Während im Sommer eine Pandemie alle in den Lockdown zwang, während Hitzewellen Waldbrände von Kalifornien bis Alaska auslösten und Gletscher zum Schmelzen brachten, demonstrierten die Klimaaktivisten von Fridays for Future auf die Art und Weise, wie man 2020 so ziemlich alles tat: online. Pünktlich zum nasskalten Herbstanfang und dem Weltklimatag verlagert Fridays for Future den Protest wieder auf die Straße.
"Die Klimakrise macht keine Verschnaufpause, wir rasen weiterhin auf eine Erwärmung zu, die wir nicht mehr aufhalten können, trotz Corona", sagt Fridays-for-Future-Sprecher Quang Paasch auf der Berliner Demonstration zu watson. "Wir werden irgendwann zurückkehren zu einem Wirtschaftswachstum, das nicht nachhaltig sein wird. Und deshalb müssen wir uns wieder auf unsere alte Protestform besinnen und auf der Straße sein."
Wer glaubt, dass eine Pandemie und ein ordentlicher Herbstregen der Klimabewegung den Wind aus den Segeln nehmen kann, irrt. In Berlin versammeln sich an diesem Mittag tausende Menschen zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule. Die wichtigsten Mitbringsel neben Protestplakaten: Masken und Regenjacken. "Ich finde gar keine Worte. Zu sehen, wie junge Menschen Demokratie bilden, trotz Pandemie, mit Sicherheitsabstand", sagt Quang Paasch. "Dass hier wieder so unfassbar viele Menschen sind, zeigt: Das Thema war nie weg, das Thema hat sich in den Köpfen etabliert". Und Fridays-for-Future-Frontfrau Luisa Neubauer ruft schlicht ins Mikro: "Hell yeah, wir sind immer noch da, wir sind sowas von da."
Zugegeben, wenn Annenmaykantereit "Hurra, die Welt geht unter" in den grauen Berliner Nachmittag singen, dann wirkt das schon ein wenig trostlos und irgendwie dystopisch. Aber dann schwirren da auch immer wieder bunte Seifenblasen durch den Nieselregen. Und tatsächlich überwiegt auf dieser ersten großen Demo nach der Corona-Pause der Kampfgeist über die Mutlosigkeit, die Hoffnung über die Resignation.
"Wir sind hier, weil wir wissen, dass eine klimagerechte Welt möglich ist, weil wir für sie kämpfen", sagt Luisa Neubauer. Man werde nicht locker lassen und die Verantwortlichen nicht aus ihrer Pflicht lassen. "Wir werden im nächsten Jahr alles, was in unserer Macht steht, dafür tun, dass diese Bundestagswahl die erste ist, in der jede demokratische Partei einen 1,5-Grad-Plan hat."
Am allgegenwärtigen 1,5-Grad-Ziel kommt auch auf dieser Demo keiner vorbei. Dass es dringender ist als je zuvor, ist offensichtlich angesichts von Dürre und Überflutungen, angesichts von Waldbränden von Kalifornien bis Sibirien. Aber es geht inzwischen um viel mehr als nur um die Klimakrise. Es geht um Menschenrechte, um Catcalling, um Black Lives Matter, um Moria. Immer wieder wird in Redebeiträgen an die Menschen im globalen Süden erinnert, die oft weniger für die Klimakrise können – und jetzt schon stärker unter ihr leiden. Auf den Demos rund um den Globus werden die zusammengepressten Fäuste nach oben gereckt – als Zeichen der Solidarität. Wenige Monate, nachdem wegen der mangelnden Diversität der Klimabewegung eine Rassismus-Debatte entbrannte, scheinen viele neue Themen ins Bewusstsein gerückt zu sein.
"Wir sehen jetzt in der Pandemie, dass die soziale Ungerechtigkeit enorm zunimmt und sagen weiterhin: Klimaschutz nur mit sozialer Gerechtigkeit", sagt Quang Paasch.
Und praktisch überall auf der Welt demonstrieren an diesem globalen Streiktag Menschen fürs Klima: in Seoul, in Pretoria, in Sydney. 400 Demonstrationen sind allein in Deutschland angemeldet, weltweit über 3200, auf jedem Kontinent der Erde zieht es Menschen auf die Straße. Vor dem Parlament in Stockholm hält Greta Thunberg ihr berühmtes "Skolstrejk för klimatet"-Schild hoch. Und ein weiteres, das daran erinnert, Abstand zu halten – in Schweden sind Ansammlungen von mehr als 50 Menschen erlaubt. In Japan stellen Menschen Fotos ihrer Schuhe samt Protestschilder online, statt selbst auf die Straße zu gehen.
In Deutschland sieht das anders aus. In Berlin, Köln, Hamburg und Freiburg gehen jeweils mehrere Tausend Menschen gemeinsam auf die Straße – mit Mundschutz und Abstand. Wenn es vor der Bühne doch mal zu eng wird, sind sofort Ordner in Warnwesten zur Stelle. Wie viele Menschen in Berlin zu Fuß oder im Zuge der Fahrraddemos vors Brandenburger Tor gekommen sind, ist am Ende auch egal. "Wir sind fucking viele Menschen", rufen die Organisatoren irgendwann durchs Mikro. Und damit haben sie in jedem Fall recht.
Ein reiner Schülerprotest sind die Demos von Fridays for Future schon lange nicht mehr. Zwei Jahre, nachdem die ersten Schülerinnen und Schüler mit selbstgemalten Schildern auf die Straße zogen – und dafür anfangs belächelt wurden – füllen sie die Titelblätter, wenn sie zum globalen Streik aufrufen, die Sprecher rennen hin und her zwischen Mikrofonen und Fernsehkameras. Kirchliche Initiativen, Umweltverbände, Gewerkschaften, Wissenschaftler und Parteien schließen sich ihren Aktionen an. Viele von ihnen haben ebenfalls zum Klimastreik aufgerufen.
"Durch Corona hat sich alles verändert", findet Romy Lagodka, die mit drei Freunden auf der Demo ist. "Klimaschutz, Amazonas, Frauenrechte, Rassismus, es ist alles miteinander verknüpft." Man könnte jetzt sauer sein auf die vorausgegangenen Generationen, die zu wenig für den Klimaschutz getan haben, sagt die 25-Jährige. "Oder wir arbeiten jetzt zusammen mit den Organisationen, die schon seit Jahrzehnten mehr oder weniger für die gleichen Dinge kämpfen."
Trotzdem ist der globale Klimastreik vor allem eines: sehr jung. Noch immer dominieren Plakate wie "Die Klimakrise wartet nicht bis nach dem Abi", oder solche, die einen schnellen Kohleausstieg oder eine CO2-Krise fordern. Aber auch die Fahnen von Organisationen wie Amnesty International flattern im Herbstwind. Alena Dietl hält eine davon in der Hand. "Die Klimakrise ist die größte Menschenrechtskrise", sagt die Amnesty-Jugendsprecherin. "So viele Menschenrechte sind davon bedroht: das Recht auf Wohnen, das Recht auf Gesundheit, das Recht auf Leben." Logische Konsequenz für eine Menschenrechtsorganisation also, sich nicht nur gegen die Todesstrafe zu engagieren. Sondern auch dafür, dass Hitzewellen, Dürreperioden und Überflutungen nicht Lebensgrundlage und Zuhause zerstören.
Für Fridays for Future heißt es jetzt: Den Corona-Schwung mitnehmen. "Die Pandemie hat uns gezeigt, dass die Wissenschaft ernst genommen und auf die Menschen und die Wirtschaft gehört werden kann", sagt Quang Paasch. "Das hat uns die Hoffnung gegeben, dass es möglich ist, endlich all die Bereiche zusammenzudenken: Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft. Für die Klimakrise gilt auch: alle zusammen, alle solidarisch."
Am besten fasst es wohl das Plakat zusammen, das schon seit Längerem auf jeder Fridays-for-Future-Demo vertreten ist – es zeigt die Worte: "Fight every crisis".