haben, sich an der Straße festkleben zu müssen, um überhaupt gehört zu werden. Aber nach Jahren von Massenprotesten sind wir an dem Punkt mittlerweile angekommen", meint Annika.
Mit Blick auf die noch drohenden Klimakatastrophen sei ziviler Ungehorsam das weitaus geringere Übel, wie Anton seine Aktionen verteidigt:
Mit dieser Kritik ist er nicht allein.
Dass sich etwas ändern muss, fordern intern auch andere ein: "Einige Klimagruppen werden in ihrer Aktionsform immer radikaler", schreibt Sophie aus Heidelberg. "Auch wenn wir von Fridays for Future-Heidelberg verschiedenste Aktionsformen nutzen, die noch nicht als ziviler Ungehorsam wahrgenommen werden, unterstützen wir die Forderungen von allen Gruppen gegen den fossilen Kapitalismus."
Auch der Ansatz der FFF-Gruppe in Dresden ändere sich, schreibt Jonathan: "Wir vernetzen uns mit anderen Ortsgruppen aus Sachsen und entwickeln uns strategisch in kommunalpolitischer Arbeit weiter."
Sich für Unterstützung mit anderen Klima-Gruppen zusammenzuschließen, sei jetzt dringlicher denn je: "Wir sind nicht nur mengenmäßig kleiner, im Osten werden wir von Nazis immer aggressiver angegangen, fotografiert und beschimpft", erklärt Anton aus Erfurt, Thüringen dazu.
Diese Entwicklung bei Klimademonstrationen könnte sich mit Blick auf die Inflation und Energiekrise noch verschärfen. Das West-Ost-Gefälle müsse die bundesweite Leitung von Fridays for Future beachten, meint Anton.
"FFF ist eben nicht an allen Orten mobilisierungsstark", erklärt auch Annika. Deswegen bräuchten manche Orte mehr Unterstützung als andere.
Annika ergänzt: