Das Versprechen klingt verlockend: Einsteigen, hinlegen und im Urlaubsland am nächsten Morgen aufwachen. Noch ein kleines Frühstück und schon kann's losgehen an den Zürisee oder auf den Ütliberg. Gut ausgeruht und voller Tatendrang. Das zumindest habe ich mir vorgestellt, als ich meinen Liegeplatz im Nachtzug von Berlin nach Zürich gebucht habe.
Klimafreundlich 850 Kilometer hinter mich bringen, ohne einen Urlaubstag zu verlieren. Eine tolle Möglichkeit, finde ich. Und dann komme ich am Bahnhof Berlin an, der Zug fährt pünktlich ein, alles super. Mit mir warten noch einige Menschen mit Skiern am Gleis. Es fühlt sich ein bisschen nach Klassenfahrt an. Und ein bisschen nach Abenteuer.
Abenteuerlich wird es wenig später dann tatsächlich. Die Schaffner:innen haben alle Hände voll zu tun. Viele derer, die einen Liege- und Schlafplatz gebucht haben, strecken dem Bahnpersonal fragend ihre Fahrkarten ins Gesicht: Wo ist das Bett, in dem sie die kommende Nacht verbringen werden? Die Antwort ist an diesem Abend für viele nicht zufriedenstellend: Nicht angehängt. Der Wagon mit den Sechser-Liegeabteilen fehlt.
Auch mein Bett ist nicht da. Eine Entschuldigung dafür, dass ich nun die kommenden zwölf Stunden gemütlich in einem uralten Sechser-Sitzabteil verbringen werde, gibt's nicht. Stattdessen nur ein machtlos wirkendes: "Fahren Sie mit, oder bleiben Sie hier." Klar, den Wagen kann das Bahnpersonal nun eben auch nicht herzaubern. Klassischer Fall von "dumm gelaufen".
Ich fahre mit, schließlich möchte ich trotzdem am kommenden Tag bei meiner Familie in Zürich aufschlagen und keine Zeit vertrödeln – Bett hin oder her.
Aus zwölf gemütlich liegenden und schlummernden Stunden werden zwölf anstrengende Stunden im Sitzabteil. Der Traum wird zum Albtraum. Warum auch sollte die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) besser funktionieren als die Deutsche Bahn (DB)? Eben. Eigentlich keine große Überraschung.
Warum ich mit der ÖBB von Deutschland in die Schweiz fahre? Weil die DB late to the party ist. Die Deutsche Bahn hat keine Schlafwagen, die Nachts von A nach B rollen. Stattdessen setzt Deutschland auf europäische Partner. Zum Beispiel die ÖBB, oder Nightjets aus Kroatien oder Ungarn.
Zurück zum Sitzplatz: Ein Glück, denke ich mir, bin ich erfahrene Bahnfahrerin. Das bringt es wohl so mit sich, wenn deine Liebe in Hannover, deine Familie und Freunde in Hessen, Bremen, Thüringen, Sachsen und eben der Schweiz leben – und du in Berlin.
Und aufgrund meiner vielen Bahnkilometer, die ich jährlich zurücklege, habe ich eben auch schon alle Eventualitäten erlebt: Zug fällt aus, Zug ist zu spät bereitgestellt, Zugbegleiter:in hat aus Versehen leider alle Einfahrgenehmigungen gelöscht, Zug kommt zu spät, weil er auf eine Fähre wartet. Abhaken beim Zug-Bingo kann ich jetzt also noch "Schlafzug hat Liegeabteil nicht angehängt".
Aber ich habe vorgesorgt. Besser man hat als man hätte, hatte ich mir vor der Abfahrt gedacht und die Sofadecke eingepackt. Wer weiß, mit welcher Art Decke ich es auf meinem Liegeplatz zu tun haben werde.
Wie im Film "Per Anhalter durch die Galaxis" mit dem Handtuch, das man immer dabeihaben sollte, kann ich also nun für Fahrten mit dem Nachtzug die dünne Decke als Must-Have empfehlen. Denn ich kann es nicht anders sagen: Diese Decke hat definitiv mehr Komfort auf meinen unfreiwilligen Sitzplatz gebracht.
Bis Halle teile ich mir das Sechser-Abteil mit einer Frau und zwei kleinen Kindern auf der einen Seite und einem Mann, der mit mir auf meiner Sitzbank sitzt. Danach, so hoffe ich, habe ich das Abteil für mich. Platz, um meine Beine auszustrecken und mich auf der Sitzbank zusammenzukrümeln.
Und tatsächlich: In Halle steigen meine Abteilsgenoss:innen aus und nur eine Frau ein. Ich habe die Bank für mich und kann mich zusammenrollen. Viel Platz ist das nicht, aber mit meiner Größe von 1,66 Metern klappt das noch ganz gut. Für größere Menschen dürfte das Ganze noch unbequemer werden. Wirklich schlafen kann ich zwar nicht, aber zumindest ein bisschen dösen – unter dem Dröhnen des stehenden Zuges. Denn an den meisten Bahnhöfen wartet mein Nachtzug mindestens 30 Minuten, ehe er weiterfährt.
Es fühlt sich an, wie früher, mit Mama in den Skiurlaub zu fahren. Laute Geräusche, die man nicht zuordnen kann, die Lüftung, halb bequem auf einem Sessel liegend – und das Gefühl, morgen woanders aufzuwachen. Die Berge zu sehen. Die frische Luft der Alpen zu atmen. Vorfreude.
Zumindest bis Erfurt. Denn dort weckt mich eine Frau unsanft aus meinem Dämmerzustand. "Hey, das ist mein Platz", erklärt sie ungeduldig, während sie mir an die Schulter tippt. Vorbei die bequeme Position. Bis Frankfurt am Main wird nun gekauert. An Schlafen oder Dämmern ist kaum mehr zu denken.
Als wäre das alles nicht schon unangenehm genug, fängt ein junger Mann, der in Erfurt ebenfalls in unserem Abteil Platz gefunden hat, um zwei Uhr am Morgen lautstark an, zu telefonieren. Auch das ist Nachtzug.
Meine Aufforderung, leise zu sein und das Abteil zu verlassen, überzeugt ihn mäßig. Die Frau aus Erfurt schmettert ihm aber ebenfalls ein "Du nervst" an den Kopf. Er geht. Ruhe kehrt ein. Endlich.
Ab Frankfurt habe ich auch meine Sitzbank wieder für mich. Noch ein paar Stunden ruhen. Wieder macht sich das Skifahr-Kindheitsgefühl breit. Die Angst, die Grenze zu überqueren, ohne die mobilen Daten auszuschalten inklusive. Da die Schweiz nicht Teil der EU ist, gibt es dort auch kein EU-Roaming. SMS, Anrufe, mobile Daten – all das kostet eine Menge Geld.
Endlich in Zürich angekommen freue ich mich, meinen Papa auf dem Bahnsteig zu sehen. Ab nach Hause, frühstücken und gemütlich in den Tag starten. Wir spazieren tatsächlich in der Sonne zum Zürisee. Entgegen meiner Vorstellungen fühle ich mich dabei allerdings nicht wie frisch geschlüpft, sondern eher wie nach einer durchzechten Nacht. Abends falle ich um acht Uhr ins Bett – endlich richtig schlafen.
Gleichzeitig habe ich bereits Angst vor meiner Rückreise, eine Woche später.
Zu Unrecht, wie sich herausstellt. Zumindest ist mein Bett angehängt, als ich am Zürcher Hauptbahnhof in meinen Nightjet nach Hannover steige. Oder sagen wir eher: meine Pritsche – egal, immerhin kann ich liegen. Sitzen ist allerdings nicht möglich. Meine Pritsche ist so nah an der Decke des Zuges, dass ich nur kauern kann. Offensichtlich gibt es bei der nächtlichen Reise mit dem Zug nur ein Entweder-oder.
Dann lieber liegen. Auch hier haben Menschen, die länger sind als ich, ein Problem – denn, wie schon auf meiner Sitzbank auf dem Hinweg, nehme ich auch auf meiner Pritsche fast die gesamte Länge ein. Immerhin, dösen geht. Auch wenn der Untergrund sehr hart und der Zug sehr laut ist. Das andauernde Gefühl der Beschleunigung lässt meinen Körper nicht wirklich zur Ruhe kommen.
Um fünf Uhr klopft es an der Abteiltür. Wir erreichen Hannover eine halbe Stunde zu früh, deshalb gibt es jetzt schon Frühstück. Einen Kaffee, dazu ein Brötchen und Marmelade – wie im Hotel quasi. Trotzdem bin ich froh, als ich um 5.30 Uhr in Hannover aus dem Zug steige. Ich fühle mich gerädert. Und weiß jetzt schon, dass sich auch dieser Tag anfühlen wird, als hätte ich die vergangene Nacht durchgefeiert.
Abschließend kann ich für mich festhalten: So schnell bekommt mich niemand mehr in einen Nachtzug. Ich würde der vermeintlich bequemen und praktischen Erfahrung zwei von zehn Sternen geben.
Im Sommer werde ich mich vermutlich dafür entscheiden, meinen Papa mit dem Flugzeug zu besuchen und auf dem Rückweg den ICE zu nehmen. Dann mache ich aus der Strecke eben einen Roadtrip und besuche meine Freundin in Stuttgart, meine Mama im Odenwald und danach meinen Freund in Hannover.