
Wären auch die Kundinnen und Kunden bereit, für für Lebensmittel auszugeben? (Symbolfoto)Bild: E+ / alvarez
Supermarkt
Egal ob Klimawandel oder Wasserverschmutzung: Viele Umweltschäden, die die Landwirtschaft verursacht, werden bislang bei den Lebensmittelpreisen nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. Täte man es, würden die Preise für Fleisch, Milch und Käse explodieren.
01.09.2020, 18:1928.09.2020, 13:35
Woche für Woche locken Supermärkte und Discounter in
Deutschland mit Sonderangeboten. Dabei müssten Fleisch, Milch und
Käse nach einer aktuelle Studie von Wissenschaftlern der Universität
Augsburg eigentlich viel mehr kosten, als heute normalerweise
verlangt wird. Hackfleisch müsste fast dreimal so teuer sein, Milch
und Gouda müssten fast doppelt so viel kosten, wie der
Wirtschaftsinformatiker Tobias Gaugler und sein Team errechnet haben.
"Umweltschäden finden aktuell keinen Eingang in den
Lebensmittelpreis. Stattdessen fallen sie der Allgemeinheit und
künftigen Generationen zur Last", bemängelt der Wissenschaftler.
Gaugler hat im Auftrag des zur Rewe-Gruppe gehörenden Discounters
Penny die "wahren Kosten" für insgesamt 16 Eigenmarken-Produkte der
Handelskette berechnet und dabei neben den "normalen"
Herstellungskosten unter anderem auch die Auswirkungen der bei der
Produktion entstehenden Treibhausgase, die Folgen der Überdüngung
sowie den Energiebedarf berücksichtigt.
Preis für Fleisch müsste um 173 Prozent steigen
Die Auswirkungen auf den Preis sind gravierend – vor allem bei
Fleisch und Tierprodukten. So müsste den Berechnungen der
Wissenschaftler zufolge der Preis für Fleisch aus konventioneller
Aufzucht bei Berücksichtigung der versteckten Kosten um satte 173
Prozent steigen. Konkret: 500 Gramm gemischtes Hackfleisch aus
konventioneller Herstellung würden nicht 2.79 Euro, sondern 7.62 Euro
kosten.
Normale Milch würde sich um 122 Prozent verteuern, Gouda-Käse um 88
Prozent und Mozzarella um 52 Prozent. Deutlich geringer wären die
Aufschläge bei Obst und Gemüse. Bananen würden Gaugler zufolge um 19
Prozent teurer, Kartoffeln und Tomaten um 12 Prozent und Äpfel um 8
Prozent. Bei Bioprodukten fielen die Preisaufschläge durchweg etwas
geringer aus als bei konventionell hergestellter Ware. Doch auch der
Preis für Biofleisch würde bei Berücksichtigung der "wahren Kosten"
noch einmal um 126 Prozent steigen.
"Wir müssen dazu kommen, die Folgekosten unseres Konsums sichtbar zu machen"
Die Rewe-Gruppe will das Problem der versteckten Kosten bei der
Eröffnung eines neuen Nachhaltigkeitsmarktes seiner Discountkette
Penny in Berlin am kommenden Mittwoch thematisieren. Für je acht
konventionell und ökologisch erzeugte Eigenmarken-Produkte will der
Händler dort neben dem Verkaufspreis auch den "wahren Preis"
ausweisen. So stehen auf dem Preisschild für die H-Milch neben dem
Verkaufspreis von 79 Cent, auch die "wahren Kosten" von 1.75 Euro und
beim Bio-Hackfleisch in der 250-Gramm-Packung neben dem Verkaufspreis
von 2.25 Euro auch die "wahren Kosten" von 5.09 Euro.
Auch wenn der Kunde am Ende nur den normalen Preis zahlen muss, sieht
der Rewe-Topmanager Stefan Magel in der Initiative einen wichtigen
ersten Schritt zu mehr Nachhaltigkeit. "Wir müssen dazu kommen, die
Folgekosten unseres Konsums sichtbar zu machen", meint er. Nur so
könne der Kunde eine bewusste Kaufentscheidung treffen.
Magel räumt ein: "Wir sind als Unternehmen in einem
wettbewerbsintensiven Markt ohne Zweifel Teil des Problems." Er hoffe
aber mit dem aktuellen Schritt Teil der Lösung werden zu können. Wenn
die Kunden positiv auf die doppelte Preisauszeichnung reagierten,
dann könne er sich vorstellen, die Anzahl der gekennzeichneten
Produkte weiter zu erhöhen und den Test auf weitere Märkte
auszuweiten. Zu tun wäre wohl noch einiges, denn in eine
durchschnittlichen Penny-Markt gibt es rund 3500 Artikel.
Besteuerung der CO2-Emissionen könnte Folgekosten ausgleichen
Die Augsburger Wissenschaftler hoffen, dass die "doppelte
Preisauszeichnung" das Einkaufsverhalten der Kunden verändert. Es
könne ein Beitrag zu mehr Ehrlichkeit bei den Lebensmittelpreisen
sein. Lieber wäre es ihnen aber noch, wenn die hohen
Umweltfolgekosten schrittweise auf die Lebensmittelpreise
aufgeschlagen würden – etwa durch eine Besteuerung der CO2-Emissionen
in der Landwirtschaft und von mineralischem Stickstoffdünger. "Die
Preisanpassungen der Lebensmittelmärkte würden wahrscheinlich zu
deutlichen Verschiebungen hin zu mehr pflanzlichen und mehr
Bio-Produkten führen und gleichzeitig die Umweltschäden deutlich
reduzieren", meint die Mitverfasserin der Studie Amelie Michalke.

Sollte eine Steuer kommen, könnten Lebensmittel deutlich teurer werden (Symbolfoto).Bild: Digital Vision / Image Source
Dringenden Handlungsbedarf sehen nicht nur die Augsburger
Wissenschaftler. Der Bio-Landwirt und Chef des
Babynahrung-Herstellers Hipp, Stefan Hipp, betonte kürzlich: "In
unser aller Interesse sollten wir darauf drängen, dass sich die
wahren Produktkosten bald auf den Preisschildern finden." Derzeit
trage die Gesellschaft die Kosten für Schäden. Und auch Thomas
Antkowiak, Vorstandsmitglied beim Hilfswerk Misereor, mahnte: "Wenn
wir ehrlich bilanzieren, müssen wir einräumen, dass wir auf Kosten
von Mensch und Natur wirtschaften."
Dabei sind in den Berechnungen der Augsburger Wissenschaftler noch
längst nicht alle versteckten Kosten enthalten, die bei der
Lebensmittelproduktion anfallen, wie Gaugler betont. So ließen sich
beispielsweise die Folgekosten des Antibiotika-Einsatzes in der
Tierzucht, der zu multi-resistenten Keimen führt, oder die der
Nutzung von Pestiziden noch nicht sicher genug beziffern, um in die
aktuellen Berechnungen einzufließen. "Wir haben bisher nur einen Teil
der versteckten Kosten berücksichtigt, aber allein das zeigt schon,
dass die Preise lügen - manche mehr und manche weniger", urteilt der
Wissenschaftler.
(lau/dpa)
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