Die Klimaschutzaktivisten von Fridays for Future (FFF) und Scientists for Future (SFF) haben am Tag vor der Aufnahme der Koalitionsgespräche von SPD, Grünen und FDP sechs Kernforderungen für die ersten 100 Tage an die Parteien gestellt. "Die Zeit der Ausreden ist vorbei", sagte FFF-Aktivistin Luisa Neubauer am Mittwoch im Naturkundemuseum in Berlin. "Die Wissenschaft ist so eindeutig wie nie und die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet radikalen Klimaschutz."
Weil die im Sondierungspapier festgehaltenen Ansätze nicht ausreichen würden, um auf den 1,5 Grad-Pfad zu kommen, haben die Aktivisten mit Unterstützung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Eckpunkte für effektiveren Klimaschutz entwickelt. Die Umsetzung dieser Maßnahmen liege nun in der Verantwortung der jetzt kommenden Regierung, erklärte FFF-Sprecherin Annika Rittmann.
Mit diesen Forderungen gehen die Klimaschutzaktivisten deutlich weiter als in dem kürzlich veröffentlichten Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP beschlossen. Dass das notwendig ist, unterstreicht auch Professor Nikolas Höhne, Gründer des New Climate Instituts, der die Forderungen unterstützt: "Wir befinden uns in einer Notfallsituation, die eine Notfalllösung braucht." Die Lage habe sich signifikant verschlechtert.
Auch Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin ergänzt: "Der Klimawandel ist für alle spürbar." Mit den Fluten im Ahrtal, den Hitzerekorden und Bränden weltweit seien die Veränderungen schon jetzt zum Teil "unbeherrschbar" – und das bei einem gemessenen Temperaturanstieg von nur 1,1 Grad. "Bei zwei Grad Temperaturerhöhung würden sich die Schäden verdoppeln. Da versteht man sehr schnell, dass das unberechenbar wird. Selbst bei 1,5 Grad sind die Auswirkungen nicht etwa weg, sondern sie verschlechtern sich sogar." Aus eben diesem Grunde sei es "sehr, sehr wichtig", den Klimawandel zu stoppen.
Allein der Fond zum Wiederaufbau vom Ahrtal wird laut Quaschning 30 Milliarden Euro kosten. Und das seien lediglich Schäden ausgelöst vom Klimawandel in nur einem einzelnen Ereignis. Auf Nachfrage von watson, warum bei solch hohen Aufwendungen noch immer größtenteils die Kosten für Klimaschutzmaßnahmen, nicht aber die für den Wiederaufbau diskutiert würden, zuckt Nikolas Höhne nur ratlos mit den Schultern. "Klimaschutz bedeutet Investitionen. Wir müssen alles umbauen, alles neu machen." Das Problem daran: Die Kosten für Klimaschutzmaßnahmen rentieren sich zwar in der Zukunft. In der Gegenwart, so Höhne, würden sie sich aber teuer anfühlen – "weil man jetzt Geld ausgeben muss und die Schäden in der Zukunft liegen. Es ist aber am teuersten, überhaupt keinen Klimaschutz zu betreiben, denn dann haben wir Schäden über Schäden, die wir jetzt schon anteilig decken müssen. Und die sind teuer bis nicht mehr beherrschbar."
Dass das Thema Klimaschutz in der Bevölkerung angekommen sei, sehe man laut Höhne an den Wahlergebnissen. "Es war neben Corona ein Topthema." Noch bei der letzten Bundestagswahl war das Thema nicht einmal unter den Top Ten. "Unter den Wählern ist eine Bereitschaft, Klimaschutzmaßnahmen wirklich umzusetzen, wenn sie richtig kommuniziert sind, wenn sie sozial ausgeglichen sind. Und wenn sie so gemacht werden, dass die Bürger sie nachvollziehen können."
Ein Beispiel für schlechte Kommunikation sei der Benzinpreis. "Da ist genau der Fehler passiert", sagt Höhne. Fakt sei nämlich, dass das Geld über den CO2-Preis eingesammelt und dann wieder an die Bevölkerung verteilt werde – "und zwar eher an die ärmere Bevölkerung und weniger an die Reichen". Im Endeffekt hat also die ärmere Bevölkerung mehr Geld im Portemonnaie. "Und genau das müssen wir auch kommunizieren – dass die Klimapolitik nämlich so genutzt wird, dass sie auch soziale Unterschiede ausgleicht."